Der Killer – Kritik
Neu bei Netflix: Sanfte Augen in Michael Fassbenders hartem Gesicht, saubere Mordhandlungen zu melancholischem Gitarrenpop. David Finchers The Killer ist ein wunderschön temperierter Film über eine schrecklich geleckte Welt.

„Und immer wenn wir traurig waren […], da hörten wir die Smiths“, singt Farin Urlaub in Sumisu. Wenn in The Killer der von Michael Fassbender gespielte Titelheld wiederum The Smiths hört, dann ist er bei der Arbeit. Musik helfe ihm dabei, sich zu fokussieren und den Gedankenfluss zu beruhigen. Warum er aber durchgängig verspielten, luftigen, zarten, zuweilen überschwänglichen Gitarrenpop voll schnippischem Witz hört, dessen Texte von Einsamkeit, Selbstmord und unglücklicher Liebe handeln, erklärt er nicht. Es scheint eine Kleinigkeit zu sein, bei der er sich nichts denkt.
Geduld und Gründlichkeit

Zu Beginn sitzt unser Auftragskiller in Paris in einer leeren Wohnung und wartet darauf, dass sich eine Möglichkeit ergibt, seinen aktuellen Auftrag auszuführen und jemandem im Haus gegenüber in den Kopf zu schießen. Während er wartet, schaut er in die anderen Fenster und beobachtet Leute beim Sex oder beim Rasieren. Er schaut sich das Leben der Normalos an, das er sich selbst nicht gönnt. Selbstredend nur, um das Equipment (Zielfernrohr) zu testen und das Umfeld im Auge zu behalten.

Sich selbst unterwirft er einem knallharten Regime. Er macht Yoga, kontrolliert seinen Puls, trainiert und konditioniert seinen Körper selbst noch im Schlaf. Geduld und Gründlichkeit: Zwanghaft versucht er Herr über sich und sein Schicksal zu sein. Zu sämtlichen der oben angeführten Attribute für die Musik der Smiths ist er das Gegenteil. Ob deren Songs also ein Ventil für seine weggesperrten Gefühle, seine Menschlichkeit sind, ob unter der Oberfläche der Kontrolle eine tiefe Traurigkeit lauert, ist eine Frage, die einem in The Killer ständig nahegelegt wird. Die sanften Augen Fassbenders sehen aber auch einfach aus, als seien sie Gefangene in seinem harten, gleichmütigen Gesicht.
Mist, schon gestorben

Eine andere Form der Kontrolle, die der Killer, der jedes Mal, wenn er einen Ausweis oder eine Kreditkarte vorlegen muss, einen anderen Namen trägt, findet sich im gebetsmühlenartigen Off-Kommentar. Gerade zu Beginn füllt er die Zeit des Wartens nicht nur mit Wachsamkeit gegenüber sich und seinem Umfeld, sondern mit einem endlosen Redeschwall. Für den Zuschauer breitet er seine gesamte Lebensphilosophie aus. Der dergestalt suggerierten kompletten Kontrolle wird aber mehrmals durch ein Scheitern das Wort abgeschnitten. Das wird zum Running Gag. So kalkuliert er an einer Stelle ganz professionell das Alter des Opfers, dessen Fitnesszustand, die Art der Waffe und die Auswirkungen der Treffer an den ausgesuchten Stellen des Körpers. Wir hören jemanden, der weiß, was er tut. Für ein paar Minuten Verhör müsste die Zeit noch reiche… Mist, schon gestorben.

The Killer ist der Film eines eiskalten Mörders, der in die Bredouille gerät. Der einen Auftrag vermasselt, weshalb er mundtot gemacht werden soll. Durch einen weiteren Fehler wird er aber nicht getötet, sondern seine Freundin landet im Krankenhaus. Was ihn auf einen Rachefeldzug bringt. Wie beim unlängst erschienenen Killers of the Flower Moon bilden Action und Gewaltspitzen aber nur kleine Ausnahmen im zumeist geordneten Fluss der Dinge. (Eine Klopperei mit einem prolligen Hünen in Florida bildet die Ausnahme, die die Regel bestätigt.) Nur geht es David Finchers Film nicht um die weit geschlossenen Augen der Hauptfigur wie bei Scorsese, sondern um ihr verkrampftes Ringen danach, die Dinge im Griff zu haben.
Ein eigenwilliges Psychogramm

Ein schöner Kniff ist der Vorspann: Netflix-Logo, ein kurzes Schwarz, und dann pumpt er auch schon unmittelbar los. Die Musik und die geradezu vorbeirasenden Namen halten das Energielevel hoch. Wenn darauf das Warten in der Wohnung folgt, ist es energiegeladen, als landen wir vor einer Wand. Eine Vorbereitung darauf, dass etwaige Erwartungen an Action ins Leere laufen werden. Stattdessen folgt ein ruhiger, gleichmäßiger Film, der mehr an der Erfüllung interessiert ist, etwas gekonnt auszuführen, als an Explosionen und Rasanz. Nicht von Zielen, Idealen oder einem großen Gesamtbild erzählt uns Fincher, sondern von kleinen Gesten und möglichst sauber ausgeführten Handlungen in einer fragmentierten, unübersichtlichen Welt.

Das Ergebnis ist ein Procedural, das mustergültig kontrolliert und ganz auf den Protagonisten zugeschnitten ist. Teil davon sind diese ständig auftauchenden erzählerischen und inszenatorischen Kniffe. Unter anderem: ein von Tilda Swinton erzählter Witz über Bärensex oder der knarzende Spannungssoundtrack von Trent Raznor und Atticus Ross, der langsam die Smiths verdrängt und der auch einiges darüber zu sagen hat, wie es in Fassbenders Figur arbeitet. Umsichtig stößt uns der Film mit der Nase darauf, dass nicht entscheidend ist, was geschieht, sondern das Innenleben des Protagonisten oder was wir darüber vermuten. The Killer ist durchaus auch ein eigenwilliges Psychogramm.
Ein Hut gefüllt mit Hohlraum

Eines, das in der Welt eines Bond-Films spielt. Es geht durch Paris, New Orleans, Florida, New York, wo überall neue Widersacher warten, mit denen es sich rumzuschlagen gilt. Die Dominikanische Republik rundet das mit einem Hauch von Exotik ab. Dazu gibt es Whiskeyverkostungen, Fitnessstudios, Bürokomplexe, hochgezüchtete Kampfhunde. Die Marker von Rationalisierung und Selbstoptimierung – selbst die des Genusses – sind allgegenwärtig. Es werden aber auch die Executives der Vergangenheit und der Gegenwart gegenübergestellt. Der eine trägt Anzug und bestellt sich eine Domina aufs Zimmer. Der andere ist da viel weniger glamourös und trägt selbstredend ein Sub-Pop-T-Shirt. Es ist eben eine Welt der Macher, in der Leute in wirtschaftlich prekären Lebenssituationen marginale Erscheinungen sind, deren sich bedient wird. Der Film endet mit einem Kaffee, der nicht einfach in eine Tasse gekippt, sondern hip aufbereitet wird. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, der einem gewandten, wunderschön temperierten Film auch noch die bittere Note beigibt, wie schrecklich diese geleckte Welt ist.

Der Film versucht gar nicht erst, zeitlos zu erscheinen. Smartphones, allgegenwärtige Überwachungskameras, Gadgets, die schnell an die Amazonpackstation bestellt werden: The Killer ist sichtlich ein Film unserer Zeit. Einer, der im Hier und Jetzt steht und uns mit seiner Hauptfigur etwas über uns sagen möchte. Einer der schönsten – bewussten oder unbewussten – Witze liegt darin, dass Michael Fassbender fast den gesamten Film über mit Hut herumläuft. Wie er sagt, um den Look eines deutschen Touristen zu imitieren. Andererseits hört er vor allem Smiths-Songs von Album Hatful of Hollow. Ein Hut gefüllt mit Hohlraum, ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
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