Der Geburtstag – Kritik

VoD: Als Film über die Krise von Kleinfamilie und Vaterschaft wäre Der Geburtstag nicht der Rede wert. Doch Regisseur Carlos A. Morelli macht daraus ein verschwenderisches Fest, bei dem er sich kreuz und quer durch die Geschichte des Kinos zitiert.

Ein unerhörtes Genre- und Stil-Mashup, ein undurchschaubares Sammelsurium an Filmzitaten und -klischees, ein Flickenteppich verschiedenster Versatzstücke, Motive, Stereotype, schamlos und ohne Unterschied zusammengeklaubt aus großen Klassikern wie neuesten Kassenschlagern. Dieser Spielfilm ist ein Filmspiel, so sehr, dass die Story bloßer Anlass für cineastischen Schabernack zu sein scheint und ohnehin eher konventionell und schnell erzählt ist: Matthias ist ein schlechter Vater, der dem Sohn den Zoobesuch verspricht, aber das nicht hält, weil er „wahnsinnig viel zu tun hat“. Er, der Grobian ohne Sinn für zarte Kinderseelen, bekommt die Chance zur Umkehr, als nach Juniors Geburtstagsfeier einer der kleinen Gäste zurückbleibt, nicht abgeholt wird, die Mutter unerreichbar bleibt. Wider Willen trägt Matthias nun Verantwortung für Julius, einen Bub mit Knopfgesicht und Lactoseintoleranz, muss diesen auf einer Irrfahrt durch die Nacht nach Hause bringen und lernt dabei, wie schön es ist, von einem kleinen Menschen gebraucht zu werden. Wäre Carlos A. Morellis Der Geburtstag bloß ein Film über die Krise von Kleinfamilie und Vaterschaft, er wäre nicht der Rede wert. Doch es ist das, was bleibt, zieht man den Inhalt ab, das interessiert.

Film noir, Der dritte Mann und viel Hitchcock

Ein Versuch, Form mit Inhalt übereinzustimmen, wird in dem in Schwarz-Weiß gedrehten Film erst gar nicht unternommen. Monochromie, scharfe Kontraste, Nacht und Regen, Licht, das sich wabernd im Wasser spiegelt, Licht, das in Strahlen durch verrammelte Fenster fällt: Das sind keine Metaphern für die Abgründe einer Vater-Sohn-Beziehung – das ist einfach die Lust am Film-noir-Stil.

Feucht glänzende Pflasterstraßen, Lichtkegel werfende Straßenlaternen, vorbeihuschende Schatten und laut hallende Schritte: eine Szene wie aus Der dritte Mann (The Third Man, 1949). Dazu das Wrong-Man-Motiv Alfred Hitchcocks: Matthias sieht sich kurz mit dem falschen Vorwurf der Kindsentführung konfrontiert und reagiert auf eine Weise, die ihn erst verdächtig macht. Überhaupt geben Hitchcocks Filme die Inspiration ganz vieler Szenen in Der Geburtstag ab: Matthias stürzt Frauen hinterher, in denen er fälschlicherweise Julius Mutter wiedererkennt: Vertigo (1958). Ein in Händen gehaltenes weiß leuchtendes Glas als einzige Lichtquelle in einer düsteren Szenerie: Verdacht (Suspicion, 1941). Ein Treppenhaus, in dem das Bild aus den Fugen gerät, alles anfängt sich zu drehen: noch mal Vertigo. Und der Suspense zieht sich durch den ganzen Film: Eine ständige Bedrohung, eine Gespanntheit wird inszeniert, und am Ende geschieht – nichts. All das in einen bedeutsamen Zusammenhang mit der Handlung des Films zu bringen ist müßig, verständlich wird es nur als Hommage an den Meister.

Kunstnebel bis zur Albernheit

Eher lässt sich Der Geburtstag als zeitgemäßer Familienfilm über die Suche nach einem neuen Vatertyp verstehen. Dennoch irritieren Kostüm und Kulisse permanent die Verortung des Films in der Gegenwart: Das Vehikel, mit dem Matthias und Julius durch die Nacht irrlichtern, ist ein Oldtimer, die Orte, an die uns der Film verschlägt, sind ein Theaterfoyer mit Biedermeier-Garnitur, eine Eisdiele wie aus den USA der 50er, ein säulengesäumter Hausflur im klassizistischen Stil. Einen Retro-Effekt haben auch die vielen Anleihen bei Horror-Klassikern, etwa der Grusel unschuldig aussehender Kinder, die fähig sind, unwahrscheinlich schnell zu verschwinden, und Dinge wissen, die sie gar nicht wissen können, oder der bis zur Albernheit eingesetzte Kunstnebel, der seit den Dreharbeiten zu Dracula im Jahre 1931 möglicherweise nicht mehr in solchen Mengen benutzt worden ist.

Der Geburtstag ist erst der zweite Langfilm Morellis und sein erster auf Deutsch. Der Regisseur ist in seinen Vierzigern, lebt in Berlin und hat offensichtlich großen Spaß daran, inkohärente, anspielungsüberladene, schwarz-weiß zusammengewürfelte Filmwelten zu erschaffen. Sich das anzugucken, macht auch Spaß. Schade nur, dass Der Geburtstag in seiner Inkohärenz inkohärent ist. Sein Hauptteil wird gerahmt von zwei Sequenzen, deren Stil so nüchtern und unbedrohlich ist, dass das Dazwischen, die unheimliche Odyssee durch die Nacht, ins Allegorische rutscht, zu einer albtraumartigen Episode wird. So entsteht der Eindruck, dieses verschwenderische Fest der Filmmittel, Filmstile und Filmzitate habe der Rechtfertigung bedurft. Das aber wäre gar nicht nötig gewesen.

Der Film steht bis 24.08.2021 in der ZDF-Mediathek.

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