Der dreizehnte Gast – Kritik
Neu auf DVD: Der Regisseur Jacques Tourneur schätzte das unterschwellig Brodelnde und atmosphärisch Ambivalente mehr als straightes Storytelling. In Der dreizehnte Gast (1951) schickt er einen unterkühlten Ray Milland im Post-War-Britain auf eine Reise zu den Toten.

Der aus Frankreich stammende Filmemacher Jacques Tourneur (1904–1977) hat sich in einer ganzen Reihe von Hollywood-Genres mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegt. Allen voran sind hier die uramerikanischen Filmwelten des niedrig budgetierten Gruselhorror-, Noir- und Westernfilms zu nennen. Stöbert man in Tourneurs Filmografie jenseits von so kanonisch gewordenen Titeln wie Katzenmenschen (Cat People, 1942) und Goldenes Gift (Out of the Past, 1947), findet man aber auch ein vor sexuellem Subtext nur so überquellendes Technicolor-Piratenspektakel (Die Piratenkönigin / Anne of the Indies, 1951), ein Football-Melodram mit dem so breitschultrigen wie wehleidigen Victore Mature (Easy Living, 1949) sowie einen Kriegsfilm von 1944, der aus heutiger Sicht erstaunlich ideologiearm vom sowjetischen Westfrontkampf erzählt (Days of Glory). Und dann ist da noch der kaum gesehene und besprochene, ja wenig geliebte Der dreizehnte Gast (Circle of Danger, 1951), der sich einer klaren Genrezuschreibung auffällig entzieht und den das retroaffine Label Ostalgica kürzlich als deutsche DVD-Erstveröffentlichung herausgebracht hat.
Zwischen Bilderfluss und -stillstand

Unabhängig davon, welches Genre Tourneur vom Studio aufgetragen wurde, verstand der Spezialist für limitierte Produktionsmittel es wie kaum ein anderer, in sich stimmige und zugleich doppelbödige Welten zu entwerfen. Zur Verfügung hatte er dafür häufig nicht die erste Liga der Stars und weniger als neunzig Minuten Laufzeit. Und er zählte nicht zu jenen Studio-Professionals, die die produktionsökonomischen Begrenztheiten in schnörkellos gradlinige Storys übersetzten; bei denen filmisch nichts mehr links und rechts vom Handlungswesentlichen existiert. Im Gegenteil. Tourneur schätzt das unterschwellig Brodelnde und atmosphärisch Ambivalente. Immer wieder gibt es auch abzweigende Pfade, die einem bloß zweckmäßigen Storytelling nicht ohne Weiteres entsprechen. Zu sehr ist er an schillernden Tableaus interessiert, die auch mal alles andere lahmlegen. Man findet in den schnell abgedrehten Filmen eigentlich keine hingeschluderten Bilder. Das Wechselspiel von Figur und Raum ist selbst auf der B-Side seines B-Movie-Œuvres nuanciert und von Formwillen durchdrungen.
Zwischen den Stühlen

Bei Circle of Danger, einem solchen Tourneur-Film aus der (vermeintlich) zweiten Reihe, ist der Zickzackkurs der Story offensichtlich. Die quasi-detektivische Suche nach dem „13. Gast“ ist Dreh- und Angelpunkt; ein Gast, der eigentlich nur im deutschen Verleihtitel existiert und vielmehr Phantom genannt werden müsste. Zu einer wirklichen Jagd auf einen Unbekannten kommt es aber nie. Eigentlich überhaupt nicht zu dem, was man landläufig Spannung nennt. Das liegt auch daran, dass der von der amerikanischen RKO Pictures Inc. vertriebene und von der britischen Coronado produzierte Film sich eben nicht recht für ein Genrerezept entscheiden mag: Zwar hat er Krimi-Anteile, ist für einen zeitgenössischen Noir-Thriller aber zu wenig halbseiden und tough. Gefühle treiben das Ganze voran, aber für ein Melodram kommt es doch zu nüchtern daher. Irgendwo zwischen diesen Genres liegt er mit seiner präzisen Schwarz-Weiß-Fotografie und den schwelenden Innerlichkeiten aber schon.

Dass der Film sich nicht einem bestimmten Typ von Unterhaltungsfilm zugehörig fühlt, ist für Tourneurs Kino so nicht üblich, das, wie gesagt, die zeitgenössische Bandbreite an populären Genres ohne Scheu abklappert, bei dem sich die jeweiligen Beiträge aber doch meist bereitwillig in die konventionell-vordefinierten Bahnen einfügen. Der etwas aus der Reihe tanzende Circle of Danger gilt vielleicht nicht zuletzt wegen dieser „Heimatlosigkeit“ als ein Titel speziell für Tourneur-Komplettisten.
Zwischen Straßen- und Geisterfilm

Der Amerikaner Clay Douglas (ein unterkühlter Ray Milland) hat seinen Bruder „in action“ verloren. Er fiel im Zweiten Weltkrieg, wo er die britische statt der amerikanischen Uniform trug. Clay hat Indizien dafür, dass es nicht beim Feindkontakt geschah, sondern es ein Kamerad der zwölfköpfigen Kampftruppe selbst war, der ihn erschoss, regelrecht hinrichtete. Und so ist Clay nun im Post-War-Britain unterwegs und wühlt die kürzlich geendeten Kriegsjahre wieder auf, die alle Beteiligten am liebsten hinter sich gelassen hätten. Er befragt die ehemaligen Kameraden, manche wissen nichts, andere wollen nichts wissen. Die Puzzleteile setzen sich dennoch mehr und mehr zusammen. Es wird klar, nicht zwölf, sondern dreizehn Männer waren beim tragischen Einsatz dabei. Wir folgen unserem innerlich getriebenen Helden dabei, wie er dessen Fährte aufnimmt, von einer Spur zur nächsten reist, erst Stadt, dann Land, dann wieder zurück, dabei insgesamt weniger einem äußerem als einem innerem „Ziel“ näherkommend. Es ist eine Reise zu den Toten – speziell auf Clay und seinen Bruder bezogen, aber auch metaphorisch auf das Land nach dem Krieg –, die nicht zur Ruhe kommt. Vielleicht ließe sich Circle of Danger deshalb sogar als eine Mischung aus zwei besonders allegorieaffinen Genres verstehen: dem Roadmovie und dem Geisterfilm.
Zwischen Verismus und Romantizismus

Der Tod geistert konstant herum, ohne je direkt ins Bild zu kommen. Was stattdessen dargestellt wird, sind merkwürdig für sich stehende Vignetten alltäglichen Lebens und der Blick des Fremden auf ein Land, in dem die Leute anders als die Amerikaner sind. Sie erscheinen verstockt, trinken Tee, lieben die unberührte Natur und reden entweder schwer entzifferbaren Dialekt oder wenig direktes Zeug. Diese Betonung einer Britishness in einem britischen Film hat sicher damit zu tun, dass die US-amerikanische RKO den Film primär für den heimischen Markt auswertete und auf eine Prise europäischen Exotismus setzte. Dafür wurde die US- gegenüber der UK-Fassung (beide sind auf der DVD enthalten) sogar um zwölf auf insgesamt 71 Minuten eingekürzt; so ließ sich Circle of Danger ins Geschäftsmodell der Double-Bill-Screenings integrieren. Das Auffällige beim Vergleich beider Fassungen: Zwei der schönsten Sequenzen wurden dem US-Publikum vorenthalten. Rein von der Erzähllogik her betrachtet, ist das nachvollziehbar. Es sind nämlich eben jene Passagen, die dem Film nicht helfen, voranzuschreiten. Zugleich stehen sie für seine Mehrstimmigkeit.

Die britische Fassung beginnt mit einer Sequenz, die symbolträchtig etwas vorwegnimmt, was den Film konstant umtreiben wird. Aus dem Dunkeln wird etwas an die Oberfläche gebracht. Vor der Küste Floridas entdeckt ein Team von Tauchern in eigentümlich dokumentarisch anmutenden Einstellungen ein Gesteinsvorkommen, das ein Vermögen verspricht. Einer von ihnen ist Clay Douglas, der sich prompt auszahlen lässt, um nun dem mysteriösen Tod seines Bruders in Übersee nachzugehen (die US-Fassung lässt dieses Wie es dazu kam einfach weg).

Die zweite Sequenz hat auch mit Wasser zu tun. Doch statt Bilder wie aus einem Kulturfilm gibt es hier Leinwand-Mystik. Clay ist mit Elspeth (Patricia Roc) in den schottischen Highlands unterwegs, die parallel zum Whodunit-Plot „mitgeschliffene“ Lovestory nimmt Gestalt an. Sie bleiben auf einem Hügel stehen und blicken hinab ins Tal auf einen See, der, von Gebirgsmassiven umschlossen, in atmosphärisches Licht getaucht seine funkelnde Oberfläche präsentiert. Eingefrorene Lichtreflexe verraten uns schnell, dass das ein Matte Painting oder eine Rückprojektion sein muss. Irreal kommt der Film für einige Momente zum Erliegen. Clay sagt, er habe den Eindruck, schon einmal hier gewesen zu sein. Im orchestralen Score ertönt die Melodie, die sich durch den Film zieht und wieder und wieder preisgibt, was der Mörder seines Bruders pfiff, als er ihm in den Kopf schoss.
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