Der Dorflehrer – Kritik
Love Hurts: Für die Menschen in Der Dorflehrer bringt die Liebe mehr Leid als Freud. Als Gegenmittel für die Einsamkeit dienen ihnen vorübergehende Zweckgemeinschaften.

Bei seiner Ankunft in der tschechischen Provinz wirkt der idealistische Lehrer Petr (Pavel Liska) wie ein Fremdkörper. Die sichere Anstellung an einem angesehenen Prager Gymnasium hat er gekündigt, um in seinem selbst gewählten Exil die Dorfkinder in Biologie zu unterrichten. Als er auf die verwitwete Marie (Zuzana Bydzovská) trifft, die gemeinsam mit ihrem achtzehnjährigen Sohn (Ladislav Sedivý) einen Bauernhof betreibt, und sich mit ihr anfreundet, deutet nach klassischen Erzählkonventionen alles darauf hin, dass sich zwischen den beiden eine Liebesgeschichte anbahnt. Doch dies ist nur eine unter vielen falschen Fährten, die Bodhan Sláma (Die Jahreszeit des Glücks; Stestí, 2005) in seinem Film Der Dorflehrer (Venkovský ucitel) setzt, denn wenig später erfahren wir, dass Petr schwul ist.
Mit der Ankunft seines schmierigen Exfreunds (Marek Daniel), der sich im Dorf wegen seiner großstädtischen Arroganz nicht gerade beliebt macht und stets droht, Petrs Geheimnis zu enthüllen, etabliert Slamá dann eine Figur mit reichlich Konfliktpotenzial, die er kurz darauf wieder verschwinden lässt. Solche Wendepunkte verleihen dem Film eine fast episodische Struktur, was jedoch nicht heißen soll, dass Der Dorflehrer keiner linearen Handlung folgt. Sie vollzieht sich nur über Umwege in einer Art Zickzack-Bewegung. Jeder Erzählstrang, der im Sand verläuft, schafft eine neue Situation, mit der die Handlung weitergeführt wird. Als beispielsweise der arrogante Schnösel mit Beruska (Tereza Vorísková), der Freundin von Maries Sohn, durchbrennt, findet sich Petr plötzlich als Tröster und Ersatzvater des Jungen wieder. Eine Rolle, die ihn schließlich zum Opfer seiner Lust macht.

Petr wird als vergeistigter Intellektueller dargestellt, der seine Gefühle mit dem Verstand kontrolliert und beweisen will, dass man auch in der Einsamkeit seine Erfüllung finden kann. Das Scheitern dieses Lebenskonzepts zeigt der Film in einer quälend langen Szene, in der Petrs unterdrücktes Verlangen nach einer durchzechten Nacht mit Maries Sohn aus ihm herausbricht.
So wie Petr sind alle Figuren einsam und sehnen sich nach Nähe. Die Liebe als schmerzhafte Erfahrung zieht sich dabei als Motiv durch den gesamten Film. Marie steht mit ihrem vom Leben gezeichneten Gesicht und ihrem Hang zum Alkoholismus geradezu exemplarisch für die tiefen Narben, die ein gebrochenes Herz hinterlassen kann. Auch ihr Sohn leidet daran, dass er seine Freundin mehr liebt als sie ihn. Liebe beruht in Der Dorflehrer nicht auf Gegenseitigkeit, und bekommen kann man nur den, den man nicht will. Diese pessimistische Sichtweise relativiert der Film wieder durch ein die Menschen verbindendes Mitgefühl füreinander. Das Wissen um die Schwierigkeiten des menschlichen Daseins führt zu einer gegenseitigen Solidarität und verwischt sogar die soziale Grenze zwischen einem bildungsbürgerlichen Großstädter und einer Landwirtin aus der Provinz.

An einigen Stellen verstärkt der Film die Melancholie seiner Figuren noch durch formale Mittel. Ihre innere Traurigkeit scheint etwa in den getragenen Kamerafahrten über die malerischen Getreidefelder oder dem an Barockmusik angelehnten Soundtrack von Vladimír Godár ihren Ausdruck zu finden. Dabei überfrachten diese Stilisierungen den Film lediglich.
Seinem humanistischen Weltbild entsprechend, propagiert der Film deutlich die Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe. Im Laufe der Handlung bekennt sich Petr nicht nur zu seiner Sexualität, sondern lehrt auch in seinem Unterricht anhand von Normabweichungen in der Natur die Einzigartigkeit des Individuums. Die gute Absicht des Films wird dabei zeitweise von antiquierten Schwulenklischees überschattet. Dem Zuschauer wird etwa suggeriert, dass die Homosexualität des Protagonisten auf seine überdominante Mutter zurückzuführen ist. Außerdem koppelt Sláma den gesamten Film über Petrs Verlangen mit einem Schuldkomplex. Nur einmal darf er sexuell begehren, und dafür muss er in geradezu biblischem Ausmaß büßen.

Wenn Petr dagegen sein Glück in einer heterosexuellen Ersatzbeziehung findet, inszeniert dies Sláma nicht als die Lösung aller Probleme, sondern verdeutlicht auch die Kurzlebigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Verbindung. Mit dem gleichen Satz, den man am Anfang des Film schon einmal von Petrs Mutter gehört hat, erklärt Marie ihrem Sohn, warum sie mit seinem Verführer zusammenleben möchte, und fasst zugleich noch einmal die Aussage des Films zusammen: "Jeder braucht jemanden".
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Kommentare
Axel Hober
Ein toller Film aus Tschechien, wo ich oft hinfahre....
In Tschechien ist man vor allem auf dem Lande noch sehr konservativ..
Selbst in größeren Städten gibt es bis jetzt noch keinen CSD...
Daher wird dieser Film dort sicher auch einiges bewirken, bzw. Diskusssionen auslösen...
Unter
www.axel.hoeber.site.ms
ist eine ähnliche Geschichte zu finden...
Es ging mir fast ebenso...
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