Der Boxer und der Tod – Kritik
Ein KZ-Kommandant und sein Häftling als Sparringspartner. Der Boxer und der Tod (1962) zeigt einen instabilen Status quo zwischen Fair Play und reguliertem Verbrechen. Das Meisterwerk der Slowakischen Neuen Welle liegt nun auf DVD und Blu-ray vor.

Walter Kraft trainiert am Boxsack. In wiegenden Bewegungen des geduckten Körpers schlägt er lange auf ihn ein, bearbeitet ihn sichtbar frustriert und zunehmend müde von allen Seiten. Bald sehen wir mehr: einen Raum mit einer Kletterwand, einem Bock, einer Birne, mehreren Turnbänken. Erst als Kraft, von Manfred Krug gespielt, sich hinterm Vorhang umzieht, ist das Bild vom Ausschnitt endgültig aufs Ganze ausgeweitet. Der Effekt des Kostümwechsels ist schockartig – der Sportler wird zum SS-Offizier und Kommandanten im Konzentrationslager.
Ein KZ-Führer, der lieber im Ring wäre

Peter Solan, der zu den herausragenden Regisseuren der Slowakischen Neuen Welle gehörte, hätte Der Boxer und der Tod bereits einige Jahre früher realisieren können, aber die heimische Filmbehörde ließ ihn erst 1962 durch. Das hat damit zu tun, dass Walter Kraft als Faschist nicht bösartig genug und in punkto seiner Pflichten als Lagerführer deutlich antriebslos rüberkommt. Als ihm die ersten Haare ausgefallen seien, sagt er, habe man ihnen den Blitzkrieg versprochen. Jetzt fehlt es Walter Kraft deutlich an Kopfbehaarung, und er wünscht sich, er wäre längst woanders. Seine hübsche Frau Helga (Valentina Thielová), die sich mit Gymnastikübungen in Form hält, plant ausgiebig fürs gemeinsame Leben nach dem Krieg. Dann soll Kraft wieder im Ring stehen, mit reiner Weste. Aber noch steht er auf dem Appellplatz inmitten eines staubigen Geländes mit Stacheldraht, wenigen Baracken und einer Handvoll ausgemergelter Häftlinge, deren Vernichtung hier offenbar eher schleppend vorangeht. In der Kurzgeschichte des polnischen Schriftstellers und passionierten Turners Józef Hen, die dem Film als Vorlage diente, heißt es: „Kraft hasste seine Häftlinge, denn er fühlte sich als Verbannter wie sie.“
Elektrisierende Brechungen

Im Film lässt der Kommandant diejenigen, die wegen Fluchtversuchs exekutiert werden sollen, gelangweilt nach dem Pfiff in die Hocke gehen. Als Strafübung. In einem dieser Männer erkennt er am Reflex und an der leicht eingedrückten Nase einen Boxer. Da ihm ein Sparringspartner fehlt, schenkt er Jan Kominek (Štefan Knitiek) das Leben, zieht ihn aus der Reihe der Verurteilten in die sportlich bestens ausgestattete Welt, die zur KZ-Kulisse im gewaltigen Widerspruch steht. Den erneuten Wechsel von Setting und Kostüm inszeniert Solan wieder ohne Zäsur und Aufregung, mit den Mitteln der Musik und eines einzigen Schnitts. Das ist elektrisierend. Außer dem Tod gibt es für Kominek fortan nur das Kämpfen, und die beiden Männer treten im regelmäßigen Rhythmus gegeneinander an. Der ehemalige Amateurboxer wird reichlich gefüttert und von der Arbeit freigestellt. Nach und nach gewinnt er die alte Kondition, schickt Kraft auch irgendwann mehrere Male zu Boden. Ausgangsstellung, Haken, Ausweichen – großartig, wie minimalistisch und im besten Sinne trocken, wie zurückgenommen und exakt Solan die boxenden Männer in halbnahen Einstellungen erfasst und festhält.
Demarkierungen und Verschiebungen

Nebenbei wird gewettet, Alkohol serviert, werden Snacks herumgereicht, wird geplaudert. Auch Frauen schauen zu. Ebenso deplatziert wie diese Frauen in ihren Abendtoiletten wirkt auch der frische, ausgeruhte Kominek inmitten anderer Häftlinge, deren neidische Blicke er als „Spitzelchampion“ fortan kassiert. Im Ring darf er den Kommandanten zwar überlisten und schlagen, aber gewinnen darf er nicht. Die Verzwicktheit seiner Lage führt der Film immer wieder mit dem schwarzen, aus dem Krematoriumsschlot aufsteigenden Rauch deutlich vor Augen. In Der Boxer und der Tod bleibt der Status quo äußerst instabil, weil er zwischen Fair Play und dem regulierten Verbrechen oszilliert und die „Spielregeln“ weder hier noch da ohne Weiteres gültig bleiben. In Bis diese Nacht endet von 1965 interessiert sich der slowakische Regisseur wieder für einen hermetischen Raum – diesmal ist es ein Nachtclub –, in dem einiges ins Schleudern kommt. Zwei junge Stenotypistinnen lassen es sich mit dem lange Gesparten ein paar Tage weit über ihre Verhältnisse gut gehen, und ein Buchhalter verpulvert das Geld seiner Kameraden, indem er für alle Anwesenden mehrere Runden schmeißt.
Solan operiert nicht mit Gut und Böse, sondern mit Demarkierungen und Verschiebungen, mit denen er seine Figuren mit großer Spannung konfrontiert. Die Geschichte von Der Boxer und der Tod kann durchaus aus der Perspektive der Moral und des Heroismus gelesen werden, muss sie aber nicht. Was fasziniert, ist, wie an ganz konkreten Dingen, in einem klaren haptischen Rahmen, mit reduzierten Stilmitteln und zurückgenommenem bildtechnischem Aufwand das innere Zerwürfnis eines Einzelnen anschaulich wird.
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