Der Boden unter den Füßen – Kritik

Der anstrengende Berufsalltag einer jungen Unternehmensberaterin bietet keinen Platz für ihre psychisch kranke Schwester. Der Boden unter ihren Füßen wird in Marie Kreutzers neuem Film dabei nur für kurze Zeit wacklig.

Lola, eine junge Frau um die dreißig, lässt sich von einer Ärztin untersuchen, weil sie Anrufe angenommen hat von jemandem, der sie gar nicht hätte anrufen können. Ob ihre gegenwärtige berufliche Situation stressig sei, fragt die Ärztin, und ob es in der Familie bereits psychische Erkrankungen gegeben habe. Letzteres verneint Lola (Valerie Pachner), dabei lügt sie. Ihre ältere Schwester Conny (Pia Hierzegger) leidet seit Jahren an paranoider Schizophrenie: Der Alltag überfordert sie, die meiste Zeit verbringt sie in einer geschlossenen Anstalt. Dort sind Mobiltelefone verboten.

Der Boden scheint wackelig zu werden

Aber das Handy hat geklingelt, das haben wir gesehen: Anrufer – anonym, aber die Stimme war Connys. Sie hat gesagt, dass sie ihre Schwester braucht. Deshalb hat sich Lola aus wichtigen Arbeitsmeetings rausholen lassen, ist dafür zwischen Wien und Rostock mehrfach hin und her geflogen. Ist Lola in ihrem Job als Unternehmensberaterin überarbeitet, ist sie selbst vielleicht nicht ganz gesund im Kopf? Oder haben sich die Dinge wirklich so zugetragen, wie der Film sie uns präsentiert hat? Der im Titel angekündigte Boden unter ihren Füßen scheint für eine kurze Zeit wackelig zu werden. Und vielleicht hätte es dem Film gut getan, wenn er diesen Weg wirklich eingeschlagen, wenn er die Frage nach der Norm und danach, wer sie bestimmt, gestellt, wenn er das konkrete und das ungewisse Register vermischt hätte. Die so hergestellte Situation bleibt ein loses Ende. Der Boden unter den Füßen muss wieder weiter. Das ist schade.

Harter Materialismus

Die Österreicherin Marie Kreutzer bevorzugt stabile und beherrschte Narration, arbeitet häufig mit Typisierung. In Was hat uns bloß so ruiniert (2016) waren es die bourgeois bohémien, eine Figurenkonstellation aus drei Paaren, die gleichzeitig Kinder bekommen. Menschen, die in einer perfekt ausgestatteten Welt leben – alles ist da und an dem dafür vorgesehenen Platz –, nur das Glück und die Ruhe bleiben weg. Damals war es der sanfte Materialismus, jetzt wird es ein harter. Das Berufsbild einer Unternehmensberaterin zeichnet die Regisseurin bis auf den letzten Strich so, wie es uns aus zahlreichen anderen Kino- und Fernsehfilmen bereits vertraut ist – eiskalt, unsympathisch, auf den eigenen Vorteil bedacht. „Fitter, happier, more productive“ steht als Motto an der Tür eines Hotel-Fitnessraums, wo Lola im Morgengrauen Sport treibt. Dann kehrt sie in das fahl beleuchtete und eigenschaftslos eingerichtete Hotelzimmer zurück, duscht, nimmt sich ein Paar von pathologisch akkurat in einer Kommode einsortierter Unterwäsche. Auf der Arbeit ist sie stets in taillierte, eng anliegende und perfekt sitzende Kostüme gekleidet, die Bluse stets bis zum Hals zugeknöpft. Lola trägt Schuhe mit hohen Absätzen. Laufen kann sie damit gut – ein Karrieresprung steht in Aussicht. Darum muss sie intakt bleiben, darf nicht aussteigen, nicht jetzt. In einem provisorisch eingerichteten Büro kontrolliert sie Zahlen und erstellt Präsentationen bis spät in der Nacht. Szenen wie diese filmt die Kamera gerne durch Glasscheiben.

Tadellos, sauber, fad

Wie Lolas Outfits ist der Film von Marie Kreutzer auch tadellos, sauber, vor allem fad. Die Figuren tun und sagen voraussehbare Dinge. Die Szenen kommen lieblos mechanisch aneinandergereiht daher. Die Regisseurin zeigt ein Milieu mit seinen Symptomen – sich selbst und alles, was im Leben wirklich zählt, verliert man hier schnell und mit fatalen Folgen aus den Augen. Der Boden unter den Füßen, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale läuft, liefert lediglich eine altbekannte Botschaft mit wenig Mehrwert. Schön dagegen sind die Nahaufnahmen von Valerie Pachners Gesicht, von ihren Augen, die mal mehr, mal weniger müde sind. Interessant auch, wie schnell in dem hier geschilderten Milieu die Steifheit in den unverhüllten Sexismus kippt. Wie eine Branche, in der Stilstand nichts und Veränderung alles ist, in Sachen Gender und Life-Work-Balance unserer Zeit – so zeigt uns jedenfalls der Film – einige Jahre zurückbleibt.

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