Dene wos guet geit – Kritik

MUBI: Cyril Schäublins Erstlingswerk Dene Wos Guet Geit nimmt Zürich in den streng kadrierten Blick und zeigt radikal statische Bilder einer statischen Gesellschaft.

Das Kino unterhält eine enge Beziehung zum Kapitalismus. Eng schon deswegen, weil diese Beziehung direkt dem Wesen beider entspringt: dem des Kapitalismus mit seiner Fähigkeit, Gesellschaften zu spalten, sie in Gewinner und Verlierer aufzuteilen, womit er ein beständiges Ziel der Kritik bleibt. Und dem des Kinos, das sich mit seiner schon früh propagierten „realistischen Tendenz“ (Siegfried Kracauer) besonders gut eignet, immer wieder die Nähe des Anderen zu suchen, ihn darzustellen, ihn zu problematisieren, folgerichtig die Rolle des Kritikers einzunehmen. So verstanden, greift das Kino also die vorfilmische Realität auf, um sie in seinem Endprodukt mit ihren Problemen zu konfrontieren. Und dabei sieht es sich gerne nach den extremen Ausformungen der Realität um. Einerseits, indem es auf den Reichtum schaut: gierige Finanzwelten, pompöse Unternehmer. Geld und Macht – meist verbunden mit einer überbordenen Visualität und skrupelloser Habgier der Figuren. Andererseits nimmt es auch die Armut mit ihren heruntergekommenen Welten und wenig Hoffnung für die Zukunft in den Blick. Das eine ein protziges „zu viel“, das immer mehr will, das andere ein trostloses „zu wenig“, das immer weniger kriegt: Versionen der Realität, die sich bestens für das Erzählen einer Geschichte anbieten, die dem Kino stets entgegenkommen.

Mehr Fläche als Bild, zu sehr Bild, zum Welt zu sein

Der Schweizer Film Dene Wos Guet Geit (auf Englisch Those who are fine) von Cyril Schäublin deutet schon im Titel seine Beschäftigung mit dem Kapitalismus an. Die Version der Realität, genauer die der Stadt Zürich, die hier meist innerhalb episodenartiger Gesprächsszenen gezeigt wird, vermeidet jedoch die beiden oben skizzierten Extreme: Nicht die überladenen Ikonografien des Reichtums sind hier zu sehen, nicht die elenden Welten der Armut zu besuchen. Stattdessen ist in Dene Wos Guet Geit ein Blick am Werk, der so radikal statisch ist wie das, was er darstellt. Ein Blick, der gegen den illusionistischen Charakter der filmischen Welt selbst arbeitet: In seinen nahen Einstellungen ist er so flach, dass eine dreidimensionale Vorstellung des Bildinhalts fast entfällt. In seinen Totalen so geschlossen, dass er kaum eine Welt außerhalb impliziert, mit deren Zukunft und Vergangenheit der Film sich beschäftigen will. Ein Blick mit Nahen, die mehr Fläche als Bild sind – mit Totalen, die zu sehr Bild sind, um wirklich Welt sein zu können.

Es sind Bilder, die aber gerade noch so viel Realität behaupten, um darin die Schweizer Gesellschaft zu finden. Bilder von Gesprächen bei der ruhigen Arbeit im Callcenter, der Polizei oder der Bank, die den Horizont aus Problemen der weitgehend undefinierten Figuren abstecken: ein Router, der ein bisschen zu viel strahlt, eine Kundin, deren Krankenversicherung schon zu gut ist, als dass man ihr eine neue verkaufen könnte. Eine Großmutter, die nicht mehr so viel Geld zum Geburtstag schenkt wie früher, und immer wieder der fehlende Empfang auf dem Smartphone. Eine Gesellschaft, deren größtes Problem es womöglich ist, keine richtigen Probleme zu haben?

Eine Gesellschaft, die das Kino vor Probleme stellt

Nach ungefähr einem Drittel dieses lakonisch kurz gehaltenen 70-Minüters steht dann eine ältere Dame an einem Bankschalter und möchte 50.000 Schweizer Franken abheben. Den „Transcode“ brauche man dafür, der sich nur über Internet abrufen lässt, sagt der Bankangestellte mit einer so heruntergekühlten Miene, wie überhaupt alle Figuren des Films sie besitzen. Erst ist die Dame ein wenig verwirrt: „Transcode?“, fragt sie, dann schaut sie auf ihr Smartphone. Das Wi-Fi der Bank sorgt für guten Empfang, und ein paar weitere Anweisungen, Sicherheitsvorkehrungen und Fragen später hält sie ihr Geld in der Hand. Eine wunderbare Szene, weil sie bemerkbar macht, wie viele Angebote zur Entwicklung einer Geschichte der Film generell ausschlägt. Noch wunderbarer aber, weil man erst hinterher merkt, dass sie tatsächlich so etwas wie der Beginn der wohl einzig als echten Handlungsstrang zu bezeichnenden Bewegung von Dene Wos Guet Geit ist: Die Dame wird anschließend per Enkeltrick von einer Angestellten des Call-Centers ihres Geldes entledigt.

Ein paar Szenen später ist aber auch dieser Strang so unspektakulär beendet, wie es nur gehen könnte. Keine Handlung, die sich als Triumph über diese öde Welt Bahn bricht, sondern lediglich als Referenz darauf, dass im Film eigentlich eine Geschichte zustande kommen sollte. Wenn es die Aufgabe des Kinos ist, in seiner Beschäftigung mit der Gesellschaft diese innerhalb einer Geschichte immer wieder vor Probleme zu stellen, dann stellt die von Schäublin porträtierte Gesellschaft das Kino vor seine eigenen.

Den Film kann man auf MUBI streamen.

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