Death of A Virgin and the Sin of Not Living – Kritik

Ein paar junge Männer wollen ihre Unschuld bei einer Hure verlieren. In George Peter Barbaris Debütfilm entwickelt sich daraus eine der stärksten und zugleich deprimierendsten Sexszenen dieser Berlinale.

Der große Tag ist gekommen für Etienne (Etienne Assal) und seine Freunde: Angeführt von Adnan (Adnan Khabbaz) werden Etienne, Jean Paul (Jean Paul Frangieh) und Dankoura (Elias Saad) quer durch ihre libanesische Heimatstadt Batrun fahren, um zum ersten Mal Sex zu haben – mit einer Prostituierten. Der Weg dorthin – zur „Mannwerdung“, wie es einer von ihnen ausdrückt – ist lang, und so lernen wir die vier jungen Männer nach und nach kennen. Sie prahlen mit ihrer Potenz, frotzeln, streiten, prügeln sich einmal fast, trinken Bier und reißen homophobe Witze. Kurzum: Sie führen der Welt und einander ihre Maskulinität vor – oder eben das, was sie dank Vätern, Brüdern, Pornos und gesellschaftlichen Projektionen für Maskulinität halten.

Männlichkeit als Performance

Regisseur George Peter Barbari blickt in seinem Debütfilm Death of a Virgin, and the Sin of Not Living hinter diese performative Fassade. Das gelingt ihm einerseits, indem er trotz aller Gemeinsamkeiten klare Differenzen zwischen den Charakteren schafft. Der schüchterne Etienne duldet die Prolligkeit seiner testosterongesteuerten Freunde, ist aber – ähnlich wie Dankoura – meist eher stiller Beobachter als Handelnder. Adnan gibt zwar lauthals mit seiner (auf einen Tag begrenzten) sexuellen Erfahrung an, lässt jedoch unter all dem Imponiergehabe immer wieder seine fürsorgliche Seite erkennen. Der angehende Jurastudent Jean Paul hingegen entpuppt sich als bigotter Macho: Als ihn einer seiner Kumpels fragt, warum er nicht einfach mit seiner Freundin schläft, mit der er seit anderthalb Jahren zusammen ist, antwortet er entrüstet: „Mit meiner Freundin? Bist du verrückt? Dann könnte ich sie ja nicht heiraten, weil sie keine Jungfrau mehr wäre!“ – „Aber du selbst darfst vor der Ehe?“, kontert der Freund. Ja, erklärt Jean Paul, das sei schließlich etwas anderes.

Skizzen des Schicksals

Der primäre Kunstgriff, mit dem Barbari unter die Oberfläche vordringt, sind aber allwissende Voice-over-Kommentare: Immer wieder erzählen verschiedene Haupt- und Nebenfiguren, wie es mit ihnen weitergehen wird – wann sie sterben werden, welche ihrer Träume platzen werden, welche Glücksmomente sie erleben werden. Während die Kamera in ihre Gesichter, auf das Meer oder die sonnendurchflutete Landschaft blickt, erfahren wir in kurzen Skizzen ihre Zukunft, aber auch all die Dinge, die sie gegenwärtig beschäftigen und die sie anderen nie erzählen würden: das Gefühl, allein zu sein, die Angst zu scheitern oder die Sorge, dass die bislang unterdrückte Homosexualität entdeckt wird. Dieses eher literarische als filmische Stilmittel verliert nach einer Weile seinen Reiz, sodass sich der Mittelteil etwas hinzieht.

Mehrfacher Verlust der Unschuld

Doch dann kommen die vier endlich am vereinbarten Treffpunkt an, und wir folgen Etienne in das Zimmer der Sexarbeiterin – und in seinen Kopf. Plötzlich ist er allein mit seinen Gedanken, seinen vor allem durch Pornografie erzeugten Vorstellungen von Sexualität und der fremden Frau, die ihm nüchterne Anweisungen gibt: dort waschen, hier hinlegen, nicht küssen, nicht kuscheln. Es wird ein erstes Mal, das er wohl kaum vergessen wird, aber doch am liebsten verdrängen würde. Barbaris Ansatz, toxische Männlichkeit und zwischen den Extremen „Mutter und Hure“ pendelnde Frauenbilder auszuloten, mag gerade in der Sektion Panorama nicht übermäßig innovativ sein. Doch insbesondere die letzte Viertelstunde, in welcher der Protagonist im mehrfachen Sinne seine Unschuld verliert, beeindruckt mit einer der vielleicht stärksten, mit Sicherheit aber deprimierendsten Sexszenen dieser Berlinale.

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