Days – Kritik

VoD: Im Lärm der Großstadt nähern sich die Bewegungen zweier Männer, nicht zielgerichtet, aber unablässig. In Tsai Ming-Liangs Days könnte man die Schnitte problemlos mitzählen, wäre man nicht von seiner kaum wahrnehmbaren Strömung gefangen.

Days beginnt mit einem Wolkenbruch. Kang (Lee Kang-Sheng) sieht, hinter einer riesigen Scheibe sitzend, den Wolken dabei zu, wie sie mehr und mehr Regen ausschütten. Im nächsten Bild liegt Kang in der Badewanne. Wasser ist nur das Motiv, das diese beiden, auf etwa zehn Minuten ausgedehnten Einstellungen verbindet, sondern vielleicht auch das wichtigste Motiv des Films. Nicht als etwas stetig fließendes, sondern als Element, das selbst im scheinbaren Stillstand immer Bewegung zulässt, immer eine Dynamik hat. Tsai Ming-Liangs Days ist ein statischer Film, der ein Tableau auf das nächste folgen lässt. Ein Film, dessen Schnitte man problemlos mitzählen könnte, wäre man nicht in dieser kaum wahrnehmbaren Bewegung gefangen, die sie durchzieht. Jeder Schnitt scheint dieser Bewegung eine neue Richtung zu geben, ohne dass der Fluss dabei in festen Bahnen gelenkt würde. Am Ende dieser Strömung steht eine Begegnung zwischen beiden Männern, die aus so metaphorisch wie tatsächlich unterschiedlichen Welten zu stammen scheinen. Non lebt in einem Apartment in Bangkok, Kang lebt allein auf dem Land.

Die Kontraste mischen sich gemächlich

In und zwischen Tsais Bildern verbergen sich die Gegensätze beider Figuren. Aus der Badewanne, in der Kang treibt, führen sie in die Dusche des jungen Non (Anong Houngheuangsy), der sich einseift, abschrubbt und abtrocknet. In die statische Welt des einen bringt ein Schnitt die betriebsame Welt des anderen. Wir sehen die Vitalität des jungen Non und die Fragilität des älteren Kang. Dieser steht, mit der Hand am schmerzenden Nacken ziehend, in der Natur. Non sitzt, das Gemüse im Kohlenfeuer auf dem Hausflur kochend, auf dem Boden. Tsai stellt die Männer gegenüber, ohne in einem schematischen Stillstand zu verweilen. Die Kontraste mischen sich gemächlich und doch unabdingbar wie die Schichten eines Sees. Als solche sind sie nicht geschaffen, um in der Gegenüberstellung zu verweilen, sondern müssen früher oder später ineinander fließen.

Im Lärm der Großstadt nähern sich die Bewegungen der beiden Männer, nicht zielgerichtet, aber unablässig. Im Hintergrund lärmt die Metropole, die vielleicht Taipei ist. Kang lässt sich hier Rücken und Nacken mit elektrischen Akupunkturnadeln behandeln und blickt auf die Häuserschluchten, immer begleitet vom Kreischen der Kleinmotorräder und dem Dröhnen der Klimaanlagen. Nachdem diese kurz verstummt sind, finden beide Männer zueinander. Wir wissen nicht wie, nur wo. Es ist ein Hotelzimmer, das die Gegensätze, die immer dazu bestimmt waren, zueinander zu strömen, vereint.

Gekaufte Zärtlichkeit ein Refugium

Für eine Nacht finden beide Männer zueinander. Ihre Rollen bleiben die gleichen. Kang liegt nackt auf dem Bett. Non massiert ihn. Von professioneller Erfahrung geleitet, gleiten seine Hände über den Körper des alten Mannes. Kurz schläft Kang ein, dann dreht er sich auf den Bauch. Wieder gleiten die mit Öl benetzten Hände über den Körper, fahren einmal zu oft über die Brustwarzen, ziehen noch einen Kreis. Non zieht seine Hose aus. Aus der therapeutischen wird eine sexuelle Dienstleistung. Er verreibt das Öl mit seinem eigenen Körper, massiert die Brustwarzen mit der Zunge, die kurz vor dem Höhepunkt einmal bis zum Mund seines Kunden wandert.

Die Intimität bahnt sich kurz ihren Weg in die Routine. Die gekaufte Zärtlichkeit scheint für beide ein tatsächliches Refugium geworden zu sein, das mit dem Höhepunkt nicht plötzlich beendet ist, sondern langsam ausklingt. Beide duschen gemeinsam. Nach der Bezahlung schenkt Kang dem jungen Mann eine kleine Spieluhr. Gemeinsam hören sie ihr noch zu. Dann umarmen sie sich zum Abschied, auf den noch ein gemeinsames Essen folgt. Was die Männer sich dort sagen, hören wir nicht. Der Lärm der Großstadt ist zurück. Nur im Hintergrund fließt leise die Melodie der Spieluhr hinzu.

Der Film steht bis 18.04.2023 in der Arte-Mediathek.

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