Dawn Breaks Behind the Eyes – Kritik

Deutsches Genre-Kino auf dem Hard:line Festival (3): Paar in der Krise landet in verfallenem Schloss: Der Fall scheint klar. Doch Kevin Kopackas experimentierfreudiger Film führt jede Erwartungshaltung des Publikums ad absurdum.

Anfangs meint man noch leicht erahnen zu können, worauf das alles hinauslaufen wird: In einem in den 1960ern oder 1970ern angesiedelten Szenario inspizieren Dieter (Frederik von Lüttichau) und Margot (Luisa Taraz), das augenscheinliche Protagonistenpaar, ein frisch geerbtes, verfallenes Schloss. Die Handlung wirkt schematisch, der Tonfall der Dialoge eindeutig. Dass es nicht gut um die Beziehung bestellt ist, scheint ebenso schnell klar, wie dass eine mysteriöse Präsenz im Schloss die ohnehin schon angespannte Lage in die Katastrophe führen wird. Diese Situation wird eine ganze Weile ausgereizt – doch dann schlägt der Film einen Haken, der vermeintliche Gewissheiten mehr als nur auf die Probe stellt. Ab hier hat „Genre“ nichts mehr mit Erwartungssicherheit zu tun.

Produktive Destablisierung

Dawn Breaks Behind the Eyes spielt nicht nur mit der Erwartungshaltung des Publikums, sondern führt sie im Verlauf der Handlung immer mehr ad absurdum, indem er herkömmliche, eine Erzählung strukturierende Elemente zunehmend aus den Angeln hebt. Regisseur Kevin Kopacka, der gemeinsam mit der Produzentin Lili Villányi ebenso für das Drehbuch seines zweiten Langfilms verantwortlich zeichnet, nutzt Genre in erster Linie für eine produktive Destabilisierung von konventionellen Wahrnehmungsmustern. Das war bereits im Langfilmdebüt der beiden, dem von Dantes Göttlicher Komödie inspirierten Hager (2020), zu erfahren, dort sogar noch auf wesentlich radikalere Art. Gegensätze wie real und unwirklich, Anfang und Ende, Außen und Innen, Haupt- und Nebenfigur, letztlich sogar Film und Nicht-Film verlieren ihre Stabilität. Das filmische Universum wird an den Rand des Zerfalls geführt, um sich auf fragile Weise immer wieder neu zusammenzusetzen.

Anschaulich machen lässt sich dieser Prozess vielleicht am besten mit der Szene einer wilden Hippiefeier, auf der die von Lüttichau verkörperte Figur, die da schon nicht mehr Dieter, sondern Klaus heißt, im Bild zunehmend isoliert wird, um dann verwundert festzustellen, dass sie scheinbar der einzige Verbliebene ist. Doch verschwunden sind die anderen Gäste nicht vollständig, sie werden wieder erscheinen – und der wirklich exzessive Teil der Party steht erst noch bevor.

Um dieses verunsichernde Seherlebnis genießen zu können, sollte man bereit sein, die Vorstellung einer klassischen Erzählung fallenzulassen, an deren Ende die zuvor aufgeworfenen Fragen aufgelöst werden. Und die Einladung annehmen, den Film vor allem als Gemengelage aus Sinnlichkeit und existenzphilosophischen Überlegungen zu erleben. Was nicht heißen soll, dass Dawn Breaks Behind the Eyes keine Geschichte anbietet. Allerdings muss es ja nicht nur eine sein. Und viel spannender als die Bemühung, die sich im Laufe der Spielzeit aufgespaltenen Bestandteile zu einer linear-kausalen Erzählung zu sortieren, ist es allemal, diese auf abstrakter Ebene auf sich wirken zu lassen.

Reminiszenzen an die europäische Genregeschichte

Zu dieser Gemengelage trägt schon die Assoziationsdichte des Films bei, die daran erinnert, wie reichhaltig die lange verpönte und zunehmend wiederentdeckte Genrelandschaft des europäischen Nachkriegskinos war. Dawn Breaks Behind the Eyes ruft diverse Prototypen aus der Zeit, in der der Film spielt, ins Bewusstsein, wie den Gothic Horror aus den britischen Hammer Studios oder den italienischen Giallo. Vor allem jedoch der Einfluss des deutschen Genrekinos wie auch des etwas abseitigeren deutschen Films scheint sich hier niederzuschlagen, von Edgar-Wallace-Verfilmungen über den Erotikfilm bis zum Melodram à la Fassbinder. Auch die New-Age-Mentalität jener Zeit findet ihren Widerhall. Dabei verfällt der Film jedoch nie einer willkürlichen Referenzmaschinerie, er macht seine Vorbilder mehr atmosphärisch fruchtbar, als sie mit eindeutigen Zitaten einfach nur abzufeiern. Dawn Breaks Behind the Eyes bleibt ein höchst eigenständiges Werk, in dem der Regisseur alternative Denkstrukturen von Raum, Zeit und Sein erkundet.

Unter der Oberfläche lodern andere Realitäten

Dass Kopacka über die Malerei zum Film gekommen ist, lassen nicht nur einige tableauhafte Szenenbilder erkennen, sondern auch der Eindruck, dass selbst die Bilder in einen Prozess der Destabilisierung überführt werden. Besonders gegen Ende nimmt der Film die Form eines palimpsestartigen Gemäldes an, unter dessen Oberfläche eine Reihe weiterer Bildschichten (im Sinne der Erzählwelt des Films, deren Grenzen keineswegs starr bleiben: andere Realitäten oder Zeiten) verborgen sind, die stellenweise – Kopackas kinematografisches Instrument hierfür ist vor allem die Montage – freigekratzt werden. Wer gefallen an einem solchen Experiment findet, denen seien beide Filme Kopackas als Double-Feature empfohlen, sie intensivieren sich gegenseitig.

Während andere Genrefilme mit einsetzendem Abspann (der im Falle von Dawn Breaks Behind the Eyes angesichts der vorangegangenen nicht allzu leichten Kost übrigens überraschend viel Spaß bringt) ihre Dienste oft abgeleistet haben, zeigt sich die Qualität von Kopackas Werk nicht nur bei der Sichtung, sondern in seiner nachhaltigen Entfaltung. Dawn Breaks Behind the Eyes ist ein Film, der das Genre- mit dem Experimental- und Kunstkino zu verbinden weiß und nach dem Screening noch ebenso eindringlich im Gedächtnis bleibt wie viele seiner Einflüsse.

Neue Kritiken

Trailer zu „Dawn Breaks Behind the Eyes“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare


GulliverG

Wie kann man zu diesem Machwerk eine "Rezension" mit so vielen Worten verzapfen? Eines hätte gereicht: BLÖDSINN
... und abgrundtief schlecht gemacht.


Maxinator

Ich LIEBE diesen Film. Absolut sehenswert und vor allem clever geschrieben und visuell beeindruckend. Ist zwar ein Film der etwas Anspruch benötigt und kein klassischer Popcorn Horror. Aber wer sich drauf einlässt, wird belohnt.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.