The Quiet Girl – Kritik
VoD: Dass es die neunjährige Caít bei ihren Gasteltern besser hat als zu Hause, ist schnell klar. Doch wie das in sich gekehrte Mädchen langsam auftaut, zeigt Colm Bairéads Spielfilmdebüt The Quiet Girl in behutsamen Trippelschritten.

Ein helles, freundliches Haus anstelle von dunklen, engen Räumen: Dass die neunjährige Caít (Catherine Clinch) es bei der Cousine ihrer Mutter besser haben wird als zu Hause, lässt sich schon auf den ersten Blick vermuten. Zu Hause lebt sie mit ihren Eltern und Schwestern in ärmlichen Verhältnissen und wird nun für den Sommer weggegeben, weil sie der hochschwangeren Mutter ein Klotz am Bein ist. Die Lieblosigkeit der Eltern ist bedrückend, dabei ohne jede Drastik vermittelt, ein paar Momentaufnahmen – ein nächtlich belauschtes Gespräch, eine abfällige Bemerkung, ein nicht gemachtes Pausenbrot – reichen dafür. Bei Filmbeginn hat sich Caít längst in ihr Refugium zurückgezogen, die erste Einstellung findet sie abgeschieden im hohen Gras liegend, weitab von den entnervten Rufen ihrer Mutter.
Unangemessene Superlative

„Manche Leute verpassen die Chance, nichts zu sagen, und machen dabei viel kaputt“: ein zentraler Satz in einem relativ wortkargen Film, der einem als Autor auch die Mahnung auferlegt, bei der Besprechung von The Quiet Girl nicht zu schwatzhaft zu werden. Wenn man der Ansicht ist, dass große Gefühle sich nur schwer mit großen Worten vertragen, ist Colm Bairéads Spielfilmdebüt ein einfach zu verstehender und schwierig zu beschreibender Film. Die superlativischen Pressezitate, die einem im Trailer präsentiert werden („wahrscheinlich der beste irische Film aller Zeiten“, „tief bewegend und umwerfend“ usw.), wirken jedenfalls unangemessen lautsprecherisch für ein im besten Sinne unspektakuläres Werk, das die Gefühlswelt eines Kindes eher in impressionistischen Tupfern zeigt, das seine Kraft aus dem ruhigen Beobachten von Gesten, Blicken, Bewegungen zieht.

Der Film erzählt, wie ein verschlossenes Kind sich allmählich öffnet, weil es vermutlich erstmals im Leben Fürsorge und Zärtlichkeit erfährt – das ist alles, oder fast alles; es gibt keinen Spannungsbogen, keine Dramaturgie mit markanten Wendepunkten, nur ein langsames Auftauen. „Fast alles“ deshalb, weil die Annäherung auch den Gasteltern etwas abverlangt. Eibhlín (Carrie Crowley) ist dem Mädchen von Anbeginn freundlich zugewandt, doch ihr Gatte Seán (Andrew Bennett) scheint zunächst ein ähnlich grober Stoffel wie Caíts Vater, und auch Eibhlíns Behauptung, „in diesem Haus gibt es keine Geheimnisse“ (ein durchaus ambivalenter Satz, weil er auch Caíts Bedürfnis nach Zurückgezogenheit entgegenstehen könnte), erweist sich als unwahr, hat doch das kinderlose Farmerpaar einen Verlust zu verarbeiten, der Caít auch eine Bürde sein könnte. So vollzieht sich vor allem die Annäherung zwischen Caít und Seán in vorsichtigen Trippelschritten.
Vorsichtige Hoffnung

Zwar zeigt der Film mit dem ärmlichen ländlichen Irland Anfang der 1980er Jahre eine sehr spezifische Lebenswelt, doch historische Milieustudie ist The Quiet Girl bei aller Detailtreue (der man die seltene Gelegenheit verdankt, gesprochenes Irisch auf der Leinwand zu hören) höchstens am Rande. Es geht schlicht darum – entsprechend dem Präsens, in dem die literarische Vorlage geschrieben ist – , ein kindliches Augenblickserleben erfahrbar zu machen.

Seine sich einschleichende Wirkung verdankt der Film zum einen Kate McCulloughs Kamera, die sich ganz Caíts Perspektive zu eigen macht – selten ganz buchstäblich in Subjektiven, vor allem aber durch die Bebilderung ihres Erlebens von Nähe und Distanz, Enge und Weiträumigkeit –, zum anderem dem nuancierten Spiel der jungen Hauptdarstellerin, in deren Gesicht mit den großen, dunklen Augen sich der langsame Übergang von resigniertem Rückzug zu vorsichtiger Hoffnung abzeichnet. So können zwei mit Caít auf dem Rücksitz erlebte Autofahrten, mit ihren Blicken aus dem Seitenfenster und auf die Nacken von Fahrer und Beifahrerin fast identisch inszeniert, je einmal Erfahrung von Einsamkeit und von behaglicher Nähe sein.

Den Fuß noch verschreckt aus dem warmen Badewasser ziehen, die Haare gekämmt bekommen, einen Keks auf dem Küchentisch finden, eine Umarmung durch einen Türspalt beobachten, ein Kalb füttern, immer schneller zum Briefkasten laufen: Nach und nach nähren diese Momente ein und dasselbe Gefühl, bis sich in der Schlusssequenz ein Knoten löst. Wenn dort einige dieser Bilder in kurzen Flashbacks rekapituliert werden, ist das nur auf den ersten Blick redundant (denn sie sind uns ja noch in guter Erinnerung), tatsächlich aber passgenauer Ausdruck des Innenlebens eines Kindes, das im Moment einer möglichen Weichenstellung begreift, dass es das Versprechen des Geborgenseins nie mehr missen will.
Der Film steht bis 24.05.2025 in der WDR-Mediathek.
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Kommentare
Barbara Suhren
Vielen Dank für die schöne Kritik, und auch, dass du den Trailer erwähnst. Es ist einer von vielen, die für mich eher abschreckend gewesen wären, da zu nah am Kitsch und zu unpassend prahlerisch. Es gibt schon die Befürchtung, dass solche Trailer die Filmauswahl unsere Zuschauer:innen negativ beeinflussen.
1 Kommentar