Das melancholische Mädchen – Kritik

VoD: Die Oberflächen, die wir uns hinhalten. Das melancholische Mädchen von Susanne Heinrich ist eine pastellfarbene Zustandsbeschreibung der Ohnmacht im Spätkapitalismus – und der Angst vor dem Alleinsein.

Die titelgebende Hauptfigur steht in Susanne Heinrichs Das melancholische Mädchen also mit Zigarette und Kunstpelzmantel vor einer Fototapete. Darauf ist ein Meer zu sehen, blaues Wasser, ein bisschen Strand, ein paar Palmen drum herum. „Wenn das hier zum Beispiel ein Film wäre“, träumt die Frau um die 20 vor dem unbewegten Tapetenmeer und zieht an ihrer Zigarette, „dann würden wir jetzt schon die alle verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizieren wollen“. Sie pustet den Zigarettenrauch aus. Gleich zu Filmbeginn hat sie selbst eingeräumt, dass sich von melancholischen Mädchen nichts lernen lasse. Und identifizieren könne man sich mit ihnen schon gar nicht. „Ich hasse melancholische Mädchen“, sagt das melancholische Mädchen, „alle melancholischen Mädchen tun das. Sie fragen sich: Wie bin ich all das geworden, was ich nie werden wollte?“ Melancholische Mädchen identifizieren sich folglich nicht mal mit sich selbst. Wie sollten sie dann Einfühlungsmaschinen für das Kino sein?

Nähe und Distanz, zu sich und zur Welt

Es ist nicht nur ein irgendwie charmanter Gag, der den Debütfilm von Regisseurin Heinrich eröffnet. Heinrich, die auch das Drehbuch geschrieben hat, geht es insgesamt um Nähe- und Distanzverhältnisse und das Gefühl der Entfremdung zu sich selbst, aber auch zur Welt. In 14 Episoden folgen wir dem melancholischen Mädchen durch eine Großstadt, die Berlin sein, aber auch Hamburg heißen könnte, ein durchgentrifizierter Ort, von dessen Erzählungen und Mythen alle dann doch manchmal gerne Teil sein würden. Das melancholische Mädchen hängt dort auf merkwürdige Art und Weise fest, ähnlich wie an dem ersten Satz des zweiten Kapitels von dem Roman, den es zu schreiben versucht. Berlin halt. Oder vielleicht auch Hamburg.

Getrieben wird die Hauptfigur jedoch vor allem von der Suche nach einem Schlafplatz. Diese spült sie mal in Kunstgalerien, Cafés und Clubs, mal in Yoga-Studios und Männerbetten. Die einzelnen filmischen Episoden fließen ineinander, bauen nur lose aufeinander auf. „Das Eigentliche, die Katastrophe, ist immer schon passiert. Und jetzt existiert nur noch ein Zustand“, sagt das melancholische Mädchen einmal, womit es die Haltung eines Filmes ziemlich gut beschreibt, der sich weigert, so etwas wie Handlung im Sinne von Entwicklung und Bewegung zu erzählen. Dazu passt die formalisierte Bildsprache (Kamera: Agnesh Pakozdi), durch die sich Das melancholische Mädchen auszeichnet. Jede Einstellung ist durchgestylt und gesetzt. Die Kamera bleibt statisch. Schüsse und Gegenschüsse wechseln sich ab, doch die Bilder selbst bewegen sich nicht. Nur die Menschen in ihnen können es gelegentlich versuchen und ihre Choreografien ausführen. Aus der pastellfarbenen Reklamehaftigkeit der Bilder scheint es allerdings kein Entkommen zu geben. Alles ist Inszenierung.

Armer, armer Mann

Die Figuren, die anonym und typisiert sind, gliedern sich in diese Logik ein, sind hier nur Images, Rollenbilder, deren Texte sozial vorgeschrieben sind. Ein kurzer Blick auf die Männer im Film: der Prinz, der Existenzialist, der Psychoanalytiker, der Fotograf, der Typ an der Bushaltestelle, der Bauarbeiter, der gleichzeitig auch Pizzabäcker und Philosoph ist. Wir kennen und erkennen sie, können über die Männer, die fragen, ob sie sich einfach mal dazusetzen könnten, die sagen, das mit dem Ansprechen sei eigentlich gar nicht so ihr Ding, die behaupten, das würden sie sonst ja nie machen, nur lachen. „Ich glaube, ich verstehe deinen Humor nicht“, sagt einer von ihnen irgendwann. „Armer, armer Mann“, kommentiert das melancholische Mädchen und blickt in die Kamera. Wie die anderen Figuren ist auch das melancholische Mädchen mit seinem zeit- wie ausdruckslosen Gesicht und dem unfertigen Roman ein Klischee – permanenter Verweis darauf, dass das Kino immer noch sehr beschränkte Rollenangebote für Frauen hat (Stichwort: Mutter, Model oder eben melancholisches Mädchen).

Die namenlosen Figuren benutzt Heinrich, um auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu verweisen. Es geht in Das melancholische Mädchen schlichtweg nicht um das Einfühlen in die eine Figur und ihre außergewöhnliche Schicksalsgeschichte, sondern um die gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir uns bewegen. Deswegen muss sich das melancholische Mädchen gleich zu Filmbeginn von sich selbst distanzieren wie im Brecht’schen Theater. Es ist nicht als Individuum, sondern als Funktion da, als Position in einer spätkapitalistischen Gesellschaft, die sich in einem grundsätzlich depressiven Zustand befindet, und in der sich am Zwang zur Selbstverwirklichung nur scheitern lässt. Das melancholische Mädchen, und das ist die Leistung des Filmes, zeigt im Vorführen von Wiederholungen und einem Gefühl der Ohnmacht ein Stückchen Welt, mit dem es so nicht weitergeht.

Wie alte Tocotronic-Songs

Die Strategien, die der Film dafür findet, sind erstmal keine neuen, vielleicht können es keine neuen sein. So bedienen sich auch die Figuren häufig an Zitaten, um Ansichten zu formulieren, weil andere Menschen zu anderen Zeiten mit anderen Wörtern nun mal schon besser beschrieben haben, was passiert und was man jetzt so fühlt. Alle sind außer sich, eigene Vokabeln fehlen. Manchmal spricht Barbara Kruger aus den Figuren, manchmal Žižek, Lacan, Butler. Das Drehbuch besteht aus Slogans, kulturwissenschaftlichen oder philosophischen Punchlines, die wie die Titel alter Tocotronic-Songs anmuten und es wäre eigentlich nur konsequent, pastellfarbene T-Shirts und Merchandise von ihnen anzufertigen, den Film selbst wieder als Teil einer größeren Verwertungsmaschine sichtbar zu machen. Denn hey, aus dem System kommen wir nicht raus.

„Ich möchte irgendetwas für dich sein“, sang Dirk von Lowtzow 1996. „Du kennst nur die Oberfläche, die ich dir hinhalte“, sagt das melancholische Mädchen zu einem dieser Männer. Und zu einem anderen: „Ich dachte kurz, du wärst jemand anderes.“ Neben der Kapitalismus- wie Kinokritik, die dem Film zugrunde liegt, und seinem Humor, der die einzige Möglichkeit geblieben ist, um sich mit Wirklichkeiten zu beschäftigen, stellt Das melancholische Mädchen über seine sprachliche, spröde Thesenhaftigkeit hinweg durchaus ernste Fragen im Hinblick darauf, wie wir feministisch leben und gleichzeitig menschliche Beziehungen eingehen können, in der Sehnsucht danach und Angst davor, nicht allein zu sein. „Melancholische Mädchen verbringen Zeit, an verschiedenen Orten. Und dann, irgendwann, ist der Film vorbei, einfach so“, träumt das melancholische Mädchen im Kunstpelzmantel vor der Fototapete und dem Meer. Wenn das hier alles bloß ein Film wäre.

Der Film steht bis 31.05.2023 in der Arte-Mediathek.

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