Dark Touch – Kritik
Ein Film voller Missverständnisse.

Als „paranormaler Splatterfilm“ wurde Marina de Vans neues Werk Dark Touch beim Fantasy Filmfest in München angekündigt. Dieser Vorstellung scheint er schnell gerecht zu werden. Dämonisch grinsend verabschieden die Eltern der elfjährigen Niamh (Missy Keating) das befreundete Ehepaar Galin aus ihrem Haus, um sich anschließend in das Zimmer ihrer Tochter zu begeben. Der Vater zieht den Gürtel aus, die Mutter sperrt die Tür zu. Wenig später fangen die Einrichtungsgegenstände an, sich selbstständig zu machen, und malträtieren die Körper der Eltern. In plastischer Großaufnahme setzen sich Fensterglasscherben im Gesicht der Mutter fest, während diverse Möbelstücke sich der Innereien des Vaters annehmen. Die verstörte Niamh wird nach dem Zwischenfall in die Obhut der Familie Galin übergeben. Doch das Möbelrücken mit Todesfolge ist noch nicht vorbei.
Dark Touch gestaltet sich dem Titel entsprechend durchgehend düster. Doch mit der Spannung hält es nicht lange an. Zu schnell ist zu durchschauen, dass Niamh von ihren Eltern missbraucht wurde und sie sich mittels Telekinese à la Carrie – Des Satans jüngste Tochter (Carrie, 1976) gegen ihr aggressives Umfeld zur Wehr setzt. In einer späteren Szene, Niamh wurde gerade von ihren Klassenkameraden gemobbt, macht die Kamera allerhand Alltagsutensilien aus dem Klassenraum in ihrer Lebensbedrohlichkeit spürbar. Ein „Jetzt-geht’s-wieder-los“-Raunen zieht durchs Publikum. Doch der erwartete Gore bleibt aus. Wenn der Film dann schließlich an seinem unversöhnlichen Ende angekommen ist, kann man durchaus zu dem Befund kommen, einen nicht unbedingt innovativen Horrorstreifen gesehen zu haben, der zwar einige atmosphärisch starke Momente aufweist, aber das Potenzial für mehr Spannungs- und Schockmomente nicht genutzt hat.
Doch diese Argumentation läuft letztlich ins Leere, denn hier liegt ein Missverständnis vor. De Van ist daran selbst mit „schuld“. Dark Touch möchte mit Sicherheit kein „paranormaler Splatterfilm“ sein, ja wahrscheinlich nicht mal (nur) ein Horrorfilm. Schließlich mag die Regisseurin nach eigener Aussage dieses Genre gar nicht. Und dennoch bedient sie sich seit ihrem ersten Spielfilm immer wieder dessen Bildsprache, um ihre Dramen zu inszenieren. Der Horror ist für de Van allerdings stets Mittel zum Zweck. Wer diese Regisseurin aus dem Umfeld von François Ozon und insbesondere ihr Debüt In My Skin (2002) kennt, kann sich denken, dass von ihr keinesfalls reine Genrekost zu erwarten ist.

Dark Touch sollte somit nicht daran gemessen werden, wie gut oder schlecht er nach Genreregeln funktioniert. De Van geht es nicht um ein Rätsel, nicht um die Fragen, wer warum hinter was steckt und wer wie aufzuhalten ist, sondern um die für sie typisch visuelle Umsetzung eines nur schwer in Worte zu fassenden Themas: Kindesmissbrauch. Dabei interessiert sie sich nicht für den Hergang selbst, auch nicht für eine Rachefantasie, und schon gar nicht dafür, die Motivation der Täter zu erkunden. Was de Van in den Blick nimmt, ist die emotionale Verfassung des Opfers und dessen Unvermögen, in die Ordnung des Normalen einzutreten, die es womöglich noch nie kannte. Wenn die Eltern sich nach dem angedeuteten Missbrauch mit Liebesbekundungen und einem Gute-Nacht-Kuss verabschieden, ist bereits ersichtlich, dass für Niamh das Richtige und das Falsche nahe beieinander liegen. Wenn die Pflegeeltern das Beste für das Kind wollen, indem sie es zum Reden ermutigen, wenn sie es so schnell wie möglich wieder in die Schule schicken, um es einem normalen Alltag zuzuführen, ihm empfehlen, der unfreiwilligen Geburtstagseinladung einer garstigen Mitschülerin nachzukommen, und ihm fürsorgenden Körperkontakt zukommen lassen wollen, dann handelt Dark Touch primär ebenfalls von Missverständnissen. Die verstörte Niamh scheint zwischen guten und bösen Intentionen nicht klar unterscheiden zu können. Den besorgten Erwachsenen wiederum fehlt die Einsicht, dass ihre Bemühungen ebenso als Gewaltanwendung empfunden werden können.
Die übernatürlichen Plotmomente fungieren damit als Mittel, die Perspektive des aus der Welt des Normalen und Verständlichen entrückten Kindes aufzugreifen. Insofern sind die Horrorelemente der zentralen Frage nach der Gefühlslage des Opfers verpflichtet. Das Drehbuch nutzt die Telekinese somit weniger, um Suspense aufzubauen oder zur Vorbereitung eines spektakulären Kills, sondern als Niamhs unkontrollierten Kommunikationsersatz für das von ihr Nicht-Artikulierbare. Der dem Zuschauer ins Mark fahrende Anblick auf das aufgerissene Fleisch in der Splattersequenz dient analog eben nicht der selbstzweckhaften Schaulust an der Zerstörung menschlicher Körper, sondern lässt sich als Übertragung von Niamhs Leiden deuten.

Dark Touch entpuppt sich beim Blick über den Genrerand hinaus als Versuch, dessen Inszenierungsinventar fruchtbar zu machen, um Bilder für das nicht Kommunizierbare und die Kluft zwischen Missbrauchsopfer und Umwelt zu finden. So kann man dem Missverständnis des nicht ausgeschöpften Horrorfilms mit dem Verweis auf ein originell umgesetztes Psychodrama entgegentreten. Und dennoch, leider muss man resümieren, dass der Film auch mit dieser Blickerweiterung zwar wesentlich interessanter wird, aber nach wie vor nicht vollends überzeugen kann.
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