Dark Glasses - Blinde Angst – Kritik
Ein Autounfall lässt eine Prostituierte erblinden, und macht einen kleinen Jungen zum Waisenkind. Gemeinsam fliehen die beiden vor einem Serienmörder. Dario Argentos seltsam aus der Welt gefallener Dark Glasses fragt nicht nach Motiven, sondern taucht alles in eine existenzielle Schwärze.

Der Beginn wird von einem azurblauen Himmel beherrscht. Von mediterranen Baumkronen, die wie Krallen oder Netze vor dem Firmament stehen. Die Stimmung ähnelt an dieser Stelle der von The Happening (2008), wo die Menschen aus heiterem Himmel anfangen, reihenweise Selbstmord zu begehen. Zum Auftakt von Dario Argentos Dark Glasses (Occhiali neri) schauen die Leute zwar nur in die Luft, die Einhelligkeit, für die Film wie Hauptdarstellerin Diana (Ilenia Pastorelli) keine Erklärung haben, lässt sie aber wie hypnotisiert wirken. Als wäre die Welt dezent entgleist – ein Eindruck, der von der Musik und den ruhig beobachtenden, fast staunenden Bildern noch unterstrichen wird. Der Grund ist aber einfach und bald offenkundig. Eine Sonnenfinsternis vollzieht sich, und sobald Diana sich dessen gewahr ist, schaut sie selbst wie hypnotisiert in die Sonne – nur mit ihrer Sonnenbrille als Schutz.
Klammer der zerstörten Hälse

Zur Handlung des sich anschließenden Films hat die Sonnenfinsternis keine weitere Verbindung. Dass Diana bald darauf erblindet, hat mit einem Autounfall zu tun und nicht mit dem Blick in die Sonne. Vielmehr scheint sich ein klassischer Giallo anzuschließen, in dem ein Serienmörder umgeht und (höherpreisige) Prostituierte wie Diana umbringt. In dem diese Diana eine Zweckgemeinschaft mit Chin (Andrea Zhang) eingeht, dem Kind, dessen Eltern bei der Kollision mit Dianas Wagen starben. Sie rettet ihn vorm Waisenhaus, er hilft ihr gegen das schlechte Gewissen und die sie nun umgebende Nacht.

Der Mord an der ersten Prostituierten, bei dem ein Draht den Hals aufschneidet und ihr die Luft raubt, deutet darauf hin, dass wir einen Thriller mit Gewalt in eindringlichen Bildern sehen werden. Bis am Ende ein anderer Hals zerstört wird, ebenso von der Kamera fetischisiert, unterläuft Dark Glasses diese Erwartung jedoch größtenteils. Zwischen der Klammer der zerstörten Hälse geht es nämlich nicht um die Suche nach einem Täter, der immer näherkommt, sondern um die Flucht. Der Film Argentos, der dem vielleicht am nächsten kommt, ist Phenomena (1985). Womit wir wieder bei der traumartigen Verschrobenheit des Auftakts wären. Die Flucht, der wir beiwohnen, verliert, je länger sie dauert, ihre Verankerung in einer klaren Realität, wird immer obskurer und folgt sichtlich einer eigenen Logik.
Existenzielles Ausgeliefertsein

In einer der schönsten Szenen des Films waten Diana und Chin durch einen nächtlichen Fluss. Der Mörder ist vorerst abgehängt. Doch als sie durchs Schilf schleichen, sind plötzlich überall Schlangen. Sie werden von den dünnen, unterarmlangen Reptilien nicht nur gebissen, sondern auch gewürgt. Ihr panisches Feststecken hat weder einen Halt in der Zoologie, noch hat es Konsequenzen für sie. In den vom Schnitt zerstückelten Momenten findet sich ein existentielles Ausgeliefertsein, dem zu entrinnen nur durch Aufwachen möglich scheint.

Anders als in legendären Vorgängern wie Rosso – Farbe des Todes (Profondo rosso, 1975) oder Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe (L'uccello dalle piume di cristallo, 1970) geht es folglich auch nicht um Erinnerungslücken und ein Mosaiksteinchen, das in der Wahrnehmung der Hauptfigur fehlt und alles auflösen würde, sondern um eine alles beherrschende Schwärze. Das hinreißende Blau des Himmels verschwindet deshalb auch sehr bald und hinterlässt einen Film voller ebenso hinreißender Töne der Dunkelheit. Die psychologischen Motive des Täters bleiben dergestalt auch Leerstellen, die keine Rolle spielen. Er ist einfach nur ein durchgedrehtes Arschloch. Vielmehr geht es Dark Glasses uneingeschränkt um die Position der Verfolgten. Um eine Situation, in der sich die Schlinge zuzieht und die Strohhalme, nach denen sich noch greifen lässt, nur bedingt weiterhelfen.
Schrott oder Ultrakunst

Es gibt kaum einen Regisseur, über den ähnlich vehement debattiert wird: etwa ob und wenn ja seit wann Dario Argento als Filmemacher nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Für manche sind die Filme eines vormals visionären Regisseurs ab einem gewissen Punkt nur noch Schrott, wobei für die Bestimmung dieses Punktes ungefähr so viele Positionen zu finden sind wie Argento Filme seit Phenomena veröffentlicht hat. Für manche war etwa sein letzter Film Dario Argentos Dracula (Dracula 3D, 2012) der letzte Sargnagel einer einstmals blühenden Karriere, während der Film für andere nicht weniger als Ultrakunst ist.

Dark Glasses wird diese Debatte keinesfalls beenden, noch diese Diskussionen in eine völlig andere Richtung stoßen. Das Werk eines Filmemachers auf der Höhe seines Schaffens ist dieser Film sichtlich nicht. Zum einen ist deutlich, dass kein großes Budget hinter der Produktion steht und dass hier niemand einen Welterfolg erwartet. In gewisser Weise ist der Film zudem altbacken. Und doch verlässt er sich nicht auf alte Muster. Argento ist eben im Hier und Jetzt gestrandet. Ein Filmemacher, der in den 1960ern bis 1980ern beheimatet ist und jetzt mit 80 Jahren trotzdem noch Filme macht. In Dark Glasses zeigt sich Argento dergestalt nicht als Schatten seiner selbst, sondern als jemand, der gleichzeitig mit sicherer und unsicherer Hand arbeitet, der weiß, was er macht, aber eben auch noch nicht so richtig weiß, wo es hingehen soll. Der doch noch Filme macht, auch wenn sie seltsam und aus der Welt gefallen sind. Der Filme macht, die faszinieren, gerade weil sie etwas ganz Eigenes sind.
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