Daniel der Zauberer – Kritik
Auf dem Höhepunkt des Küblböck-Hypes inszenierte Ulli Lommel 2004 Daniel, der Zauberer. Der als Übertrash verschriene Film entpuppt sich als ein eigenwilliges Stück Outsider Art. Seine düstere Schlagseite erscheint aus heutiger Sicht prophetisch. Eine neue Wunschkritik unserer Abonnenten.

Wenn man während Daniel Küblböcks Bühnenauftritten, von denen es in Daniel, der Zauberer reichlich zu sehen gibt, auf sein Gesicht achtet, insbesondere in Momenten, in denen er nicht singt, dann erkennt man die Anspannung, unter der er hier – im Scheinwerferlicht, von seinen Fans bejubelt – gestanden haben muss. Ernst und kontrolliert wirken seine Züge, dem knallbunten, karnevalesken Gesamtkunstwerk, als das er sich ansonsten inszeniert, bleiben sie seltsam äußerlich. Wir sehen nicht jemanden, der sich mitreißen lässt, der in der Menge aufgeht, sondern einen professionellen Entertainer, der genau weiß, dass die naive Authentizität, die ihn für einen kurzen historischen Moment zu einem genuinen Star macht, Effekt strenger Disziplin und unerbittlicher Arbeit am Selbst ist.
Vermeintlicher Treppenwitz der Filmgeschichte

Dass Küblböck Zeit seiner Karriere im Trashkultur-Ghetto hängen bleibt, ist ein – vermutlich tragisches – Missverständnis. Ein Großteil der Lieder, die er in Daniel, der Zauberer performt, weisen musikalisch weit über den Schlager- und Ballermann-Partyhitskosmos hinaus, dem er als DSDS-Teilnehmer und Dieter-Bohlen-Schützling entspringt. Erst recht gilt das für die Bühnenshows in ihrer eigenwilligen Mischung aus queerem Burlesque und energischer Glam-Rock-Performance.

Die Ambitionen sind offensichtlich (in späteren Jahren versucht er sich unter anderem als Jazz-Musiker), das Talent insbesondere für melodramatisch aufgeladene Showeinlagen ebenso; und doch kommt Küblböck bis zu seinem vermutlichen Suizid (2018 sprang er von einem Kreuzfahrtschiff ins kalte Atlantikwasser, im Februar diesen Jahres wurde er offiziell für tot erklärt) nicht vom Medienhabitat des Reality-TV und der Boulevardblätter los. Das mag an den gnadenlosen Vereinnahmungsstrategien von Springerpresse, Bohlen & Co liegen; oder aber an der Undurchlässigkeit des sonstigen, vorgeblich höherwertigen Kulturbetriebs, der nicht bereit ist, jemanden wie Küblböck, einen Provinzjungen mit Hauptschulabschluss und Gendertrouble, auch nur in Betracht zu ziehen.

Ulli Lommels Daniel, der Zauberer, ein 2004, dem Höhepunkt des Küblböck-Hypes, entstandenes, von der Kritik wahlweise ignoriertes oder in der Luft zerrissenes und auch beim Publikum gescheitertes Kinovehikel, scheint sich in dieses Bild zu fügen – zumindest bis man sich den bis heute als Übertrash verschrienen Film (auf IMDb führte er zeitweise die „Bottom 100“-Liste der am schlechtesten bewerteten Werke an) tatsächlich einmal anschaut. Womit nun nicht gesagt sein soll, dass es sich bei diesem vermeintlichen Treppenwitz der Filmgeschichte um ein verkanntes Meisterwerk oder auch nur um einen in irgendeinem konventionellen Sinn guten Film handelt. Vielmehr ist Daniel, der Zauberer genau das, was Küblböcks sonstiges Werk in dem Umfeld, in dem es entsteht, nicht sein darf: ein Stück höchstpersönliche Outsider Art, die sich einen Dreck um kulturelle Hierarchisierungen und handwerkliche Perfektion schert.
Fiktionale Fremdkörper im Starschnitt

Lommel montiert seinen Film aus drei heterogenen Elementen: dem erwähnten Konzertmaterial, Cinéma-vérité-artigen Aufnahmen aus dem Haus, in dem der Star mit Eltern und Geschwistern wohnt (mehrere seiner Verwandten spielen in Daniel, der Zauberer sich selbst, besonders präsent ist der Vater Günther Küblböck), sowie fiktionalen Szenen, die hauptsächlich um Rike und Tom kreisen, zwei Küblböck-Hasser, die den Plan fassen, den Sänger zu entführen. In einem weiteren, eher unterentwickelten Erzählstrang versucht ein Teeniemädchen, ihren (vom Produzenten des Films Peter Schamoni gespielten) Vater zum Küblböck-Fantum zu bekehren. Schließlich bringt Lommel auch sich selbst vor der Kamera unter – als Küblböcks verstorbenen Großvater Johnny, der sein Enkelkind aus dem Reich der Toten mit Rat und Tat zur Seite steht.

Vermutlich hat der Film seinen schlechten Ruf insbesondere diesen Spielszenen zu verdanken. Zum einen, weil Lommel nicht den Hauch eines Versuchs unternimmt, das Verhalten von Rike und Tom auch nur halbwegs realistisch zu motivieren: Ihr Küblböck-Hass ist absolut begriffslos, eine blinde, in manischem Overacting artikulierte Abneigung – die freilich gerade in ihrer Weigerung, ihrem Objekt auf Augenhöhe zu begegnen, etwas von jener exaltierten Homophobie zu fassen bekommt, die die Reaktionen auf Küblböck von Anfang an prägte. Zum anderen, weil die fiktionalen Szenen nie organisch mit dem (mehr oder weniger) dokumentarischen Material verknüpft werden. Vielmehr bleiben sie nicht integrierbare Fremdkörper in einem Film, der ohne sie vermutlich weitgehend problemlos als teils durchaus feinfühliger Küblböck-Starschnitt im charmanten Home-Video-Stil durchgegangen wäre.
Biografien zweier charmanter Schauspieler

Von heute aus betrachtet erscheint die düstere Schlagseite des Films prophetisch. „Muss ich wirklich sterben?“ sinniert Küblböck einmal, am Küchentisch sitzend. Man darf annehmen, dass der seinerseits 2017 verstorbene Lommel 2004 zu Küblböck findet, weil er in dem über 40 Jahre jüngeren Sänger etwas von sich selbst entdeckt. Lommel ist in den 1960er Jahren selbst kurz davor, zum Star aufzusteigen: ein charmanter, junger Schauspieler, der in Filmen wie Rudolf Thomes Detektive (1969) eine weltläufige Coolness verkörpert, die in der damaligen Bundesrepublik keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Das Tor zum Mainstreamruhm scheint weit offen zu stehen, aber Lommel hat andere Pläne. Er schließt sich zunächst der Fassbinderclique an, mit der er auch seine ersten eigenen Regiearbeiten realisiert. Später zieht er in die USA, dreht unter anderem zweimal mit Andy Warhol und landet mit The Boogeyman (1980) einen kleinen Mainstreamhit, driftet aber insgesamt immer weiter weg vom Zentrum der Kulturindustrie. Die meisten Lommel-Filme der 1980er und 1990er sind obskure Direct-to-Video-Produktionen.

Auch Lommel ist einer, der mit der populären Kultur, zu der er sich gleichzeitig hingezogen fühlt, nicht ganz kompatibel ist. Anders als Küblböck hat er dennoch einen Weg gefunden, seinen künstlerischen Eigensinn zu kanalisieren. Das mag an einer anderen familiären Prägung liegen (schon sein Vater war Entertainer) oder an seinem strikt heterosexuellen Playboy-Image. Jedenfalls verschafft es ihm die Möglichkeit, das Phänomen Küblböck für einen Moment aus den Mühlen des Privatfernsehens zu befreien. In der vielleicht schönsten Szene des Films sitzen Rike und Tom Daniel wiederum an einem Küchentisch gegenüber. Sie richtet eine Waffe auf das Opfer, er einen Camcorder. Zwei Apparate der Kontrolle, die gemeinsam das Video der Hinrichtung des Stars produzieren sollen. Aber wenn Daniel aus heiterem Himmel beginnt, seinen Entführern Geschichten aus seiner Jugend zu erzählen, klemmt der Revolver und die Kamera gibt den Geist auf.
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