Copper – Kritik

San Sebastiàn Filmfestival: Männer, die sich mit Zitrusfrüchten ins Leben zurücksaugen und spärlich beleuchtete Gemächer, die ausehen, als hätte Caravaggio sie persönlich in den Berg gegraben. Nicolás Peredas trockenhumoriger Copper fühlt sich vor allem im Zwielicht wohl. 

Zu Beginn, wenn die Bilder ihren Rhythmus noch suchen und die Handlung noch keine ist, führt manchmal ein einziger Moment dazu, dass ich einem Film mein Vertrauen vorschieße. Die analytische Skepsis, die ich mir ohnehin grundlos auferlegt habe, weicht dann einer berauschenden Vorfreude auf das, was kommt. Es kann ein Bild sein, eine Ellipse, ein gut gesetzter Schnitt – entscheidend ist, ich gewinne den Eindruck, dass sich hier jemand aufs Beobachten versteht. In Copper von Nicolás Pereda ist das jene elektrisierende Sequenz, in der die Hauptfigur eine Orange isst.

Im gleichermaßen aufgemotzten wie auseinanderfallenden Wagen seines Mechanikerfreundes Harold (Harold Torres) sitzt Lázaro (Lázaro Rodríguez) und nimmt sich der Frucht hingebungsvoll an. Er schneidet sie entzwei, saugt beide Hälften genüsslich aus und spuckt die Kerne geräuschvoll ins mexikanische Hinterland, das ihn umgibt. Später wird er sagen, er sei im Traum mit einem Toten in einer Bar gewesen. Der Tote habe eine Zitronenhälfte nach der anderen ausgesaugt, um dem Verwesungsprozess vorzubeugen. Er habe sich regelrecht ins Leben zurücksaugen wollen.

Dezent politisches Hintergrundrauschen

Der Tote verfolgt ihn. Zu Beginn des Films findet er ihn neben der Straße, die zur Mine führt, in der Lázaro arbeitet, wenn er nicht krank ist. In der auch der Tote gearbeitet hat, als er noch lebte. Zuhause wird ihm geraten, den Fund sicherheitshalber für sich zu behalten. Man munkelt, es sei nicht der erste Tote im Umfeld der Mine. Was nach Thriller und Mysterium klingt, dient Peredas trockenhumorigem Film vor allem als dezent politisches Hintergrundrauschen.

Lázaro hat größere Sorgen als sich gegen Mordvorwürfe zu verteidigen: Er steht auf Rosa (Rosa Estela Juárez). Die ist zwar kaum älter als er, aber seine Tante. Außerdem hat sie schon einen Freund: Harold, der mit dem Auto. Gemeinsam mit Rosa und seiner Mutter Tere (Teresita Sánchez) wohnt Lázaro in einer ungleichen Dreier-WG. Nicht nur im sublim(iert)en Verzehr von Orangenhälften drückt sich sein Begehren aus. Auch das formidable Mienenspiel des Schauspielers – Rodríguez ist alles andere als ein Unbekannter bei Pereda – beherrscht schüchtern-schmachtende Blicke ebenso ausgezeichnet wie allerlei Deadpan-Einlagen.

Amouröse Psychosomatik

Zu seinem romantischen Leiden gesellt sich ein medizinisches, vielleicht ein Fall von amouröser Psychosomatik. Seit er den Toten gesehen hat, plagen Lázaro seltsame Atembeschwerden, die es ihm unmöglich machen, der Arbeit in der Mine weiter nachzugehen. Zumindest behauptet er das und platziert die Hand illustrativ in Bronchiennähe (das Herz ist da bekanntlich nicht weit). Wenn er lügt, beginnen Lázaros Augen grün zu leuchten, weiß die Mama, und die wird es wissen. Mit anderen Worten: Lázaro lügt, ohne rot zu werden. Die skeptische Betriebsärztin verweigert ihm den ersehnten Sauerstofftank und empfiehlt, erst mal das gelegentliche (!) Rauchen einzustellen. Andere Krankschreibungstricks, die Lázaro vorschlägt, pro-forma-Eingipsen etwa, lehnt sie ebenfalls ab.

Wie krank Lázaro wirklich ist, bleibt angenehm unklar. Zweimal sagen ihm Menschen, dass sie ihn nicht mögen. Mir ging es anders. Lázaros dreiste Forderungen, die kleinen und großen Lügen, überhaupt die konsequente Verweigerungshaltung – das alles ist nicht frei von Charme und dazu noch subversiv. Pereda macht aus ihm keinen chronisch faulen Unsympathen, sondern eine Art Bergbau-Bartleby, dessen passiver Widerstand auf die gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen in der Mine und das Misstrauen gegenüber den Belangen der Arbeiter*innen hinweist. Nicht nur Lázaro sieht sich mit einem undurchsichtigen Machtapparat konfrontiert. Auch Rosas kafkaesker Bürojob umfasst so dubiose Aufgaben wie das Fälschen von Unterschriften für Dokumente zwielichtiger Bestimmung. Ans Licht kommt wenig, in die dunkle Mine steigt Copper allerdings nicht mehr hinab. Wenngleich Lázaros spärlich beleuchtete Gemächer so aussehen, als hätte Caravaggio persönlich sie in den Berg gegraben.

Im Zwielicht fühlt Copper sich wohl. Schon frühere Filme Peredas nisteten lieber in den Zwischenräumen, anstatt sich bei Fragen nach Lüge oder Wahrheit, Realität oder Fiktion auf eine Seite zu schlagen. Weil er, teils seit Karrierebeginn, mit den gleichen Schauspieler*innen arbeitet, darf Pereda der natürlichen Intuition seines Ensembles vertrauen. Das Ergebnis ist ein lustvolles Austesten von Rollen, ein lockeres Spielen und Sprechen, das mich entfernt an Jacques Rivette und mehr noch an Hong Sangsoo erinnert, ohne dass es je epigonal wirkt – und abgekupfert erst recht nicht.

Hier geht's zu unserem ersten Bericht aus San Sebàstian.

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