Club Zero – Kritik
Absurder Humor oder anti-wokes Statement? Club Zero, Jessica Hausners Satire über den Diätwahn in einem Eliteinternat, riskiert zumindest, im Kulturkampf von reaktionärer Seite vereinnahmt zu werden.

Hummmmm! Die Lehrerin und ihre SchülerInnen stehen im Kreis, fassen einander an den Händen, schließen die Augen und rufen: „Hummmmm!“ Immer wieder zeigt uns Jessica Hausner dieses Bild einer Gruppen-Meditation. In anderen Szenen kniet die Lehrerin, Miss Novak (Mia Wasikowska), allein vor einem buddhistisch angehauchten Altar und betet, während Räucherstäbchen ihre Schwaden im Raum verbreiten. Club Zero war Bestandteil des diesjährigen Wettbewerbs von Cannes – mit solch plumpen, klischeehaften Witzen erreicht der Film aber mitunter das Schenkelklopfer-Niveau eines Anke-Engelke-Sketches.

Doch die parabelhafte Erzählung nährt den Verdacht, dass es der Regisseurin um weit mehr geht, als sich über Esoterik zu mokieren. Miss Novak ist gerade neu angekommen in einem englischsprachigen Eliteinternat. Sie soll Ernährungskunde als fakultatives Fach unterrichten, ihr erster Kurs heißt „Bewusstes Essen“. Ein paar SchülerInnen geht es dabei primär um die eigene Gesundheit oder bessere Noten – die meisten aber wollen die Umwelt schützen, den Kapitalismus der Lebensmittelindustrie bekämpfen oder gleich Welt und Menschheit verbessern. Mit ihrer jugendlichen Naivität sind sie die perfekten Opfer für Miss Novaks manipulative Unterrichtsmethoden und ihr wahres Ziel: die Mitgliedschaft im Club Zero – einer (fiktiven) Bewegung von Menschen, die gar keine Nahrung mehr zu sich nehmen.
Das Bewusstsein bestimmt das Sein?

Der Film konzentriert sich dabei ganz auf die interne Dynamik der Gruppe: Es gibt keine einzige Szene, in der die SchülerInnen mit KlassenkameradInnen interagieren, die nicht am Ernährungs-Kurs teilnehmen. Nur die Eltern der ProtagonistInnen dürfen ab und zu mitspielen und sich zunehmend Sorgen um ihren blässlichen Nachwuchs machen, der das Essen verweigert. Man weiß in der ersten Hälfte nicht so recht, ob Hausner tatsächlich irgendetwas sagen oder einfach nur mit dem absurden Szenario eines außer Kontrolle geratenen Diätwahns spielen will: Schon die mal quietschgrünen, mal quietschgelben Schuluniformen entfernen den Plot von einer realistischen Anmutung. Auch die oft eher deklamierten als gesprochenen Dialoge wirken seltsam entrückt. Und dann sind da noch die bewusst überbetonten Kamerazooms und die verzerrenden Blickwinkel – ein besonders schönes Beispiel ist eine Trampolin-Szene, die dank Vogelperspektive samt Zoom-out einen schwindelerregenden Gruß an Hitchcock sendet.

Dann aber fällt irgendwann ein zentraler Satz: „Ich kann mit meinen Gedanken die Realität verändern“, entgegnet Elsa (Ksenia Devriendt), als ihre Eltern ihr eindringlich klarmachen wollen, dass Essen ein unabdingbarer Teil der menschlichen Natur ist. Das Bewusstsein bestimmt das Sein: Diese Haltung ist natürlich aus anderen Kontexten bekannt, in denen Teile der Gesellschaft von einem unveränderlichen Naturzustand ausgehen und andere Teile diese Gegebenheiten als sozial konstruiert und damit überwindbar ansehen – das derzeit präsenteste Beispiel dürfte der Diskurs um Geschlecht und Gender sein. Da ist es vielleicht kein Zufall, dass Miss Novaks eifrigster Schüler Fred (Luke Barker) ein Junge ist, der Ohrringe trägt, Make-up verwendet und auch sonst traditionelle Vorstellungen von Maskulinität unterläuft.
Eine Satire für Harald-Martenstein-Fans

Natürlich kann ein Film solche gesellschaftlichen Diskurse auch einfach reflektieren, ohne selbst Position zu beziehen. Doch es ist schon auffällig, wie sehr Jessica Hausner hier eine Seite der Lächerlichkeit preisgibt: die Lehrerin als esoterische Spinnerin und perfide Gurufigur - die SchülerInnen als gutmenschelnde Weltverbesserer, die ihre Eltern aufklären, dass vegan „total out“ ist, und stattdessen auf Paleo- oder Mono-Diät setzen. Korrigierend greift eine Nebenfigur ein, die mit dem (idealisierten) gesunden Menschenverstand der Arbeiterklasse das böse Spiel durchschaut und sich nicht an die Toleranz-Codes des liberalen Bildungsbürgertums hält.

Mit viel gutem Willen kann man Club Zero als Statement gegen jegliche Form von Ideologie lesen – seien es politische oder religiöse Dogmen. Zumeist aber wirkt der Film eher wie eine Satire für Harald-Martenstein-Fans: ein herablassendes, besserwisserisches Spötteln über alles, das am Status quo zu rütteln wagt. Der Diätwahn erscheint dabei als bloßer Platzhalter für alle vermeintlichen Exzesse linker Bewegungen – sei es die Abkehr vom Fleischkonsum, von der Heteronormativität, der Geschlechterbinarität oder dem generischen Maskulinum. Es mag unklar bleiben, wie ernst es Hausner mit ihrer anti-woken Intervention meint: Klar ist aber, dass sich ihr neuer Film zumindest dafür anbietet, von reaktionärer Seite vereinnahmt zu werden. Alte weiße Männer müssen nicht immer männlich sein.
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