Classical Period – Kritik

MUBI: Früh zum Lesen aufstehen, um der Mittagshitze zu entrinnen. Ted Fendts etwas spröder Film über ziemlich spröde Geistesmenschen schaut genau hin, hört gut zu und hält sich im Urteil doch zurück.

Früh am Morgen in Philadelphia, Cal und Evelyn laufen sich an einer Kreuzung über den Weg, am Himmel über den Hängeampeln erste Spuren der Dämmerung. Beide können nicht schlafen, er ist schon wach, sie ist immer noch unterwegs. Was läge da näher als ein Austausch über die Lyrikerin Denise Levertov, bevor beide weiter ihrer Wege ziehen?

Dante als roter Faden

Die Beschreibung dieser Szene aus Ted Fendts Classical Period lässt vermuten, hier werde die innere Getriebenheit zweier junger Menschen in einer äußeren sichtbar gemacht. Doch der Ton, in dem Cal und Evelyn sprechen, die Stimmung, in der sie sich begegnen, ist wie immer: gemessen, kontrolliert, emotional gedimmt. Dass da eine Leidenschaft ist, wird vor allem durch den Umstand selbst sichtbar, dass sie und ihre Freunde, wann immer sie sich treffen, sich unentwegt über Intellektuelles, meist Geisteswissenschaftliches unterhalten, oder besser/schlechter: einander Vorträge halten. Auch wenn der Duktus oft vertraut nach den in jedem Uni-Seminarraum anzutreffenden Diskurshirschen klingt und Cal & Co. mit ihren Strickjacken und Brillen auch gut in einer Ecke dieser Räume vorstellbar wären: Eine Hintergrundinfo zum Film verrät, dass sie keine Akademiker sind, sondern gewissermaßen Hobbyintellektuelle.

Die Darsteller spielen sich dabei alle selbst und werden als Drehbuchautoren angeführt. Classical Period ist dennoch als Spielfilm ausgewiesen, auf welcher Stufe und in welchem Maß hier auch immer eine Fiktionalisierung eingezogen sein mag. In einer einstündigen Szenensammlung auf 16mm zeigt Ted Fendt ein paar Zusammenkünfte dieses belesenen Kreises, in Küchen, in Wohnzimmern mit Dachterrassenblick, beim Spaziergang zum schönen Eckgebäude aus der Stadtgründungszeit oder im gegens Licht gefilmten Grünen. Sie reden über Albert Hoffmanns LSD-Experimente und über städtebauliche Sünden der 1950er, über Shakespeare und Jesus, über den Thomismus und die Reformation und immer wieder über Dante – eine fortgesetzte Küchen-Lesesession der Göttlichen Komödie ist eine Art roter Faden des Films. Zwischen vielen Close-ups auf Textzeilen werden die Teilnehmer meist einzeln kadriert, und wenn sie an der Straßenecke dann doch mal zusammen im Bild stehen, bleiben sie auf Sicherheitsabstand.

Dick Cheney und die Reformation

Es ist nicht leicht, Classical Period zu beschreiben, ohne den Eindruck zu erwecken, er bediene Vorurteile gegen verkniffene Bücherwürmer, die nicht nur ihr gesamtes Leben in Gespräche über diesem Leben Fernstehendes verschieben, sondern sogar dabei noch so uneigentlich wie möglich bleiben. Einer gibt zu, Fußnoten lieber zu mögen als den Haupttext, ein anderer spielt, in einem seltenen Moment unmittelbar sinnlichen Erlebens, auf dem Klavier ein paar Bach-Exzerpte dann doch nur als Illustration für musiktheoretische Thesen. Sie spielen auch schon mal Karten, sie trinken auch schon mal Bier, einmal wird sogar eine Schnapsflasche aus der Wohnzimmerbar des Gastgebers stibitzt, aber der gemessene und gedimmte Modus bleibt immer derselbe. Es ist dann die Frau in der Clique, Evelyn, die ihren Überdruss an diesem ins Uneigentliche verschobenen Reden einmal bekundet. Aber selbst diesen Themenwechsel ins Persönliche bemerkt man erst verzögert, weil auch hier der Tonfall sich um kein Jota ändert.

Das Ganze kulminiert in einer sehr, sehr langen, unbewegten Einstellung, in der Cal, im schattigen Zimmer sitzend, seinem nur schemenhaft ins Bild ragenden Zuhörer mit mild-versunkenem Lächeln einen gelehrten Endlosmonolog über die anglikanische Reformation hält – inklusive ein paar subtiler Jokes über einen frühen Fast-Namensvetter Dick Cheneys. Die Szene ist eine Herausforderung, weil das Lauschen eines Vortrags und die Betrachtung eines Bildes zwei Formen von Konzentration erfordern, die sich mitunter einander etwas ins Gehege kommen. Doch zugleich entlässt sie einen, wie alle langen stillen Einstellungen, ein wenig aus der rezeptiven Mangel, erlaubt es, Blick und Gedanken in Ruhe wandern zu lassen, auch über die eigene Position.

Seltsames kleines Soziotop

Und dann bemerkt man vielleicht, dass der Film einem selbst weniger Aufschluss über das Leben dieser Figuren gibt, und wie zufrieden sie damit sind, als man sich dank der ausschnittsweise sehr engen Teilhabe gern selbst suggeriert. Ob man nun konstatiert, dass es zwischen ihren Themen und ihrer Lebenswelt keine Verbindung gibt, oder ob man umgekehrt jedes Thema als verschlüsselten Text über ihre Lebenswelt lesen will (Dantes Höllenkreise sind dafür eine dankbare Fundgrube, und die Dialoge generieren hierfür auch ein paar komische Spitzen) – ob und welches Defizit man ihnen also diagnostizieren will, hängt vielleicht eher von den eigenen Erwartungsrastern ab, die man auf diese sehr spezifischen Leben und Beziehungen legt, als dass Classical Period selbst zu einer solchen Diagnose aufforderte.

Als ihrer Umwelt und einander entfremdete Körper und Seelen vorführen will dieser spröde kleine Film seine noch viel spröderen Figuren nicht. Er mischt sich nur als ein so genauer wie zurückhaltender Beobachter in dieses seltsame kleine Soziotop, das sich in seine Umgebung dann doch wie in ein langjähriges Zuhause fügt, wenn auch in ein recht schattiges, kühles Zuhause. Wenn Evelyn anmerkt, dass sie im Sommer gern früh zum Lesen aufsteht, um der Mittagshitze zu entrinnen, bringt das die Betriebstemperatur in und von Classical Period genau auf den Punkt.

Den Film kann man bei MUBI streamen.

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