Clair Obscur – Kritik

Von überall tönt es #metoo: Yeşim Ustaoğlu führt in Clair Obscur das Schicksal zweier unterschiedlicher Frauen in der Türkei zusammen, möchte auf die Universalität weiblicher Erfahrung hinaus – und flüchtet doch vor der entscheidenden Frage.

Clair obscur 1

In Clair Obscur gibt es zwei Frauen und zwei Kategorien von Szenen. Es gibt Szenen, in denen Elmas (Ecem Uzun) und Chehnaz (Funda Eryiğit) funktionieren: Elmas, die Hausfrau, putzt, kocht, pflegt die Schwiegermutter; Chehnaz, die Psychiaterin, fährt ins Krankenhaus, therapiert Patienten, fährt nach Hause. Es sind Szenen des Machens, in denen die Zeit voranschreitet, die Dinge ihren gewohnten Lauf nehmen, auf den Morgen der Abend und auf den Abend der Morgen folgt. Und dann gibt es Szenen, in denen Regisseurin Yeşim Ustaoğlu ihre Hand in das geregelte Leben ihrer Protagonistinnen zu halten scheint, um sie am unaufhaltsamen Vorwärtskommen zu hindern. Dann ruhen Elmas und Chehnaz, gerne hinter geschlossenen Fenstern, der Blick in die Ferne, der Körper aber drinnen, in der häuslichen Sphäre. Gerade wenn von dieser häuslichen Sphäre die Rede war, hieß es ja oft, das Private sei politisch.

Kontrastieren und Aufweichen

Clair obscur 2

Es ist derselbe Blick, den die beiden Frauen in die Ferne werfen, dieselbe prototypische Pose der Sehnsucht nach Ausbruch und Freiheit. Der regungslose Körper, Sinnbild der Contenance, in den Innenräumen gefasst. Meist wütet in Clair Obscur hinter dem Fenster die Natur, als würde der Blick sich draußen entladen, breitet sich die Gischt wie ein gieriges Lauffeuer über dem schwarzen Meer aus, zerschellen die Wellen an der Küste. Dazwischen das Glas, mit seiner hier sehr willkommenen Eigenschaft, das eigene Gesicht zu spiegeln. Wie komme ich hier raus?, scheint Elmas’ Spiegelbild Elmas zu fragen. Warum habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt?, fragt das von Chehnaz.

Clair obscur 3

Wie der Titel schon vermuten lässt: Der Film will Elmas und Chehnaz zunächst gegenüberstellen und kontrastieren. Durch die beiden Figuren lässt Clair Obscur eine Vielzahl von Dingen aufeinanderprallen: hier das Land, dort die Stadt; hier die Schulabbrecherin, dort die Akademikerin; hier die Zwangsehe, dort die einvernehmliche Beziehung. Elmas kocht für Mann und Schwiegermutter, Chehnaz lässt sich von ihrem Freund Cem (Mehmet Kurtuluş) bekochen, weil der das besser kann als sie. Chehnaz’ Leben ist als Täuschung des Zuschauers, als Gegenwurf zu Elmas’ angelegt, die Marker der Selbstbestimmung, der Freiheit großzügig darin gestreut. Die interessanteste Frage, die der Film an jeden einzelnen stellt, ist, wie lange man dem Eindruck verfällt, dass Elmas und Chehnaz nichts gemein haben. Denn Ustaoğlu kontrastiert die beiden Frauen nur, um sie besser zusammenführen zu können. Der Regisseurin geht es um eine bestimmte Erfahrung des Frau-seins, die nichts mit Designerwohnungen zu tun hat; um ein #metoo gerade dort, wo man sich frei wähnt. Und genau wie der digitale Aufschrei spannt sie – zu Recht oder zu Unrecht – den ganz großen Bogen von der Zwangsehe zum Orgasm Gap.

Das Gesicht als Schauplatz

Clair obscur 4

Das Ungleichgewicht spürt Yeşim Ustaoğlu bei beiden Frauen an derselben Stelle auf, nämlich bei ihrem Sexleben. Die Parallelsetzung zweier Erfahrungen – bei Elmas regelmäßige Vergewaltigung, bei Chehnaz einvernehmlicher Sex, der vor allem Cem befriedigt – suggeriert ein Gesetz des Vorrangs männlicher Lust über weibliche, mit nur unterschiedlichen Ausprägungen. Auch die Kamera macht da keinen Unterschied, nimmt sich beider Frauen auf dieselbe Art an. Die Aufmerksamkeit ist ganz auf das Gesicht von Elmas und Chehnaz gerichtet, der eigentliche Akt rückt völlig ins Abseits, ist nur als das, was er auslöst, auf dem Gesicht abzulesen: Angst, Ekel, Schmerz, Unbehagen oder Unlust. Als es Chehnaz schließlich vergönnt ist, mit einem Anderen erstmalig befriedigenden Sex zu erfahren, rückt die Kamera von diesem Prinzip nicht ab: Alles spielt sich auf Chehnaz‘ Gesicht ab.

Clair Obscur: Den richtigen Farbton treffen

Clair obscur 5

Im Titel dieses nach der Hell-Dunkel-Malerei benannten Films sind interessanterweise genau die beiden Gefahren enthalten, die der Film nicht vermeiden kann. Zum einen die Gefahr, eben nur hell und dunkel zu kennen: War die Beziehung zwischen Chehnaz und Cem zunächst eindeutig asymmetrisch, aber zugleich eindeutig einvernehmlich, so wandelt sie die Regisseurin zum Schluss in ein von expliziter Gewalt geprägtes Verhältnis, das damit auf ein ganz anderes Terrain verlagert wird, nämlich das des Rechts. Zusammen mit dem Einvernehmen entfällt die schwierige Frage nach der Frau als Handlangerin eigener Unterdrückung, es drängen sich wieder selbstverständliche Antworten auf: Was nicht einvernehmlich ist, ist schlecht. (Ebenso wenig differenziert erscheint die Dämonisierung der Pornografie, denn Cem guckt natürlich Pornos.) Und zweitens flüchtet der Film gerade dann, wenn man sich wünscht, er würde Farbe bekennen, in die gemütliche Uneindeutigkeit des Raumes zwischen hell und dunkel, und man ist geneigt, darin weniger eine Positionierung zu sehen als einen Unwillen, sich der entscheidenden Frage zu stellen. Sind die Vergewaltigung und die dem Egoismus geschuldete fehlende Befriedigung tatsächlich nur unterschiedliche Ausprägungen desselben Mechanismus? Man tappt im Dunkeln.

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