Tagebuch einer Pariser Affäre – Kritik

VoD: Mit Fremdschammomenten und Slapstick-Miniaturen erzählt Tagebuch einer Pariser Affäre von vermeintlich unverbindlichen Sextreffen. Zugleich führt der Film ständig vor, was seine ungleichen Hauptfiguren ausblenden: wie sehr sie ineinander verliebt sind.

Sobald der Elefant im Raum einem der beiden Protagonisten bewusst wird, zoomt die Kamera auf dessen Gesicht. Oder auf dessen Hinterkopf. Wir sehen eine Erkenntnis oder ein Gefühl langsam einen Rücken hochkriechen. Zugleich sucht die eindringlich starrende Kamera danach, was diese Erkenntnis mit der entsprechenden Figur macht. Es ist vielleicht das expressivste Stilmittel, das Regisseur Emmanuel Mouret in Tagebuch einer Pariser Affäre (Chronique d’une liaison passagère) zur Anwendung bringt. Mit ihm schreibt er am deutlichsten ins Geschehen ein, dass unter der Oberfläche der Momente dieser flüchtigen Affäre – der französische Originaltitel ist mal wieder deutlich präziser als der nichtssagende deutsche – sehr viel mehr lauert, als die Protagonisten wahrhaben möchten.

Etwas äußerst Kompliziertes

Unvermittelt startet der Film mit einem Treffen von Charlotte (Sandrine Kiberlain) und Simon (Vincent Macaigne), die sich auf einer Party kennengelernt und nun zu einem unverbindlichen Sextreffen verabredet haben. Simon liebt seine Frau und Kinder, möchte nach zwanzig Jahren Ehe aber auch mal ein Abenteuer. Schon aus Prinzip. Charlotte liebt einfach die Herausforderung – mit Verlauf des Films drängt sich der Verdacht auf, sie möchte sich beweisen, dass sie nicht spießig ist. Aus einem Treffen werden regelmäßige und aus den gegenseitigen Versicherungen, dass beide gerade die Einfachheit der Affäre wertschätzen, wird etwas äußerst Kompliziertes. Inklusive eines hölzern herbeigeführten Dreiers.

Tagebuch einer Pariser Affäre konzentriert sich dabei völlig auf seine beiden Hauptfiguren. Weder die emotionale Gemengelage in Simons Ehe noch die zwischen Charlotte und ihren drei Kindern (zwei davon sind bereits zum Studium ausgezogen) wird uns je vorgeführt. Weder bekommen wir die Ehefrauen oder die Kinder zu Gesicht, noch erleben wir Simon oder Charlotte ohne den jeweils anderen. Stattdessen eben eine fragile Paarbeziehung, zwischen deren Stationen Tage oder Wochen vergehen. Und selbst wenn Charlotte und Simon sich treffen, werden die Begegnungen auf die sprechenden Momente heruntergekocht. Weshalb manchmal auf die Einblendung eines Datums nur das nächste Datum folgt, weil während des Treffens wohl alles seinen Gang ging und nichts Bemerkenswertes geschah.

Charlotte und Simon sind sichtlich als Gegensätze entworfen, woraus die romantische Komödie ihren Spaß bezieht, ohne ihre Figuren mehr als grob skizzieren zu müssen. So ist sie sportlich, attraktiv, blond, während er, ohne dass sie groß widerspricht, anmerken kann, dass es ein Akt der Barmherzigkeit ist, wenn eine Frau mit ihm schläft. Sein mittellanges Haar ist schütter, er trägt einen struppigen Vollbart und sieht so unbeholfen aus, wie er ist. Charlotte ist kontrolliert, selbstbewusst und sehr direkt darin, ihre klaren Vorstellungen zu kommunizieren. Simon hingegen plappert seine allumfassende Unsicherheit und so ziemlich alles, was ihm durch den Kopf geht, wie ein Wasserfall heraus.

Heitere Fremdschammomente

Es könnte eine explosive Mischung sein, aber eines haben die beiden gemeinsam: Sie schrecken davor zurück, das, was ihnen am Herzen liegt, zu benennen und einzufordern. Sie suchen nach Lockerheit in ihren Gesprächen, die ihnen aber abgeht. Sie zerreden jede Entscheidung, versuchen ihre Beziehung nur über rationale Argumente zu organisieren und wirken folglich völlig unbeholfen, wenn sie sich gegenseitig nachdrücklich versichern, dass ihr gemeinsamer Gang ins Bett nur normal ist. Zwanghaft abgeklärt wollen sie sein, weshalb ihre Treffen zuweilen wie das Abarbeiten einer Bucketlist erscheinen.

Den Willen zur Leichtigkeit gewährt Tagebuch einer Pariser Affäre seinen Protagonisten durchaus. Fast durchweg reden die beiden beherzt und sanft miteinander – wenn sie ins Kino gehen und sich Szenen einer Ehe (Scener ur ett äktenskap, 1974) ansehen, in dem wir Liv Ullmann dabei erleben, wie sie schreiend anschuldigt und ihre Seele auskotzt, scheinen wir plötzlich in eine andere Galaxie geworfen. Es kommt zu heiteren Fremdschammomenten und Slapstick-Miniaturen. Simon redet sich charmant um Kopf und Kragen, während Charlotte etwas absurd dreist ihre Coolness betont. Wir sehen sie sich immer wieder anlächeln und füreinander schwärmen. Und nicht zuletzt baut Mouret wiederholt Montagen ein, in denen ihre Zweisamkeit sonnendurchströmt und wie ein Hort des Glücks aussieht.

Passiv-aggressive Fluchtbewegungen

Womit uns der Film auch ständig vorführt, was Charlotte und Simon ausblenden. Wie sehr sie nämlich ineinander verliebt sind. Wie viel Leidenschaft sich schon aufgebaut hat. Wie sehr sie eigentlich mehr wollen. Sie ignorieren aber ihre Eifersucht und unterdrücken alle Tendenzen zur gegenseitigen Besitzergreifung. Der Film blickt in diesen Situationen auf ihr Schweigen – oder ihre passiv-aggressiven Fluchtbewegungen, mit denen sie intensiven oder negativen Gefühlen entkommen oder indirekt Entscheidungen erzwingen wollen.

Was Tagebuch einer Pariser Affäre letzten Endes zu einem zweiseitigen Vergnügen macht. Auf der einen Seite ist er nämlich eine heitere Beziehungskomödie, deren Bebilderung von Liebe ziemlich einfallslos ist – der Trailer hat tatsächlich die schablonenhaftesten Momente abgegriffen, die der Film bereithält, um den Eindruck einer bequemen RomCom zu verstärken. Zuweilen wirkt es, als wären weite Teile des Films nur da, um schnell und unkompliziert die Fallhöhe der Gefühle zu etablieren. Auf der anderen Seite entwickelt er doch eine stille, aber nachhaltige Emotionalität, weil die beiden ihre Gefühle immer wieder implodieren lassen. Weil der Film im Leichten auch immer einen Klumpen aus Angst findet, der zwei Leute und ihre Gefühle zu ersticken droht.

Der Film steht bis zum 13.12.2024 in der Arte-Mediathek

Zu unserem Interview mit Hauptdarsteller Vincent Macaigne geht es hier.

Neue Kritiken

Trailer zu „Tagebuch einer Pariser Affäre“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.