Zimmer 212 - In einer magischen Nacht – Kritik

Szenen keiner Ehe: Mit einer melancholischen Comedy of Remarriage hebt Christophe Honoré sein heiter-melancholisches Kino mal wieder ins Fantastische. Im Hotelzimmer der vergebenen Möglichkeiten schaut irgendwann sogar der Wille selbst vorbei.

Dass die Straße auf einmal nur Kulisse ist, daran muss man sich erst mal gewöhnen. Auf der Straße nämlich spielt die mal wieder umwerfende Eröffnungssequenz, und kaum jemand nimmt das Etablieren einer Stimmung über die sogenannten Opening Credits so ernst wie Christophe Honoré. Zu meist recht flotter Musik werden Kino und Leben in Zimmer 212 - In einer magischen Nacht miteinander vernäht, trifft der Text, der von der Gemachtheit der Bilder kündet, auf eine aus diesen Bildern im Entstehen begriffene Welt, die es nicht abwarten kann, den Text endlich loszuwerden.

Kulisse eines Lebens

In seinem letzten Film Sorry Angel, der in Cannes noch im Wettbewerb lief, nahm die Eröffnungssequenz die episodische Struktur des Films vorweg, etablierte eine Gleichheit zwischen den verschiedenen Figuren und ihren Darstellern, kündigte über Musik und Schnitt schon einmal an, dass im Folgenden vom Tod nur erzählt wird, um sich ganz dem Leben zu widmen. In Zimmer 212 nun gibt es während der Credits nur Chiara Mastroianni als Juraprofessorin Maria zu sehen, die eilig durch die Straßen läuft, von ein paar Jump Cuts noch zusätzlich gehetzt. Der Text knallt diesmal nicht pompös ins Bild rein, sondern bleibt kleinlaut am Rand.

Nachdem Honoré aber die Ausgangssituation etabliert hat – Marias Mann Richard (Benjamin Biolay) kommt, ein erstes schon zum Topos geronnenes Motiv der 2010er Jahre, über ein herumliegendes Smartphone der nachhaltigen Untreue seiner Frau auf die Schliche –, flieht der Film ins Fantastische, reiht sich ein in jenen Teil von Honorés Werk, in dem das Drama durch nichts geerdet bleiben will. Maria zieht für eine Nacht ins Hotel gegenüber, will sich und Richard nach dem Streit (der zwar niemals laut wird, in dem sich beide aber so subtil wie zielsicher ein paar Messerstiche ins Herz gesetzt haben) ein bisschen Luft zum Atmen verschaffen.

Und während sie umzieht mit ihrem Köfferchen, schwingt sich die Kamera in die Lüfte, fährt zurück und degradiert die Straße zur Kulisse, während die realen Schneeflocken zu animiertem Sternenstaub werden. Aus der gemeinsamen Wohnung wird das gelebte Leben, aus dem Hotelzimmer gegenüber ein verwirrter Denkraum, von dem aus man in dieses Leben hinüberstarren kann. Aus der Straße wird die Kluft zwischen dem, was ist, und dem, was hätte sein können oder noch immer werden kann. Und aus dem Multiplex „7 Cinemas“, über dem sich die Wohnung von Maria und Richard befindet, wird das Kino.

Wo ein Wille ist, sind auch 15 Jünglinge

Das klingt traurig und melancholisch, und das ist es auch, aber Zimmer 212 behält das Kleid der Komödie an, das sich der Film schon im Prolog übergestreift hat, als Maria sich – wie unwürdig für eine erwachsene Frau! – im Schrank ihres aktuellen Lovers verstecken musste, eines sexy Katalanen mit dem ebenso sexy Namen Asdrubal Electorat. Jetzt im Hotel taucht ein weiterer schöner Mann auf (Vincent Lacoste), der sich allerdings als der 25-jährige Richard vorstellt.

Als wäre die Begegnung mit dem jüngeren Ich des eigenen Mannes nicht genug, klopft wenig später Irène Haffner an die Tür, die Richard gerade im Streit bereut hat nicht geheiratet zu haben, und stellt sich als dessen ehemalige Klavierlehrerin vor, die jetzt ihre Chance wittert. Sie werde gleich mal rübergehen, sagt sie. Und irgendwann kommt auch noch Marias Wille selbst vorbei, der, wie Maria sofort bemerkt, aussieht wie Charles Aznavour. Honoré und seine Darsteller hatten sichtlich Spaß am Set: Als Maria einmal vom Balkon zurück ins Zimmer tritt, sitzen dort als ihre Affären etwa 15 Jünglinge jeglicher Couleur.

Dass man sich an diese Komik erst einmal gewöhnen muss, vielleicht gar enttäuscht ist, hat Honoré sich selbst zuzuschreiben, hat er doch gerade mit der dem Film zugrunde liegenden Streitszene nochmals daran erinnert, wie grandios er immer wieder konkrete Realität in Kino übersetzt, während er Szenen in Einstellungen auflöst; wie beiläufig er Reflexionen von Gesichtern und Körpern benutzt, die schneller vorbeihuschen, als man „Spiegelmetapher“ auch nur denken kann; wie viel Wärme in jedem Bild steckt.

Handlungsdruck des Lebens

Nun also Meta-Kino, absurder Humor, und der Wille als Figur! Zimmer 212 ist eine Art Fenster zum Hof als imaginierter Blick ins eigene Eheleben. Dort die Wohnung, für die man sich entschieden hat, hier das Hotel, das vor freien Zimmern nur so wimmelt. Der ständige Handlungsdruck, der auf ein Leben einwirkt, ist vielleicht ohnehin Honorés großes Thema, ob in seinen Coming-of-Age-Filmen oder denen über Aids.

Ein bisschen ist sein neuer Film also auch eine Zusammenfassung des Gesamtwerks, dadurch zugleich expliziter – die Dinge, die sonst in Bildern und Blicken stecken, werden ausgesprochen – und sperriger: Der virtuos konstruierte Realitätseffekt wirkt dumpfer, wenn er sich seinen Weg durch paradoxe, allegorische, fantasierte Figuren bahnen muss. Er verschiebt sich dann umso stärker auf die Darsteller, die allein aus etwas, was in Richtung Sparwitz und Weltschmerzplattitüden hätte kippen können, ein heiter-trauriges Stück Kino werden lassen. In dem Camille Cottin als Irène Haffner (oder Richards Erinnerung an sie) Barry Manilows „Could It Be Magic“ am Klavier singt.

Alle einfach heiraten

So wird der Film schließlich zu einer melancholischen Comedy of Remarriage, einer Variation auf It’s a Wonderful Life über den Umweg The Awful Truth (woran auch der englische Titel On a Magical Night gemahnt), die so ernst wie spielerisch mit dem Überschuss an Möglichkeiten umgeht, der einem Leben innewohnen kann. Spielerisch: Irgendwann betrinken sich der junge und der alte Richard und schlagen Maria und Irène eine Viererhochzeit vor. Die 15 Jünglinge, die das zufällig mitbekommen, fragen direkt an, ob sie mitheiraten können, werden aber barsch zurückgewiesen: Hier geht’s schließlich um Ehe, nicht um Sex. (Im Herzen von Zimmer 212 versteckt sich weder ein konservatives Bestehen auf der Notwendigkeit der Treue noch eine scheinbar progressive Utopie der freien Liebe.) Ernst: „Kommst du heute Abend wieder nach Hause?“, fragt Richard, als die Kulisse am nächsten Morgen wieder zur Straße geworden ist. „Ja“, antwortet Maria zögernd und lächelnd, „heute Abend habe ich noch nichts vor.“ Noch im unzweifelhaftesten Happy End gelingt es Honoré, den Zweifel nicht aufzulösen, sich nicht zu entscheiden.

Was schon die Kulisse weiß: Ein Leben wohnt immer über dem Kino, und gegenüber steht immer ein Hotel. Was Honoré mit seinem charmant-absurden Theater der Ungleichzeitigkeit in diese Kulisse versetzt: das unauflösbare Paradox, dass man, hätte man einst die Möglichkeit eines anderen Lebens genutzt, ja gar nicht der wäre, der sich nun wünscht, diese Möglichkeit genutzt zu haben. Das alte Lied: Unbetretene Lebenswege erscheinen nur darum so attraktiv, weil sie eben frei von Fußspuren, weil sie Kino geblieben sind.

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