Chained for Life – Kritik
Woche der Kritik 2019: Eine Satire über den Dreh eines Horrorfilms im Stil von Tod Brownings Freaks. Aaron Schimberg behält in Chained for Life stets im Blick, dass auch ein Meta-Film die Kamera auf Körper hält.

Schauspieler sind meist schöner als gewöhnliche Leute, das Publikum will es so, und das geht schon in Ordnung – soweit Pauline Kael, deren Worte vorm Vorspann über die Leinwand rollen. Einem Film, der so beginnt und der dann von Dreharbeiten für einen Horrorfilm mit körperlich real deformierten Darstellern handelt, dem darf man unterstellen, ein Anliegen zu haben. Doch dabei stellt sich Chained for Life auf kein Podest. Tatsächlich setzt sich Aaron Schimberg in seinem zweiten Langfilm in praktisch jeder Sequenz mit der ausgrenzenden Wirkung körperlicher Normabweichungen auseinander und damit, wie das Medium Film sie ausnutzt. Dass dieses Medium selbst bei besten Absichten kaum anders kann, als sie auszunutzen, dessen ist sich Chained for Life sehr bewusst. Die Fallen seines Sujets, die auch er nicht umgehen kann, behält der Film stets im Blick, nähert sich diesem Sujet zwar nie skrupulös, aber immer selbstreflexiv.
Ins Licht der Großaufnahme treten

Drehort ist eine alte Villa, vorzüglich geeignet für ein Spukhaus, genauer: ein Krankenhaus, in dem ein verrückter Chirurg an missgestalteten Menschen herumexperimentiert und in dem sich eine blinde Schöne in ein Monster verliebt. Der deutsche Film-im-Film-Regisseur „Herr Director“ (Charlie Korsmo) will mit diesem Werk unter anderem eine Aussage über wahre Schönheit machen – doch so offensichtlich der Egomane (mit, na so ein Zufall, Werner-Herzog-Akzent) die hierfür versammelten „Freaks“ rücksichtlos ausbeutet, und so genau Schimberg das satirische Potenzial dieses Settings erkundet, so wenig nimmt er dafür selbst einen überlegenen Standpunkt ein. Recht früh im Film gibt es ein Streitgespräch, ob eine Blinde die Schönheit der Augen ihres Gegenübers erkennen kann. Aber wie immer man darüber denkt, für einen Film ist das keine Option. Schimberg hält – wie „Herr Director“ – die Kamera forschend auf das deformierte Gesicht von Rosenthal / Adam Pearson, wenn der aus dem Dunkeln ins ausstellende Licht der Großaufnahme tritt und „Don’t be afraid“ sagt; seine Augen sind unter den neurofibramotösen Tumoren nur als Gruben erkennbar.

Es handelt sich um eine mehrfach gedrehte Szene, die sich die beiden Hauptdarsteller Mabel und Rosenthal, im Film-im-Film the beauty and the beast, dann zusammen mit der Crew selbst im Kino anschauen. Wenn Schimberg das Publikum mit dem Wechsel der Erzählebenen immer wieder überrascht (und damit auch einmal die Intimität einer Szene heftig aufbricht) oder ihre Grenzen verwischt, dann fühlt man sich weniger in ein narratives Verwirrspiel geführt als darauf gestoßen, dass es auf jeder dieser Ebenen unterschiedslos um das Betrachten und Beurteilen von Körpern geht. Schimberg zeigt das genretypische Erschrecken und Aufschreien beim Anblick des Monsters, er studiert Rosenthals und Mabels Mienen beim Proben in frontalen Shot-Reverse-Shots, er wartet später mit einer effektreichen Veränderung beider Gesichter auf, und er lässt sie und die anderen Figuren viel zum Thema sagen – vor allem Mabels’ Bruder Max (Stephen Plunkett), der den verrückten Arzt spielt, gibt hier allerlei leichtfertigen Unsinn von sich. Überhaupt kommt die Filmcrew nicht gut weg; Leute, die gerne mal Selfies mit den seltsamen Anderen machen, aber nicht mit ihnen in einem Hotel wohnen wollen, die „Freaks“ bleiben am Drehort untergebracht.
Beziehung in spannungsreicher Schwebe

Die beiden Hauptdarsteller, beide aus diametralen Gründen viel Gewese um ihr Äußeres gewohnt, freunden sich am Set ein wenig an, tauschen sich aus über die Darstellung von Emotionen, über Wünsche und Erfahrungen, hier wechselt der Film vom Satirischen ins Zarte, und Pearson und Jess Weixler halten diese Beziehung in einer spannungsreichen Schwebe. Sie eine verwöhnte Diva, aber keine dumme Gans, die Grenze zwischen professioneller Freundlichkeit und echter Zuwendung bleibt gleichwohl immer etwas unklar. Er ein freundlicher, aufmerksamer Mann mit einer wohlklingenden, weichen Stimme, vielleicht etwas zu duldsam gegenüber vielem, was er als Ausgegrenzter gewiss schon viel zu oft hören musste, wie dem abgeschmackten Spruch, dass jedes Töpfchen sein Deckelchen finde. Der bedauernde Satz „I like you, but I’m not attracted to you“ fällt freilich auch.
Zärtlich und doch angenehm zurückhaltend ist der Film auch, wenn er die „Freaks“ unter sich zeigt, sich in gelassener Übereinkunft dem kategorisierenden Zugriff entziehend, beim Kiffen am Lagerfeuer, beim Drehen ihres eigenen Films, in einer langen, schönen Schlusseinstellung, die nichts Utopisches behauptet, dafür den Blick humanisiert. Chained for Life schafft es beinah durchweg, falsche und schiefe Töne zu vermeiden. Er schöpft aus der Filmgeschichte, ohne zum Referenzkasten zu werden, er ist meta-narrativ, aber nicht verstiegen; satirisch, aber nicht zynisch; berührend, aber nicht sentimental; a completely self-aware movie.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Chained for Life“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (7 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.