Bugonia – Kritik

Zwei abgehängte Verschwörungstheoretiker entführen eine Pharmaunternehmerin, die sie für ein Alien halten. Die satirische Eskalation von Bugonia nimmt Regisseur Yorgos Lanthimos zum Anlass für ein Tableau menschlichen Versagens, das sich wie ein Gefängnis anfühlt – und bietet dabei Jesse Plemons und Emma Stone eine große Bühne.

Die Protagonisten von Bugonia werden per Parallelmontage vorgestellt. Auf der einen Seite erklärt Teddy (Jesse Plemons) seinem Cousin Don (Aidan Delbis) sein luftdichtes Weltbild: Außerirdische haben die Menschheit mittels der kapitalistischen Moderne unterjocht. Alles, was scheinbar gegen diese Verschwörungserzählung spricht, ist in Wahrheit Teil des bösartigen Plans aus dem All. Dieser Plan führt in den Menschen zu Selbstzweifeln und Unsicherheit und ist außerdem für das Massensterben der Bienen verantwortlich. Auf der anderen Seite der Montage steht Michelle Fuller (Emma Stone), die ein großes Pharmaunternehmen leitet. Flexibel in ihrer Ideologie, redet sie allen nach dem Mund, um am Ende doch das zu bekommen, was sie will: Dass sich ihre Mitarbeiter ausbeuten lassen, ohne sich ausgebeutet zu fühlen.

Teddy sehen wir beim Imkern, Michelle bei der Publicity-Arbeit. Teddy macht in seinem heruntergewirtschafteten Haus auf dem Land amateurhaftes Yoga, Michelle übt in ihrer modernen Designervilla mit ihrem personal trainer Kampfsport. Unmittelbar bekommen wir vorgeführt, was die beiden verbindet – und zwar ihr von sich überzeugter Hang zum Dauerreden. Zugleich werden uns aber auch die Unterschiede zwischen ihnen vor Augen geführt – zwischen ihren Lebenswelten, ihren Persönlichkeiten. Auf der einen Seite eine machtvolle Person der Öffentlichkeit, auf der anderen ein zurückgezogener Abgehängter, der nur seinen Cousin und allerlei YouTube-Videos als Gesellschaft hat.

Diese parallelen Existenzen krachen in dem Moment aufeinander, als Teddy und Don Michelle entführen. Denn Teddy ist überzeugt: Michelle ist Teil der Alien-Verschwörung, als sogenannter „Fuller-Humanoid“ täuscht sie ihr Menschsein nur vor. Deshalb schneiden die beiden Entführer auch sofort Michelles Haare ab, denn diese sind in ihren Augen Kommunikatoren, durch die sie Hilfe vom Mutterschiff rufen könnte. In den Keller gesperrt, wird Michelle gefesselt und schlussendlich gefoltert, da sie sich beharrlich weigert, der einzigen Forderung nachzukommen, die Teddy und Don an sie richten: direkte Verhandlungen zwischen den Außerirdischen und der Menschheit (repräsentiert von Widerstandskämpfer Teddy) in die Wege zu leiten.

Bilder wie ein Käfig

In seiner Grundstruktur ist Bugonia somit eindeutig eine Komödie: Teddys abstruses Weltbild wird immer weiter ausgeschmückt und das beständige Scheitern des „Fuller-Humanoiden“, dieses Weltbild durch spitzfindige Argumentation und rhetorische Winkelzüge aushebeln, ist einfach zu komisch. Michelle setzt alle Mittel ein, die ihr bislang im Leben offenkundig zu Erfolg verholfen haben – ihre ätzende Ironie, ihren kühlen Verstand, ihren Sinn für die Schwächen ihrer Gegner – und prallt doch nur immer wieder gegen eine Wand aus felsenfesten absurden Überzeugungen. Auch visuell ist Yorgos Lanthimos’ distanzierte Inszenierung auf komische Pointen ausgelegt. In den meisten Fällen gleichen die Einstellungen bewegten Tableaus, die ganz darauf ausgerichtet sind, menschliches Versagen ausstellen. Der Bildkader wirkt wahlweise wie ein Käfig, in dem sich die Figuren hilflos abmühen, oder wie eine Lupe, unter deren Brennglas sie bloßgestellt werden.

Jesse Plemons und Emma Stone wird so jedenfalls eine große Bühne geboten, die sie dann auch zu nutzen wissen – sie sind das Beste an Bugonia. Plemons spielt Teddy als sanften Verlierer, der beständig um Haltung und Contenance ringt. Schon sein Äußeres – abgemagerter Körper, fettige Haare, ein speckiger, selbst im Anzug verloren wirkender Look – spricht Bände. Ständig scheint er kurz davor zu sein, völlig auseinanderzufallen, und sekundenschnell schlägt seine bemühte Sachlichkeit in unkontrollierte Rage um. Stone hingegen spielt ihre Figur als jemanden, der seine Gewissheit, den anderen haushoch überlegen zu sein, nur notdürftig kaschieren kann. Keine Regung, kein Gesichtszug erscheint natürlich. Immer wieder verfällt sie in Ticks und Fratzen. Sprich: Sie darf im Gegensatz zu Plemons jede Menge Gesichts- und Körperfasching feiern.

Eine Gemeinschaft von Pappkameraden

Durch diese durchgehende Ironisierung des Geschehens bekommen die Figuren aber kaum menschliche Konturen. Der „Fuller-Humanoid“ ist – gerade in Kombination mit Stones Spiel – die überzeichnete Karikatur eines aalglatten Demagogen. Die Nebenfiguren sind kaum mehr als Stichwortgeber und werden auch viel zu selten als straight men genutzt, also jene Figuren in einer Komödie, die am überdrehten Wahnsinn verzweifeln und diesen damit erst also solchen kenntlich machen. Teddy ist mit seinen vielfältigen Traumata noch die Figur mit den menschlichsten Eigenschaften: Seine opiatsüchtige Mutter (Alicia Silverstone) liegt durch ein Medikament, das von Michelles Firma produziert wurde, im Koma. Sein Babysitter hat ihn als Kind auf eine nie genannte Weise misshandelt. Hilflos steht er einer Welt gegenüber, die ihn aufzufressen droht. Doch Lanthimos nutzt dieses Potential an Innerlichkeit lediglich, um ein paar weitere schicke Tableaus zu entwerfen, die Teddy und seine zerrüttete geistige Verfassung zur Schau stellen.

Die aufgeworfenen Konflikte zwischen Privilegierten und Entmachteten, zwischen Mensch und Moderne, zwischen professioneller Heuchelei und gewalttätiger Aufrichtigkeit erfahren somit keine tiefere Ausdeutung, sie werden nur auf selbstzufriedene Art in den Raum gestellt. Bugonia tut so, als würde er eine Parabel um kapitalistische Macht und individuelle Ohnmacht entwerfen, aber eigentlich ist dem Film, wie so oft bei Lanthimos, diese Thematik egal. Hauptsache ab und zu gibt es Möglichkeiten, schöne, spaßige Bilder menschlicher Verlorenheit zu entwerfen. Die Geschichte ist nur ein Vehikel, um von einer visuellen Taschenspielerei zur nächsten zu führen – und die Figuren nur Pappkameraden, die man dabei notgedrungen mitschleppen muss.

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