Brügge sehen... und sterben? – Kritik
Vor der mittelalterlichen Kulisse inszeniert Martin McDonagh einen perfekten Showdown zwischen drei Gangstern. In seinem Regiedebüt halten sich Humor, Drama und Spannung die Waage.

Brügge sehen… und sterben? (In Bruges) ist ein echter Männerfilm. Frauen sind hier nur schmückendes Beiwerk, das es zu schützen oder zu begehren gilt. Denn in dieser klassischen Gangstergeschichte werden die wichtigen Dinge des Lebens unter Männern verhandelt: Macht, Ehre, Loyalität, Freundschaft, Buße. Die beiden Auftragskiller Ray (Colin Farrell) und Ken (Brendan Gleeson) werden von ihrem Londoner Boss Harry (Ralph Fiennes) nach einem schwierigen Job ins belgische Brügge geschickt, um dort ein wenig unterzutauchen und auf einen neuen Auftrag zu warten. Während der eine nur Saufen und Frauen im Kopf hat, um das getane Blutbad zu vergessen, plant der andere mit einem Kunstführer in der Hand das touristische Sightseeing in der mittelalterlichen Stadt. Die beiden vertreiben sich ihre Zeit mit skurrilen, komischen und romantischen Begegnungen, bis das Telefon im Hotelzimmer klingelt und Ken vom Boss mit einem neuen Auftrag in einen fatalen Gewissenskonflikt gestürzt wird. Höchstpersönlich wird schließlich auch Harry nach Brügge reisen – zu einem erbarmungslosen Showdown zwischen den drei Gangstern.

Mit Brügge sehen… und sterben? liefert Martin McDonagh sein Regiedebüt. Dass er zuvor insbesondere als Theaterautor tätig war und das dramaturgische Handwerk absolut beherrscht, beweist seine Drehbuchvorlage. Der unbeholfene deutsche Titel mit dem dummen Fragezeichen am Ende wird ihr nicht gerecht – als ob die Geschichte anders als verhängnisvoll ausgehen könnte. Warum wurde für den smarten Film nicht einfach der schlichte Originaltitel In Bruges übersetzt? Der Plot um die drei Protagonisten zieht die Spannungsschraube raffiniert langsam an und spitzt sich zu einem perfekt inszenierten Entscheidungskampf zusammen. Existentiell ist die Angelegenheit für die Figuren in Brügge sehen… und sterben? auf alle Fälle. Hier wird der Konflikt noch nach dem Ehrenkodex der alten Schule ausgetragen. Jedoch spielt McDonagh mit dem todernsten Genre des Gangsterfilms und belebt es neu, indem er stilsicher feinsinnigen Humor sowie romantische Elemente untermischt.

Geradezu liebevoll-ironisch ist ihm die Figurenzeichnung gelungen, die kongenial von seinen Schauspielern umgesetzt wird. Üblicherweise strotzen Profikiller im zeitgenössischen Kino vor absoluter Coolness – Typ John Travolta aus Pulp Fiction (1994). McDonagh hingegen hat allen drei Figuren Menschlichkeit verliehen. Mit kaum zu verstehendem irischen Akzent flucht Sonnyboy Colin Farrell als Ray so wahnsinnig charmant – und hat dazu den melancholischen Blick des für immer Verdammten auf dem Gesicht. Brendan Gleeson gibt seinen kauzigen und zugleich väterlich besorgten Partner, dessen stoische Mine nicht den moralischen Kampf verrät, den er mit sich auszutragen hat. In seiner Unterschiedlichkeit wirkt das Paar in manchen komischen Momenten wie eine Art Pat und Patachon des Gangsterfilms. Und zu guter Letzt ist da noch Ralph Fiennes: Mit falschen Zähnen, gelgeglättetem Haar und kaltem Blick ist er ein fieser Edelganove und irrer Psychopath zugleich, und doch möchte man vor der Prinzipientreue der Figur ehrfurchtsvoll den Hut ziehen – wie im Übrigen auch vor der Leistung des Schauspielers, denn so brillant hat man Fiennes vielleicht noch nie auf der Leinwand erlebt.

Heimlicher vierter Protagonist des Films ist der Ort Brügge selbst. McDonagh hat sich einerseits die Mühe gemacht, den Charakter des alten Stadtkerns in vielen Bildern, vor allem Detaileinstellungen beispielsweise der Hausfassaden, in Szene zu setzen. Die nebeligen Kanäle und die schneeverhangenen Fenster geben der konkreten Geschichte eine entrückte, beinahe surreale Stimmung, wozu übrigens auch der Auftritt so mancher skurriler Nebenfigur beiträgt. Die gotische Architektur Brügges wird andererseits mit zunehmender tödlicher Bedrohung immer schauriger, also gothic. Der letzte große Erzählbogen ist ausschließlich in Nachtaufnahmen gefilmt. Und am Ende fährt grelles Scheinwerferlicht dem Zuschauer in die Augen. Schade eigentlich, dass dieser perfekte kleine Film im Mai startet. Man wünscht sich, nach der Kinovorstellung in eine dämmerige Stadt hinauszukommen, auf die leise der Schnee fällt.
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prot
Brügge ist eine schöne Stadt, mit seinen 117.000 Einwohnern die größte der Provinz Westflandern in Belgien und gleichzeitig Bischofssitz der katholischen Kirche. Der mittelalterliche Stadtkern wurde im Jahr 2000 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. So weit, so wikipedia.
Mit einem Wort: Sich in Brügge aufzuhalten ist der feuchte Traum eines jeden halbwegs kulturinteressierten Touristen, seien es nun fette Amis oder streitsüchtige Kanadier.
Der Originaltitel dieses vollendeten Langfilm-Erstlings des irischen Dramatikers Martin McDonagh "In Bruges" macht deutlich, dass einfallslos-pseudowitzige deutsche Filmtitel wie "Brügge sehen... und sterben?" einem immer wieder gerne Schreckensschauer über den geplagten Rücken jagen wollen. Aber ich schweife vom Thema ab.
"In Brügge" zu verweilen ist nämlich nicht jedermanns Sache. "Im gottverdammten Brügge", "in diesem Scheiß-Brügge", kurz: "in fucking Bruges" den Touristen zu spielen, interessiert traumatisierte und akut selbstmordgefährdete irische Auftragskiller weniger - vor allem, wenn sie aus Dublin stammen, für jeden Dubliner "the one and only city worth seeing". Alte irische Auftragskiller aus der gottverdammten irischen Provinz zeigen sich da weit aufgeschlossener den architektonischen Schönheiten Brügges gegenüber. Wenn sich zwei Individuen mit derart unterschiedlichen Interessenlagen dann auch noch auf Grund einer Fehlbuchung das Doppelzimmer teilen und dort auf weitere Instruktionen ihres Bosses warten müssen, liegt Spannung in der Luft.
Ray (Colin Farrell) hat in London seinen ersten Job so richtig versaut und wurde deshalb von Boss Harry (Ralph Fiennes) zusammen mit seinem väterlichen Mentor Ken (Brendan Gleeson) nach Brügge in Urlaub geschickt. So streifen die beiden durch die mittelalterlichen Gassen, unternehmen eine pittoreske Grachtenfahrt und klappern die vielen Kirchen und Kathedralen ab. Was des einen Freud, ist des andren Leid - wie so oft im Leben.
Hier könnte nun ein Abriss des weiteren Handlungsverlaufs folgen, in dem es von Gnomen, hoch- und nichtschwangeren Schönheiten, zeitweilig Einäugigen, Touris aus aller Welt und Waffenhändlern aus - was sonst - Russland nur so wimmelt. Doch wieso potenziellen Interessenten den Spaß verderben? Außerdem hat´s der dt. Titel ja ohnehin geschafft, einiges vorwegzunehmen. Nicht zu vergessen überflüssige Aufmerksamkeit zu erhaschen suchende Vergleiche wie "dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie..." oder "für Tarantino- oder Guy Ritchie-Fans ein Muss"... Die Welt der Werbung ist einfach nur schlecht.
"In Bruges" hat mit Tarantino soviel gemeinsam wie "Lawrence von Arabien" mit der Paris-Dakar-Ralley - beide spielen sich schließlich großteils in der Wüste ab. Denn im Gegensatz zum talentierten Mr. Ripper outet sich McDonagh als unerschütterlicher Menschenfreund; er liebt die von ihm erschaffenen Charaktere wirklich - jeden einzelnen von ihnen.
Diese bedingungslose Liebe zum menschlichen Makel hat sich ganz offensichtlich auf sein Schauspiel-Ensemble übertragen: Ralph Fiennes zeigte sich nie unattraktiver (sind doch gerade sein Amon Goed oder zuletzt die Voldemort-Kurzauftritte der HP-Streifen die visuelle Versinnbildlichung der Anziehungskraft des Bösen), der bullige Brendan Gleeson war nie zärtlicher, und allen voran als die wohl größte Überraschung dieses an erfreulichen Überraschungen nicht armen Films: ein geradezu sensationell aufspielender Colin Farrell, der mit einem Streich sämtliche Eskapaden der letzten Jahre à la "Alexander" vergessen lässt und sich auf seine ruppig-sentimentalen irischen Wurzeln besinnt.
Dieser cineastische Brügge-Trip ist kein herzloser Coolness-Overkill à la Tarantino und das Profikiller-Duo Ken und Ray erst Recht keine Neuauflage von dessen Frankenstein-Schöpfungen Jules und Vincent, dem wohl berüchtigtsten Männer-Gespann seit den Buddy-Movie-Ikonen Redford und Newman. Ich könnte ja nun die elitäre Behauptung aufstellen, dass man hierin vielleicht den Unterschied zwischen alter und neuer Welt erkenne, aber dies würde den Errungenschaften der amerikanischen Filmindustrie wohl alles andere als gerecht. Letztendlich ist alles eine Frage der Weltsicht.
"In Bruges" wird ab sofort meinen bis dato Lieblingsfilm zum Fest der Liebe "It´s a wonderful life" ablösen - frei nach dem Motto: "It´s a shitty life - enjoy as much as you can as long as you can."
So absurd dieser Vergleich auch erscheinen mag: McDonagh ist ein postmoderner Frank Capra - er liebt skurrile Situationen, pointierte, schnelle Dialoge, verleugnet dabei aber auch nicht den Romantiker in sich. Der Tod, wenn er denn (unausweichlich) an die Tür klopft, ist für ihn das, was er ist: das Ende des Lebens. Kein großes Drama - aber eben auch alles andere als ein guter Lacher.
Ja, und dann ist da die Sache mit der Utopie. Martin McDonagh glaubt an das Gute im Menschen. Frei von Kitsch. Ein waschechter Ire. Ein bewundernswerter Zeitgenosse.
A fucking good director.
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