Bound to Vengeance – Kritik

Vom Opfer zum Retter. José Manuel Cravioto schlägt auf seinem nächtlichen Trip durch Los Angeles neue Wege im Entführungsthriller ein.

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Zunächst meint man für einige Momente noch einen Trailer für einen neuen Found-Footage-Teeniehorror zu sehen, doch dann wird klar: Wir sind schon mittendrin im Entführungsthriller Bound to Vengeance. Eve (Tina Ivlev) tollt am Strand von Los Angeles umher, stellt sich der Kamera vor, hinter der sich ihr Freund Ronnie (Kristoffer Kjornes) verbirgt. Dann möchte sie den Spieß umdrehen, Ronnie soll was erzählen, doch der mag nicht, die Szene bricht ab, und wir sind im eigentlichen Plot. In einer schäbigen Behausung bereitet ein Mann (Richard Tyson) Essen zu, bringt es in den Keller und sperrt eine Tür auf. In einer kleinen Zelle liegt die junge Frau aus dem Video. Den kompletten Part, wie aus dem fröhlichen Mädchen dieses ramponierte Entführungsopfer wurde, spart der Film aus. Torture Porn gab es schon genug in den letzten Jahren, Regisseur José Manuel Cravioto fängt mit seiner Erzählung lieber da an, wo andere Filme aufhören. Eve kann Phil, ihren „Wärter“, durch mehrere heftige Ziegelsteinschläge außer Kraft setzen und sich aus ihrer Zelle befreien. Aber was nun?

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Eve verlässt den Ort ihres Martyriums keineswegs so schnell wie möglich, sondern rennt hysterisch durchs Haus, bis sie einen Stapel Fotos von weiteren Entführungsopfern findet. Von da an scheint ihr Geist wieder erstaunlich klar. Sie bastelt aus Haushaltsutensilien eine Art Sicherheitsleine, geht zurück in den Keller und zwingt Phil, sie zu den Mädchen auf den Bildern zu führen. Der geht unter der Voraussetzung danach in Krankenhaus gebracht zu werden darauf ein. Zusammen fahren sie zu den verschiedenen Häusern im nächtlichen Los Angeles, wo die anderen gefangen gehalten werden. Auch bei ihnen werden wir nicht direkt Zeuge von Gewaltanwendung. Die Torturen, die sie über sich ergehen haben lassen müssen, macht Cravioto aber dennoch spürbar. Die Gebäude, in denen sie untergebracht sind, sind so obszön schäbig und verkommen, unterstützt vom Braunfilter der Kamera, dass diese Bilder weh tun, auch ohne physische Gewalt zu zeigen.

Rettung statt Rache

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Es werden also neue Wege im Genre bestritten. Und entgegen dem Titel sind es nicht Rachegedanken, die Eves Schritte leiten, sondern der Drang, die anderen Opfer zu befreien. Das Problem bei dieser neuen Plotvariation scheint zunächst die Motivationsfrage zu sein, die sich sogar Phil nicht verkneifen kann: Warum sollte sich Eve selbst mit diesen grässlichen Situationen konfrontieren, wieso das Ganze nicht einfach der Polizei überlassen? Eve antwortet darauf nicht, der Film selbst allerdings Stück für Stück schon. In verstreuten Rückblenden erfahren wir von einer Schuld, die Eve mit sich trägt und die sie durch die Rettung der anderen Mädchen glaubt abarbeiten zu können. Das Warum stellt zum Glück aber ohnehin kein Problem dar, sich auf die Geschichte einzulassen.

Keine Nummerndramaturgie

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Diese Geschichte unterläuft gleich mehrmals die Erwartungen. Zunächst scheint es um die Rollenumkehr zu gehen, Gewalttaten an den Opfern bleiben dem Zuschauer erspart, stattdessen muss nun Phil bluten. Als Eve dann das erste Mädchen befreit, stürmt dieses orientierungslos und panisch ins Freie, um sich im eskapistischen Übermut selbst an einem Gartengerät aufzuspießen. Solch grotesk anmutende Situationen akzeptiert man in übernatürlichen Schockern wie Final Destination (2000 – 2011) oder Splatterkomödien wie Tucker & Dale vs Evil (2010) problemlos. Hier jedoch erscheint es zu konstruiert und gibt Grund zu der Befürchtung, dass auch die kommenden Stationen nur dazu genutzt werden, um weitere – nicht nur aufgrund der Umstände, sondern auch hinsichtlich ihrer Figurenzeichnung – blasse Opfer blutig über die Klinge springen zu lassen. Doch erfreulicherweise bestätigt sich auch dieser zweite Eindruck einer bloßen Nummerndramaturgie nicht.

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Denn im weiteren Verlauf mausert sich Bound to Vengeance zu einem spannenden Thriller, der zunehmend weniger auf die Gewaltspirale als auf einen Verschwörungsplot setzt und nicht zuletzt von einer eigentümlichen Dynamik zwischen Eve und Phil getragen wird. Sie wisse nicht, worauf sie sich einlässt, das Ganze übersteige ihre Vorstellungskraft, warnt er sie. Doch die Steigerungslogik der Handlung verspricht mit jedem neuen Haus, das Eve ansteuert, dieses große Mysterium (in dem die immer wieder zwischengeschnittenen Szenen des Freizeitvideos, mit dem der Film beginnt, noch eine Rolle spielen) ein Stück weiter zu lüften. Und obwohl sich die Erzählung hier in die Gefahr begibt, die Erwartungshaltung zu hoch anzusetzen, findet sie im Morgengrauen ein zwar dann doch eher unspektakuläres, aber doch überzeugendes Ende, vor allem weil hier noch einmal starke Bilder für die getriebene Protagonistin kreiert werden.

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