Bottoms – Kritik
Neu bei Amazon: John Hughes meets Fight Club. Emma Seligmans vulgär bis blutrünstige High-School-Komödie um eine weibliche Selbstverteidigungs-AG lehrt Lektionen durch Eskalationen.

Der ehemalige NFL-Running-Back Marshawn Lynch spielt den Lehrer Mr. G, den wahrscheinlich Verwirrtesten in einer Ansammlung Irrlichtender. Seinen Schülern nennt er meist nur ein auszuarbeitendes Thema, fläzt sich dann hinter den Lehrertisch und liest in einem Erotikmagazin. Kein kohärenter Faden durchzieht sein Gerede. Und doch: Wenn beispielsweise eine Gruppe junger Frauen in Bottoms sich gegenseitig darin bestärkt, wie sie ihr Leben selbstbestimmter angehen könnten, und jemand ankündigt, seinen Stiefvater ermorden zu wollen, ist er der Einzige, der irritiert dreinschaut und – zumindest mimisch – vage Zweifel ankündigt. Nur ihm scheint irgendwie klar, dass gerade kein Jubel angebracht ist.
Ironie und Meta-Figuren

Ein fast schon klassischer postmoderner Witz: Eine Filmfigur spiegelt die potenzielle Irritation des Publikums. Nahtlos passt er sich damit in diese Coming-of-Age-High-School-Komödie ein. Zwei Außenseiter, PJ (Rachel Sennott) und Josie (Ayo Edebiri), starten nach einer kurzen Achterbahnfahrt der Missverständnisse und Ausflüchte eine Selbstverteidigungs-AG. Ihr hehres Ziel liegt darin, in den Betten der attraktiven Cheerleader Isabel (Havana Rose Liu) und Brittany (Kaia Gerber) zu landen, nur leider gewinnt der Club schnell an Momentum und schießt über die Erwartungen hinaus. Auf einem dünnen Fundament aus Lügen und Halbwahrheiten erreichen die beiden zwar – zum Teil – ihr Ziel, müssen aber plötzlich auch Verantwortung übernehmen. Durch eine sich einstellende Liebe, und durch den Umstand, dass sie für andere zu Helden und Idolen werden.
Grob haben wir es also mit einer John-Hughes-artigen Komödie zu tun. Postmodern ist sie nicht nur, weil unter anderem der Selbstverteidigungsclub inszenatorisch eine Parodie von respektive eine Hommage an Fight Club (1999) darstellt, sondern weil uns durchgängig indirekt vermittelt wird, dass wir einen Film sehen. Brittany erklärt ihre Anwesenheit in der AG etwa damit, dass sie das Anhängsel von Isabel ist und als solche keine eigenen Entscheidungen trifft. Nur möchte sie in dem Moment gar nicht ironisch sein – der Film ist es. Immer wieder greift Bottoms darauf zurück, dass Figuren ihre Funktion im Film erklären oder auf dessen Künstlichkeit verweisen. Die Hinweise darauf sind bald so zahlreich, dass es nur bedingt so scheint, als würden sich die Figuren in ihrer Realität bewegen.
Wäscheleine goes Zoom

Gerade weil dies aber nicht in den offenen Wahnwitz einer ZAZ-Komödie abdriftet, muss das Ergebnis auf den ersten Blick überspannt und holprig erscheinen. Auch weil die Emotionen der Figuren nur begrenzt funktionieren, da alles stets uneigentlich ist, nur eine Rekursion, eine Genreregel, ein Witz oder ironische Brechung. Immer wieder zeigt sich Emma Seligman (Shiva Baby) zwar als fähige Regisseurin affektiven Kinos – vielleicht am besten, wenn der weibliche Fight Club aufbricht, um sich an Schulquarterback Jeff (Nicholas Galitzine) zu rächen. Die Verschandelung seines Hauses und die damit einhergehende Genugtuung ist eindrucksvoll zu Bonnie Tylers Total Eclipse of the Heart choreographiert. Aber: Die Pointe solcher Ausbrüche liegt eben genau darin, dass der Film nun besonders filmisch wird.
Wenn Bottoms aber nicht in diesen Gang schaltet, ist er meist wenig expressiv und mitunter fast distanziert. Schon weil die Cinemascope-Bilder oft so entworfen sind, dass mehrere Figuren nebeneinanderstehen, womit die jeweiligen Gefühle nicht konzentriert ausgedrückt werden. Dafür ist einfach zu viel los in den Bildern. In Poetics of Cinema bezeichnet David Bordwell diese Art der Figurenanordnung als Wäscheleineninszenierung. In den 1950er Jahren wurde sie genutzt, weil es galt, das Bild zu füllen, die frühen Scope-Linsen aber alles verzerrten, was ihnen zu nah kam. Weshalb die Figuren und ihre Gesichter auf Distanz bleiben mussten. Bei Seligman erscheint das aber weniger als Verneigung vor einer vergangenen Ästhetik denn als Hinweis auf neue Sehgewohnheiten, die mit Zoom-Calls und flachen, nebeneinanderstehenden Bildinhalten auf Computerbildschirmen einhergeht.
Statt einem Gegeneinander der Individuen, deren Gesichter sich durch Schnitt und Gegenschnitt abwechseln und gegenüberstehen, teilen sich die Figuren in Bottoms allerdings nicht einfach nur das Bild, sondern bedingen einander. Eine tiefe Freundschaft bedeutet hier, dass der eine nicht ohne den anderen zu denken oder zu sehen ist. Auseinandersetzung ist nicht nur Konfrontation, sondern auch das gemeinsame Stehen in der Welt. Niemand ist für sich allein. Das irritierte Dreinblicken Marshawn Lynchs ist in dieser kollektiven Welterfahrung nicht einfach nur ein ironischer Running Gag, sondern das Herz des Ganzen.
Blutrünstiges Finale

Bottoms macht es sich in der Anstrengung, einen eigenen Platz in einem ausgetretenen Genre zu finden, ziemlich bequem. Weshalb der Film zuweilen krude und überdreht wirkt, es sich aber nicht nehmen lässt, mit Spaß, Selbstbewusstsein und einem angenehmen Hang zur Vulgarität daherzukommen. Die Welterfahrung seiner heranwachsenden Figuren, ihre Irritation und Suche findet gerade in dieser Form Ausdruck. Auch sie stecken in einem überdefinierten Referenzsystem fest, in dem eigene Erfahrungen und autonome Selbstentwürfe erschwert werden, weil nichts in ihrer Welt neu erscheint. Wobei sie doch Jugendliche bleiben, die sich austesten und suchen müssen.
Der Plot sendet die Protagonistinnen zwar aus, um zu erkennen, dass das eigene Handeln Konsequenzen hat. Ihnen wird eine ernste Lektion fürs Leben beigebracht. Bottoms selbst beansprucht aber zu keinem Zeitpunkt, derart ernst sein zu müssen. Ganz im Gegenteil eskaliert er gerade, wenn andere ihren erzählerischen Aufbau langsam einpacken und zur Ruhe kommen. Unmotiviert wird der Film final ziemlich blutrünstig und legt noch eine Schippe an Komik und Irrealität drauf. Weil es eben nicht um Lektionen und Botschaften geht. Dass von lesbischer Liebe und lesbischen Erfahrungen erzählt wird, wird erst gar nicht an die große Glocke gehängt, es geschieht ganz selbstverständlich. Stattdessen geht es in Bottoms um das Sein in einer absurden, kruden Informationsgesellschaft, die einen auf ewig irritiert dreiblicken lässt, und die einem manchmal eben auch viel Platz für große Gaudi bietet.
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