Birds of Passage - Das grüne Gold der Wayuu – Kritik
Am Anfang war das Brautgeld. In ihrem epischen Birds of Passage spüren Cristina Gallego und Ciro Guerra den Verkettungen von Ritual und Kapital nach – und finden damit einen Ausweg aus allzu schlichter Kapitalismus- und Kolonialismuskritik.

Die erste lange Sequenz, beschlossen von der Einblendung des mystischen Filmtitels, lässt noch ein ethnografisches Stück Kino erwarten, nähert sie sich doch mit großer Neugierde einem Initiationsritual der Wayuu. Doch schon künden zwei Typen im Publikum mit Strohhut und Sonnenbrille vom Einbruch des Außen. Die schöne Zaida (Natalia Reyes), um deren abgeschlossene Frauwerdung es hier geht, vollführt den obligatorischen Tanz noch mit einem anderen Bewerber, aber Rapayet (José Acosta) steht schon im Hintergrund und sieht ihr genau zu. Später wird er um ihre Hand anhalten, aber weil er nicht genug Ansehen besitzt, um für das junge Mädchen aus der ehrwürdigen Familie der Matriarchin Úrsula (Carmiña Martínez) ein ernsthafter Kandidat zu sein, wird ein wahnwitziger Brautpreis festgesetzt – von mehreren Dutzend Ziegen und Kühen ist da die Rede, von jeder Menge Schmuck und anderen Dingen.
Epos und Genealogie

Der Übergangsritus am Beginn von Birds of Passage markiert also nicht nur den Eintritt Zeldas ins Erwachsenenalter, sondern zwei weitere Passagen. Zum einen flieht Rapayet, der ohnehin schon für seine Geschäfte mit Nicht-Wayuu bekannt ist, nun endgültig aus der Welt des ehrenhaften Rituals in die verruchte Welt des Kapitals. Als er mitbekommt, dass ein paar Amis vom Friedenskorps große Mengen Marihuana kaufen wollen, wird er zum Mittelsmann zwischen seinem Cousin Aníbal (Juan Martínez) und den Gringos, macht den großen Reibach und tanzt bald mit einem Heer aus Ziegen und Kühen bei Úrsula an, die ihr Versprechen nun doch einlösen muss. Eine Ellipse schenkt dem jungen Paar ein erstes Kind, und der zweite Akt beginnt. Zum anderen verlässt der Film selbst nun seine ethnografische Beobachterposition und wird zum epischen Familiendrama, wenn auch einem historisch geerdeten. Mit dem mystischen Filmtitel wird nämlich auch eine Jahresangabe eingeblendet: Wir sind in keinem zeitlosen Raum altehrwürdiger Tradition, sondern zu Beginn der 1970er Jahre im Norden von Kolumbien, an den prekären Grenzen zwischen der Wayuu- und ihrer Außenwelt.
Birds of Passages zeichnet sich fortan, wie schon Ciro Guerras Kolonialismus-Film Der Schamane und die Schlange (El abrazo de la serpiente, 2015), der ebenfalls in der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes lief, durch eine gelungene Verwebung von historischer Genealogie und dramatischer Narration aus. Einerseits wohnen wir hier nicht weniger als dem Beginn jenes kolumbianischen Drogenhandels bei, der für das Land noch so fatale Folgen haben wird, mit den glücklich kiffenden und nackt badenden Hippie-Amis des Friedenskorps als Prototypen des Bürgerkriege befördernden ausländischen Konsumenten. Andererseits sind die Bestandteile dieser Mini-Genealogie doch eher generischen Ursprungs: der beste Kumpel, der Blut leckt und den Hals nicht voll genug kriegt, der kleine Bruder, der selbst nach Ruhm und Macht drängt, die Familienfehde, die bald vom Zaun bricht.
Wie bei Scorsese

Dabei kommt das Epos der Genealogie zu keiner Zeit in die Quere, die bekannten zwischenmenschlichen Konfliktlinien spiegeln sich nicht in ähnlich bekannten Konfliktlinien zwischen Moderne und Tradition. Zwar geht es Gallego und Guerra durchaus darum, wie sich die kapitalistische Maschine eines Raumes bemächtigt, der zuvor noch anderen Regeln gehorchte – und insofern bleibt eine gewisse Romantisierung dieses Raumes nicht aus. „Wir haben unsere Seele verloren“, wird eine Wayuu später sagen. Und doch ist diese Bemächtigung kein simpler Akt der Auslöschung, der einfach angeprangert werden könnte, sind diese anderen Regeln nicht einfach durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt, sondern werden von ihm überformt und verändert. Anstatt homogene Systeme einander gegenüberzustellen, kartografieren Gallego und Guerra ihre diffusen Kontaktzonen. Und wie in einem Mafia-Epos von Scorsese verketten sich familiäre und monetäre Verhältnisse bald miteinander, befeuern sich Ritual und Kapital derart, dass die Überschrift des vierten Akts nur noch „War“ lauten kann.
Die dritte Kraft
Nochmal zurück zum Anfang: Zaida hat ein Jahr in einer abgeschlossenen Hütte verbringen müssen, hat dort das Spinnen und Weben erlernt, hat von ihrer Mutter die Werte von Familie, Respekt und Ehre eingetrichtert bekommen, bevor diese Übergangsphase mit jener Feier beendet wird, die dann den Film einleitet. Im Rückblick offenbaren sich diese Werte nun gerade nicht als ehrenhafte, die tragischerweise eingetauscht werden gegen die Macht der Dollarzeichen, sondern selbst als toxische, die sich an den Dollarzeichen reiben und entladen. Und noch vor dieser Reibung, noch bevor Ritual und Kapital ihre Plätze einnehmen, steht das Anfangsbild der eingesperrten Frau, als eine dritte, eine patriarchale Kraft, die den beiden anderen noch zugrunde zu liegen scheint.
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