Binti - Es Gibt Mich! – Kritik

VoD: Wir verkuppeln unsere Eltern; ein bewährtes Motiv, doch Frederike Migoms Film Binti wagt dabei auch Neues. Zum einen politisiert er das Thema, zum anderen taucht er in die Bilderwelt der Generation Smartphone ein.

In ihrem Video-Blog berichtet die zwölfjährige Binti (Bebel Tshiani Baloji) dieses Mal aus einem Wald. In einer Folge exaltierter Schnitte schwärmt sie mal meditierend von den heilsamen Kräften der Natur, mal rennt sie herum wie eine Gesengte, mal erschrickt sie vor einem schlecht ins Bild montierten Bären – bis schließlich ihr Handyakku schlappmacht. Was ihre mittlerweile eintausend Abonnenten nicht erfahren, ist, dass es sie nur in diesen Wald verschlagen hat, weil sie soeben mit ihrem Vater vor der Polizei fliehen musste, die kurz zuvor ihre illegale Unterkunft gestürmt hatte. Binti und ihr Vater Jovial – gespielt von dem belgischen Musiker und Filmemacher Baloji – sind Geflüchtete, ohne Papiere, und jetzt auch noch ohne Obdach. In dem Langfilmdebüt von Regisseurin Frederike Migom sind Sein und Schein stets weit voneinander entfernt – und das gilt nicht nur für Bintis bunte YouTube-Welt, die so wenig zu tun hat mit ihrer Realität als illegalisierter Einwanderin.

Herausforderung an den Coming-of-Age-Film

Auch das Leben des kleinen Elias (Mo Bakker) ist bestimmt von Trugbildern: Seine Eltern leben getrennt, und seine Hoffnung, der Vater komme irgendwann wieder aus Brasilien zurück, ist illusorisch. Der Nachbar hat sich in seine Mutter verliebt und tut so, als seien die beiden ein Paar. Und Elias selbst hat einen Verein zur Rettung der bedrohten Okapis gegründet, dessen einziges Mitglied er selbst ist. Weil nichts so ist, wie er es gerne hätte, ist er oft frustriert, und als er mal wieder von allem genug hat, zieht er sich beleidigt in sein Baumhaus zurück. Dort trifft er auf Binti und Jovial, die in ihrer Not nicht wussten, wo sonst hin, und ein paar ulkige Begebenheiten später haben die beiden bei Elias’ Mutter Christine (Joke Devynck) vorübergehend eine neue Bleibe gefunden. Vor allem Binti findet diese neue Situation äußerst komfortabel und heckt daher einen Plan aus: Ihr Vater und Christine sollen heiraten.

Der Wir-verkuppeln-unsere-Eltern-Topos ist altbekannt, und die Anlässe, die er für komische, peinliche, romantische und spannungsvolle Situationen bietet, sind bewährt. Auch Binti hält sich hier in weiten Teilen an das überlieferte Rezept. In zweierlei Hinsicht wagt der Film aber auch Neues: Zum einen politisiert er das Thema, da – obwohl es natürlich auch um Liebe gehen soll – von der Heirat abhängt, ob Binti und Jovial in Belgien bleiben können oder ob sie in den Kongo abgeschoben werden. Zum anderen nimmt sich Binti sehr ernsthaft der Lebensrealität heutiger Jugendlicher an, die sich nun mal viel im digitalen Raum abspielt und deren Darstellbarkeit eine große Herausforderung des Coming-of-Age-Films unserer Zeit ist. So wird die Geschichte von Binti teilweise durch ihren eigenen Vlog erzählt: mit Handykamera gedreht, überbordend vor dilettantischen Spezialeffekten, mit direkter Adressierung des Publikums und manchmal auch – der Bilderwelt der Generation Smartphone entsprechend – im Querformat.

Rettung der Okapis statt Vortäuschung einer heilen Welt

In einer Szene sehen wir, wie einer von Bintis Clips durch Tricktechnik, Kameraführung und Montage entsteht. Auf diese Weise wird ein Blick hinter die Fassade der glänzenden Video-Welt geworfen, und außerdem ist dieses Mal auch der Zweck ein guter: Rettung der Okapis statt Vortäuschung einer heilen Welt. Sein und Schein, sie kommen sich näher. So wird sich von liebgewonnen Illusionen verabschiedet, und es kommt zusammen, was zusammengehört. Nun gilt es noch, den alles entscheidenden Widerspruch zu lösen, nämlich den, dass Binti in Belgien ihre Heimat hat, offiziell aber gar nicht dort sein darf. Oder wie ihr Vater es ausdrückt: „Wenn man keine Papiere hat, lebt man zwar, aber es gibt einen nicht.“ Mit Binti ist Frederike Migom eine spannende Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Wirklichkeit und Abbild, Realität und Anspruch, Wahrheit und Fiktion gelungen – und nicht zuletzt auch ein einfach guter Jugendfilm.

Der Film steht bis 18.07.2023 in der Kika-Mediathek.

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