Bergman Island – Kritik

VoD: Kunst schaffen statt Kunstschaffen. In ihrem neuesten Film um ein Ehepaar im Writing Retreat dehnt Mia Hansen-Løve ihr Kino der radikalen Transparenz auf den kreativen Prozess selbst aus. Bergman Island lässt zwei Prinzipien aufeinanderprallen und bleibt doch selbst ganz prinzipienlos.

„Niemand erwartet Persona, beruhigt Regisseur Tony (Tim Roth), der über sein neues Projekt nichts verraten will, seine Partnerin Chris (Vicky Krieps), die weniger geheimniskrämerisch ist, weil sie mit ihrem neuen Projekt nicht weiterkommt. So genau wie möglich erklärt Chris Tony ihre Filmidee, will seine Meinung hören. Die Poetik der radikalen Transparenz, die Mia Hansen-Løves Filme auszeichnet, dehnt sich in ihrem neuesten auf den kreativen Prozess selbst aus. Nicht nur Tony bekommt die Filmidee auserzählt, auch die Zuschauerin taucht in sie ein, denn Bergman Island wird irgendwann selbst zu dieser Filmidee, in der Amy (Mia Wasikowska) auf der Hochzeit einer Freundin ihre langjährige Jugendliebe wiedertrifft, einen Mann, den sie, irgendwie, noch immer liebt.

Wer schafft das Schaffen?

Man nennt das Werk eines Meisters (es geht dabei häufig um Männer) auch manchmal sein Schaffen, ein substantiviertes Verb, aber Hansen-Løves Filme kennen nur tatsächliche Verben, und deshalb geht es hier nicht um das Schaffen Ingmar Bergmans, sondern erstmal darum, was auf dessen Insel erschaffen oder geschafft wird. Tony und Chris wollen die hoffentlich inspirierende Umgebung für einen Writing Retreat nutzen. Beim Welcome Dinner mit Vertretern der Bergman-Stiftung geht es dann aber doch auch um den großen Meister – und um die Frage, wer eigentlich, während Bergman erschaffen hat, das mit seinen neun Kindern geschafft hat.

Aber selbst Fragen von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen bleiben bei Hansen-Løve Verben, auch der Feminismus stets im Fluss: ein lockeres Dinner-Gespräch, man wird ja mal fragen dürfen. Kein Canceln, keine Hommage: Trotz des Settings, trotz der Szenen einer Ehe, trotz des privaten Schreie und Flüstern-Screenings arbeitet sich Hansen-Løve nicht an Bergman ab.

Auch nicht an ihrer eigenen Beziehung zu Olivier Assayas, deren Gemeinsamkeiten mit der Beziehung zwischen Tony und Chris kaum verhehlt werden. Beides scheinen eher Trigger für eine Reflexion über das Verhältnis von persönlichen Erfahrungen und ihrem filmischen Ausdruck, darin ist der Film Joanna Hoggs The Souvenir ähnlich. Hier wie dort sind die Übergänge zwischen Leben und Kino fließend, und in Bergman Island sind sie das bald buchstäblich, wenn Figuren aus der Haupthandlung im Film-im-Film auftauchen und umgekehrt, wenn Mia Hansen-Løve, Chris und Amy gemeinsam an einem befriedigenden Ende zu arbeiten scheinen, wobei ihnen die Männer keine große Hilfe sind.

Bewegung statt Leiden

Die Kunstproduktion erscheint derart als notwendig unsouveräne Osmose zwischen Leben und Fiktion, und dieses Verständnis bringt Hansen-Løve durchaus in Stellung gegen die Idee eines souveränen, autonomen Kinos, gebunden an die Figur des männlichen Genies, der, neurotisch nach innen blickend, seine Kunst aus dem eigenen existenziellen Leiden schöpft, eine externe Begutachtung nur durch die eigenen Dämonen erlaubt. Während Tony kleine pornografische Zeichnungen in sein Notizbuch kritzelt, bleibt Chris im Außen, in Bewegung, macht und tut die ganze Zeit, und es sind, wie so oft bei Hansen-Løve, die Bewegungen an der Oberfläche, die allmählich jene Falten bilden, die wir als Innenleben erkennen.

Bergman Island ist ein Film über Autorschaft und Auteurismus, zugleich ein kleines Medley der eigenen Filmografie: Es gibt nicht nur die Jugendliebe, die nach Jahren noch einmal kurz aufflammt (Eine Jugendliebe, 2011), sondern auch den vielbeschäftigten Macher-Mann, der immer wieder mit Handy am Ohr in den Hintergrund verschwindet (Der Vater meiner Kinder, 2009), die Frau, die mit Telefon in der Hand nach Empfang sucht (Alles was kommt, 2016), und das Paar, das sich jahrelang umkreist, und nie stimmt das Timing so richtig (Eden, 2014).

Fleisch und Haut

Zwischendurch hat der Film Spaß mit Bergmania: Tony macht die offizielle Touri-Tour „Bergman Safari“, wo er mit anderen mittelalten Cineasten über Werk und Leben des Künstlers fachsimpelt, Chris trifft derweil auf einen jungen Filmstudenten aus Kopenhagen mit Brille und langen Haaren, nerdig und nett, der ihr die wahren Bergman-Spots zeigt und mit ihr ins Meer springt – ein Mini-Panorama cinephiler Männlichkeiten. Nach ihren getrennten Abenteuern liegen die Eheleute auf der Couch, Chris hat sich ein schickes Lammfell gekauft, Tony stöhnt über seinen durch einen Lamm-Burger verdorbenen Magen. Ein schöner Gag: Wehe dem, der sich nur einverleibt, dem’s nur ums Fleisch, nicht um die Haut geht, nur um die Nahrung, nicht ums Neue.

Schließlich sind sich die zwei Prinzipien, die sich in Bergman Island gegenüberzustehen scheinen, aber doch sehr nah, und der Film herrlich prinzipienlos. So sitzen wir ja im Kino, die Idee ist Film geworden, der Prozess ein Werk, die Bewegung steckt im Rahmen. Überall Widersprüche: Chris fragt sich, warum sie diese trost- und freudlosen Filme Bergmans so liebt. Und Amy spürt: „The Winner Takes It All“ ist als Weisheit so bitter wie als Lied ein guter Grund zum Tanzen, nein: zu tanzen.

Der Film steht bis 13.06.2023 in der Arte-Mediathek.

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