Belle – Kritik

Mauerblümchen Suzu beginnt auf einer Virtual-Reality-Plattform ein neues Leben als schöner Megastar. Dabei geht es Mamoru Hosodas Belle nicht um richtige und falsche Identitäten, sondern um introvertiertes und soziales Leben und wie schön und grauenvoll beides sein kann.

Im Märchen Die Schöne und das Biest ist das Biest ein verwunschener Prinz. Sein monströses Aussehen ist zugleich magische Strafe für die eigene Oberflächlichkeit als auch Ausdruck seines Charakters. Erst innere Schönheit und eine damit entfachte Liebe lassen ihn auch äußerlich wieder erstrahlen. Belle dagegen ist und bleibt, wie sie ist: innerlich wie äußerlich schön. In Mamoru Hosodas Belle (2021) – der japanische Originaltitel übersetzt sich als Der Drache und die sommersprossige Prinzessin – fällt nicht nur diese Eins-zu-eins-Gleichsetzung von innerer und äußerer Schönheit weg, auch Belles Aussehen ist nur die Maskerade eines Mauerblümchens. Das Biest und Belle sind nämlich Avatare in einer Social-Media-Virtual-Reality.

Plattform für ein zweites Leben

Suzu verlor ihre Mutter, als die einem Kind das Leben rettete. Seitdem hat sich Suzu in sich zurückgezogen und die Fähigkeit zu singen verloren, wo Musik doch eines ihrer bevorzugten Ausdrucksmittel war. Nun gibt es aber die Plattform „U“, in der jeder ein zweites Leben anfangen und fantastisch füllen kann. Sie meldet sich als „Bell“ an, weil ihr japanischer Name Glocke bedeutet. In kürzester Zeit wird sie zum weltweiten Megastar, denn ihr Körper ist in der zweiten Realität nicht nur schön, sie kann auch endlich wieder singen. Alles ist traumhaft, bis bei einem Konzert das von der U-Polizei gejagte Biest auftaucht. Suzu erkennt in ihm die eigene Verletztheit wieder und wird deshalb von der Frage verfolgt, die sie selbst niemanden in U beantworten würde: „Wer bist du (in der Wirklichkeit)?“

In Suzus Umkreis halten sich einige Kandidaten bereit, bei denen es sich um das Biest handeln könnte. Ist es der wortkarge, barsche Junge, in den sie verliebt ist? Der Ruderer, der niemanden für seinen Kanuclub/für sich begeistern kann? Ihr Vater, auf den zu Hause nur mehr eine Tochter wartet, die auf seine Fragen beständig mit „Nein“ antwortet? Es gibt naheliegende Antworten und solche, die eher überraschen würden. Der Twist von Belle liegt aber nicht in der Auflösung der Frage, wer das Biest ist, und damit nicht in einem Plotpoint, der das Umfeld Suzus erklären und ihre Welt zum in sich geschlossenen Märchen machen würde. Ganz im Gegenteil geht es in Mamoru Hosodas Film darum, dass sich Suzu öffnen muss, wenn sie sich selbst erkennen möchte – selbstverständlich der Hintergrund bei einer Frage wie „Wer bist du?“

Ein bunter, wild gewordener Ameisenhaufen

Sprich: Belle erzählt nicht von einer eigentlichen Realität und einer zweiten, in der die Leute Masken tragen. Die Plattform U ist kein Ort, wo Leute ihr innerstes Ich präsentieren, noch einer, an dem sie es verschleiern. Stattdessen stellt auch dieser Film Hosodas durchgängig zwei Prinzipien nebeneinander: soziales Leben hier, introvertiertes da.

Hier U mit seinem tristen, grauen Hintergrund, vor dem es sich aber kreativ ausleben lässt. Der eigene Avatar wird zwar von der Plattform vorgegeben, und doch ist hier der Ort, wo auf einem lautsprecherbepackten Wal durch die jubelnde Menge fantastischer Wesen gefahren und gesungen werden kann. Wo schnell produzierte Beats, Blumenranken und Schlösser das Ich ausstaffieren. Wo so viel los ist, dass die digitalen Bilder vor kleinsten Teilen und Details überschwemmt sind, als sähen wir einen bunten, wild gewordenen Ameisenhaufen, der ein eigenwilliges Mosaik erschafft. Es ist aber auch der Ort, wo Fluten enthemmter Kommentare und Meinungen warten.

Im Gegensatz zur grellen, bunten und überschwänglichen Realität von Belle ist Suzus menschliche Realität ruhig, kontemplativ und impressionistisch – weshalb Hosodas Handschrift hier am deutlichsten zu erkennen ist. In dieser Realität sind die Leute in ihren Schuluniformen und Bürokleidungen das Graue und der Hintergrund – also die Natur und die Architektur – das Schöne. Dafür, dass die Individuen mehr auf sich zurückgeworfen sind, bekommen sie eine sie umgebende Schönheit. Sie müssen nur die Augen aufmachen.

Optischer Reichtum und erzählerische Schnörkel

Und doch haben beide Realitäten etwas gemeinsam: In beiden ist nicht klar, wer wer ist. Verstecken sich die Leute in U hinter blendenden Masken, oder verstecken sie sich eben in der Wirklichkeit hinter ihren Gesichtern und Identitäten, bei denen nicht klar ist, wer eigentlich eine Belle ist und wer eigentlich ein Biest, wer der faschistische U-Polizist ist und wer ein etwas detailreicherer, lila Keith-Haring-Punk? Es geht Hosoda schlicht nicht darum, richtige und Computerrealitäten gegeneinander auszuspielen, „wahre“ und „falsche“ Identitäten voneinander zu trennen. Sondern die Schönheit und das Grauen, die Chancen und Limitierungen von extrovertiertem und introvertiertem Leben kreativ zu nutzen.

Im Vergleich zu Der Junge und das Biest (Bakemono no ko, 2015) gelingt das hier auch besser, da beide Wirklichkeiten einander bereichern und bedingen, aber auch für sich funktionieren. Belle wird seiner Hauptfigur wieder einen Weg zeigen, wie sie mit sich, ihrem Leben und dem eigenen Umfeld klargekommen kann – hier: indem sie sich von ihrer egoistischen Perspektive löst. Das ist zwar nicht von der komplexen, unaufdringlichen Simplizität, die beispielsweise Ame & Yuki – Die Wolfskinder (Ôkami kodomo no Ame to Yuki, 2012) so abstrus schön macht. Das Kitschige und Sentimentale, auf das Hosoda wieder alles hinauslaufen lässt, erreicht aber nichtsdestotrotz wieder eine eindringliche Wucht, da optischer Reichtum und erzählerische Schnörkel einander perfekt ergänzen.

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