Beautiful Bitch – Kritik

Die Rumänin Bica glaubt in Düsseldorf bei einem Taschendiebring einen Familienersatz und Wohlstand zu finden. Aber ihr wird übel mitgespielt und sie beginnt einen schweren Kampf, um ihre Haut zu retten.

Beautiful Bitch

Losrennen, Leute anrempeln und ihnen dabei blitzschnell den Geldbeutel aus der Tasche ziehen – das ist Bicas (Katharina Derr) Spezialität. Tagtäglich drückt sich die junge Rumänin in Düsseldorfs Kaufhäusern, Bahnhöfen und Fußgängerzonen herum, um auf den richtigen Moment und das richtige Opfer zu lauern. Sie ist eines der sogenannten Klaukinder, die mit Taschendiebstählen ihr Überleben sichern. Oftmals in Banden organisiert, werden sie seit der Öffnung der Grenzen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus Osteuropa nach Deutschland geschleust und fristen ein armseliges Schattendasein als Sklaven ihrer rabiaten Bosse.

In Beautiful Bitch, seiner zweiten Kinoarbeit als Regisseur, versucht Martin Theo Krieger (Zischke, 1986) diesen Kindern ein Gesicht und eine Geschichte zu geben, indem er mit Bica eine charakterstarke Protagonistin entwirft. Die Fünfzehnjährige lebt zunächst als Straßenkind in Bukarest und schlägt sich irgendwie durch. Als ihr kleiner Bruder von der Polizei aufgegriffen und in ein Waisenhaus gebracht wird, weil Bica nicht ordentlich für ihn sorgen kann, lässt sie sich auf den Schlepper Cristu (Patrick von Blume) ein. Der nimmt sie mit nach Deutschland, wo sie mit Taschendiebstählen angeblich Geld für sich und ihren Bruder verdienen kann.

Beautiful Bitch

Um Bicas Schicksal von Grund auf zu verstehen, muss man ein wenig weiter ausholen, als Krieger es zu Beginn des Films in diesem nur rudimentär erzählten Flashback über ihre Bukarester Vergangenheit tut. Denn dass es heute gerade in Rumänien im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern übermäßig viele Straßenkinder gibt, die für die Reichtümer versprechende organisierte Kinderkriminalität leicht zu haben sind, hängt mit dem Abtreibungs- und Verhütungsverbot des Ceauşescu-Regimes zusammen. Übervolle Waisenhäuser und unterversorgte Kinder waren die Folge. Die andere Konsequenz dieser repressiven Familienpolitik – die psychischen und körperlichen Beschädigungen von Frauen durch illegale Schwangerschaftsabbrüche –  hat kürzlich der Rumäne Cristian Mungiu in seinem beklemmenden Film 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage (2007) reflektiert.

Bei Krieger steht das deutsche Hier und Jetzt im Fokus, der zeitgeschichtliche rumänische Kontext wird bloß knapp angedeutet. In Düsseldorf angekommen, lernt Bica bei einem ihrer Raubzüge die gleichaltrige Milka (Sina Tkotsch) kennen, die als verzogenes Mädchen mit Handysammlung und Nasen-OP-Ambitionen privilegiert vor sich hinpubertiert. Die beiden Mädchen freunden sich an, und Bica – fortan wegen Ausspracheproblemen der Deutschen auf den Spitznamen „Bitch“ getauft –  beginnt ein riskantes Doppelleben zwischen spaßigen Basketballspielen und Cristus brutaler Willkür in der verwahrlosten Hochhauswohnung. Sie begreift langsam, dass sie wie auch ihre drei Leidensgenossen schamlos von ihm ausgenutzt werden.

Beautiful Bitch

Während die Schauspieldebütantin Katharina Derr dieses Wechselbad aus Angst vor Gewalt und Lebenslust fein temperiert darstellt und der Figur der Bica eine  hintergründige Ausdrucksstärke verleiht, wird in Beautiful Bitch sonst fahrlässig mit dicken Pinselstrichen herumgefuhrwerkt. Bicas deutsche Freundesclique etwa, allen voran die materialistische Milka, verkörpert heillos übertriebene Klischeevorstellungen von Jugendlichen. Darüber hinaus sind die Wendungen in der Handlung durch derart platte symbolische Akte und Sprüche markiert, dass der an und für sich glaubwürdig präsentierte Teufelskreis der „Klaukinder“ aus Zuckerbrot und Peitsche durch das unverhältnismäßig einfältige Umfeld in Mitleidenschaft gezogen wird: So kündigen Erschießungsspiele mit einer Pistole zu vorhersehbar Unheil an, Schwimmen lernen steht als abgenutzte Metapher fürs Flüggewerden und den Beginn einer neuen Lebensphase. Ähnlich einfallslos gestalten sich auch die Bilder des Films als Häufung von fernsehtypischen Halbnahen- und -totalen.

Beautiful Bitch

Zweifelsohne ist Beautiful Bitch ein gut gemeinter und inhaltlich interessanter Film: Das Thema bietet einiges an Potenzial für eine aufrüttelnde Geschichte über eine im deutschen Großstadtalltag durchaus präsente, aber viel zu unsichtbare Parallelwelt, die auch in Kino und Fernsehen bisher nur selten den Stoff für einen Spielfilm hergab. Immerhin, der Tatort verarbeitete das Problem „Klaukinder“ genregerecht zum Kriminalfall (Kleine Diebe, 2000), und Gernot Krää ließ zwei rumänische Kinder in seinem Kinofilm Paulas Geheimnis (2007) als zeitgemäße Randexistenzen auftreten, die der Hauptfigur das Tagebuch entwenden, um daraufhin von ihr aus dem Taschendiebring gerettet zu werden. In Beautiful Bitch allerdings gerät die aufklärerische Auseinandersetzung mit Kinderschleusern und -kriminalität durch die schwerfällige Umsetzung zum unangenehm unterfordernden Frontalunterricht für das Publikum. Der Film entgleitet dadurch ins langweilige Mittelmaß eines Fernsehvorabendprogramms, das mehr für eine Entschleunigung der Gedanken sorgt als zum Nachdenken anregt.

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Kommentare


Susanne Meier

Der sehr guten Filmkritik von M. Seidel ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Es ist schade! Der Stoff bietet viel Potential, auch die Schauspieler, aber diese Klischées, der fast schmerzliche Umgang mit Emotionen und Effekten produziert zuviel rosa Kitsch und verbrät reales soziales Leid in Form von bekömmlichen Gaumenfreuden für den deutschen Spießbürger inklusive manifestiertes Böse in Form von Christu! Man könnte einiges verbessern!






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