Bohnenstange – Kritik

VoD: Das Leben geht nicht weiter. Der russische Regisseur Kantemir Balagov erzählt die Geschichte zweier Rotarmistinnen nach Kriegsende. Selten sahen sich Zärtlichkeit und Zerstörung so ähnlich.

Wie nah Leben und Tod beieinanderliegen, wie sie sich zum Verwechseln ähneln, das hört man schon in der Eröffnungsszene von Bohnenstange. In seinen ersten Augenblicken besteht der Film nur aus einem seltsamen Geräusch, das schwer einzuordnen ist, an dem aber wenig Zweifel besteht, dass es menschlich ist. Es klingt wie der beschwerte Atem eines verschnupften Babys, etwas stockt, klemmt, nur mühsam bricht sich das Leben in diesen Lungen Bahn: Das Geräusch ist Lebenszeichen und Notlage zugleich. Als die Tonspur um das Bild erweitert wird, erblicken wir eine junge Frau, die förmlich erstarrt ist, den Blick ins Leere gerichtet. Am unaufgeregten Umgang der Anwesenden mit der Situation wird klar, dass Iya (Viktoria Miroshnichenko) häufiger von solchen Anfällen heimgesucht wird. „Eingefroren“, nennen sie das.

Weibliche Perspektive auf den Krieg

Eingefroren, das trifft auch den kollektiven Zustand in diesem Film, der wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielt, mitten aus der materiellen und immateriellen Zerstörung heraus allen Zukunftsvisionen eine Absage erteilt. Bohnenstange spielt in einem Leningrader Krankenhaus. Die hochgewachsene Iya, die von allen Bohnenstange genannt wird, arbeitet als Krankenpflegerin, ihre Freundin Mascha (Vasilisa Perelygina) ist eben erst aus dem Krieg zurückgekehrt. Vom Krieg physisch und psychisch gezeichnete Patienten gibt es im Krankenhaus zuhauf, doch Balagov interessiert sich vor allem für Iya und Mascha – und damit für eine weibliche Perspektive auf den Krieg, die sich von gängigen Repräsentationen loslöst.

Das betrifft zum einen ihr Kriegserlebnis: Beide Frauen haben nicht auf einen an die Front geschickten Mann gewartet – treues Warten, wie es beispielsweise im berühmten Lied „Katjuscha“ romantisiert wird –, sondern waren selbst Soldatinnen; von Mascha erfahren wir zudem, dass sexuelle Gefügigkeit an der Front überlebenswichtig war. Es betrifft aber vor allem das Bild, das nach dem Krieg von ihnen gezeichnet wird: Weder sind Iya und Mascha würdige Figuren der Trauer, noch ruht auf ihren Schultern die Hoffnung eines baldigen Wiederaufbaus. Sie sind schlicht Wracks.

Es ist verdorben

Ein zentrales Motiv dafür findet Bohnenstange in ihrer mangelnden Fähigkeit, ein Kind zu zeugen. Mascha, die als Soldatin unzählige Abtreibungen durchführen lassen musste, hat nach Angaben eines Arztes „nichts mehr in Ihnen, das Leben zeugen könnte“. Iya versucht erfolglos, schwanger zu werden; es fallen Sätze wie: „Ich bin innen leer“ oder „Ich bin innen sinnlos“. Es ist unmöglich, eine vom Kriegsgeschehen unversehrte Generation in die Welt zu setzen, das wird in Bohnenstange zur kollektiven Diagnose: Das Leben geht nicht weiter.

Es geht nicht weiter, denn es ist verdorben. Die Menschen haben sich die Sprache des Kriegs zu eigen gemacht, die Verrohung zur Norm erklärt. An Maschas Figur dröselt Bohnenstange diese nachhaltige Wesensveränderung auf. Ihr einziges Kind, Paschka (Timofey Glazkov), hat Mascha an der Front geboren und in Iyas Obhut gegeben. Weil Paschka unter Iyas Aufsicht in einem Unfall stirbt, verlangt Mascha nach ihrer Rückkehr ein „neues Kind“ von Iya. Dafür organisiert sie Iyas Vergewaltigung und wohnt dieser bei. Die Szene, in der Iya unter dem Körper des alten Chefarztes (Andrey Bykov) ächzt, ist ein Echo der Szene, in der Paschka von Iya tödlich erdrückt wird, weil Iya beim Spielen einen Anfall hat. Selten sahen sich Zärtlichkeit und Zerstörung so ähnlich. Dafür steht die tödliche Umarmung, die auch das Verhältnis zwischen Mascha und Iya versinnbildlicht: Trotz aller Grenzüberschreitungen porträtiert Balagov hier eine Freundschaft, vielleicht sogar – es wird behutsam offengelassen – ein Liebesverhältnis.

Das Blut kommt durch

Die Farbkomposition aber erinnert stets daran, dass das Gift des Kriegs durch alle Beziehungen durchsickert: Giftgrün und Rot dominieren das Bild. Letztendlich zeigt Bohnenstange, wie sich die Zweckwerdung des Menschen im Krieg nach dem Krieg fortsetzt: Im Krieg wird der Körper zur Waffe fremdbestimmt, nach dem Krieg zur eigenen Fortpflanzung aufs Äußerte missbraucht. Ein starkes Bild für die Zweckwerdung des Menschen findet Bagalov, als Mascha mit Sascha (Igor Shirokov), einem zufällig begegneten jungen Mann, Sex hat. Da leugnet sie noch ihre Unfruchtbarkeit und hofft auf ein Wunder. „Lass mich machen“, weist sie den unerfahrenen Sascha an; in der Einstellung verschwindet sein Kopf in der Dunkelheit, es sieht so aus, als würde Mascha eine willenlose Stoffpuppe an sich drücken.

Bohnenstange kommt ohne Flashbacks und Kriegserzählungen aus. Den Krieg soll man an denen ablesen, die ihn überlebt haben. Ihnen allein gehört die Deutung. Wunderbar inszeniert ist das etwa in der Szene, in der die Station der Kriegsversehrten hochrangigen Besuch bekommt. Es werden Dankesreden auf „unsere Helden“ gehalten und Geschenke verteilt; das alles aber wird elegant sabotiert durch das deplatzierte Verhalten eines Verletzten, der debil lächelt und unentwegt applaudiert, bis ihm die Nähte aufreißen und sich seine Kleidung rot färbt. Ein stärkeres Bild kann man sich kaum vorstellen.

Der Film steht bis 22.09.2022 in der Arte-Mediathek.

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