Barbie – Kritik

Slapstick, Esoterik, Mattel: Greta Gerwig bringt einer verschrienen Plastikpuppe das Laufen und das Denken bei, schafft ein feministisches Feelgood-Movie, subversiv und ultimativ vermarktbar.

Seit Wochen schon werden wir bombardiert mit bonbonfarben Riesenplakaten, schrillen Kino-Trailern und TikTok-Videos, atemlosen Presseberichten und Schaufenster-Dekos in Hot Pink. Barbie soll der Blockbuster dieses Sommers werden, daran lassen Warner Bros und der Spielwarengigant Mattel, die Produzenten dieses eigentlich unmöglichen Filmprojekts, keinen Zweifel. Denn mal ehrlich: Wer wartet auf einen Film über eine in die Jahre gekommene Stöckelpuppe? Ein uncooles Mädchenspielzeug mit zweifelhaftem Ruf: sexistisch, anorexisch, anti-emanzipatorisch, hetero-normativ, dumm und blond. Und wer, bitte schön, will da schon Regie führen?

Greta Gerwig! Was anfangs noch für einen Aprilscherz gehalten wurde, ist wohl der größte Coup der Macher. Sie haben das It-Girl der New Yorker Indie-Szene als Barbie-Regisseurin gewonnen. Gerwig ist bekannt für verspielte, feministisch angehauchte Autorenfilme wie Lady Bird (2017) und Little Women (2019), dazu verheiratet mit Filmemacher Noah Baumbach (Marriage Story, 2019, White Noise, 2022), mit dem sie auch das Drehbuch zum Film schrieb. Das ist die zweite Überraschung: Die beiden haben sich vom enormen unternehmerischen Druck, der auf dem 145-Millionen-Dollar-Projekt liegt, offenbar nicht einschüchtern lassen, sondern ihre aberwitzige, überdrehte Idee durchgeboxt. Und in dieser Story ist Barbies Imageproblem der pink-glühende Kern der ganzen Geschichte.

Barbie hat ein Imageproblem

Schon der Anfang ist gewagt. In der Eröffnungssequenz des Films sehen wir eine Gruppe von Mädchen in der Wüste mit altmodischen Babypuppen spielen. Ihre Kleider sind ärmlich, die Mienen freudlos. Da schwebt zu Pauken und Posaunen eine gigantische Barbie-Puppe vom Himmel, mit seidig-blondem Haar, roten Lippen, schwarzweißem Badeanzug und endlos langen Beinen. Die Ur-Barbie! Die Girls sind von dem göttlichen Idol wie berauscht und zerschlagen zum Sound von „Also sprach Zarathustra“ ihre ollen Puppen. Unverkennbar eine Persiflage auf Kubricks berühmte Dawn-of-Man-Szene in 2001: Odyssee im Weltraum. Höher kann man die Latte kaum legen. Und unverschämter einen Film über Barbie-Puppen nicht starten.

Die eigentliche Geschichte führt dann ins „Barbie Land“, eine rosarote Kunstwelt, in der Mensch gewordene Barbie-Puppen ihr Traumdasein führen: Haare bürsten, Outfits wechseln, mit dem Barbie-Cabrio durch die Gegend fahren, anderen Barbies zuwinken, Ken beim Surfen oder Volleyballspielen am Beach zuschauen und abends Pyjama-Partys im Dreamhouse feiern. Im Barbie Land herrscht mehr als Gleichberechtigung. Dort sind alle Positionen, von der Müllabfuhr über den Astronautenjob bis zum Obersten Gerichtshof von Frauen besetzt. Auch im pinken White House regiert eine Schwarze Barbie. Die Ken-Männer dagegen müssen sich mit der Rolle der gut aussehenden, aber machtlosen Boyfriends begnügen.

Machtlose Kens, regierende Barbies

Im aufwendig gestalteten Retro-Set mit minutiös nachgebauten Barbie-Häusern, handgemaltem Himmel und Billie-Eilish-Klängen spielen die Darsteller:innen in ihren Barbie-Outfits puppenhafte Perfektion. Bis sich Risse auftun im Plastikparadies. „Stereotypical Barbie“ (Margot Robbie) spricht vom Sterben – ein Tabu in Barbie Land. Schließlich altern Barbies nicht. Plötzlich aber werden ihre ewigen High-Heels-Füße flach und am Oberschenkel zeigen sich erste Anzeichen von Zellulitis. Um diese schockierenden Fehlfunktionen rückgängig zu machen, muss Barbie in die „Real World“ reisen, also zu den echten Menschen, die sie vor 64 Jahren erfunden, dann lange geliebt und jetzt offenbar abserviert haben. Gerwig inszeniert die Szenen aus naiv-imaginativer Perspektive. Die lebenden Barbies schweben wie von Kinderhand bewegt vom Haus zum Strand, trinken aus leeren Bechern, springen in papierene Wellen. Auch um in eine andere Welt zu gelangen, braucht es keine komplexe Science-Fiction-Logik, sondern nur Rollschuhe und etwas Fantasie.

Die Real World ist in diesem Fall Los Angeles. Dort laufen Barbie und ihr Sidekick Ken (Ryan Gosling) mit Spantex-Tops und Neon-Skates durch Venice Beach und wundern sich, dass sie von den echten Menschen komisch angestarrt werden. Barbie wird von Bauarbeitern angebaggert, Ken von Schwulen angeschmachtet. Auch Teenager, die eigentlich Barbie-Fans sein müssten, reagieren allergisch. Sie sei ein schlimmes, anti-feministisches Zerrbild und schuld daran, dass Mädchen ihren Körper hassen, schimpft eine. Auch in der Mattel-Zentrale gibt es ein rüdes Erwachen. Barbie, die bis dahin glaubte, ihre Welt, in der Frauen das Sagen haben, wäre nach der Real World modelliert, muss feststellen, dass in den echten Chefetagen nur Männer sitzen. Die wollen nichts von Barbies Problemen wissen, sondern sie nur so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen.

Es kommt zu slapstickhaften Verfolgungsszenen und einer esoterischen Begegnung mit Ruth Handler, der Mattel-Gründerin und Barbie-Erfinderin, die als Geist im 17. Stock der Firmenzentrale lebt. Und schließlich zum großen Showdown im Barbie Land. Dort hat Ken, begeistert von den patriarchalen Strukturen in der Real World, die Macht an sich gerissen. Wie Barbie ihm mit List die Zügel wieder aus der Hand nimmt, ist so absurd und over-the-top inszeniert, dass Gerwig allein dafür einen Oscar verdient. Es endet in einer Reiterschlacht mit Steckenpferden und einer kultverdächtigen, minimalistisch-komischen Musical-Choreografie.

Kult, Subversivität & Marketing

Überhaupt: dieser Ken! Auch hier kratzt der Film am offiziellen Mattel-Narrativ. Im Barbie-Kosmos ist Ken eigentlich eine blasse Nebenfigur, das impotente Modepüppchen, über das man anzügliche Witze macht. Gerwig kürt ihn dagegen zum heimlichen Star des Films. Und Ryan Gosling spielt mit Strähnchen, Stirnband und tiefgebräuntem Sixpack den ambivalenten Barbie-Mann so lustvoll-komödiantisch als gäbe es keine bessere Rolle.

Doch trotz all der subversiven Vignetten, der überdrehten Musical-Einlagen und feministischen Feelgood-Momente entlässt einen der Barbie-Movie dann doch mit gemischten Gefühlen. Vielleicht weil hinter all den brillanten Einfällen gleich auch das Product Placement aufblitzt: Barbie muss wegen ihrer platten Füße Birkenstock-Sandalen tragen, schon sind Birkenstocks in Großaufnahme zu sehen. Barbie macht sich schick für Ken, thanks to Chanel. Das passende Logo prangt auf herzförmigen Täschchen, Schmuck und rosa Minikleid. Ob man will oder nicht, am Ende wird man als Kinobesucher:in Teil eines riesigen Franchise-Unternehmens. Hier soll weit mehr als nur Barbie-Puppen verkauft werden. Mattel, das zweitgrößte Spielzeugunternehmen der Welt, hat angekündigt, dass der Film erst der Anfang sei. Man wolle weg vom Spielzeughersteller-Image hin zum Intellectual-Property-Verwerter. Barbie als neue Superheldin mit unendlichem Vermarktungspotential. Das ist dann eher eine gruselige Vorstellung. Greta Gerwig hat der Plastikpuppe das Laufen und Denken beigebracht, Barbie Land hat sie nicht in Flammen aufgehen lassen.

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