Barbarian – Kritik

Neu auf Disney+: Zach Greggers Horrorfilm Barbarian über ein unheimliches Airbnb wartet mit Atmosphäre und Absurditäten auf, tut sich aber manchmal schwer, die eigenen Abgründe auszukosten.

In einer regnerischen Nacht kommt Tess (Georgina Campbell) in Detroit an und muss schnell feststellen, dass ihr Airbnb doppelt vermietet wurde. Musiker Keith (Bill Skarsgård) hat das kleine Haus schon bezogen. Mit kaum abzuschüttelnden Zweifeln zieht sie dennoch mit dem Unbekannten zusammen. Als sie am kommenden Vormittag bei Tageslicht vor die Tür tritt, sieht sie erstmals, dass sie von leerstehenden, heruntergekommenen Häusern umgeben ist, dass ihre Unterkunft das einzige belebte Haus einer Geisterstadt beziehungsweise eines Geisterviertels ist. Und später am Tag offenbart sich ihr zudem, dass eine geheime Tür im Keller in ein unterirdisches Tunnelsystem ohne Lichtquelle, dafür mit Zellen und Käfigen führt. Dementsprechend ist sie in dreierlei Hinsicht ausgeliefert, und je näher die Ursachen der Bedrohung sind, desto intensiver weiß Barbarian sie zu nutzen.

Entsetzen im Lichtkegel

Das verlassene Viertel, die (regnerische) Dunkelheit oder ein kurzer Kontakt mit einer überforderten, keineswegs hilfsbereiten Streife sind lediglich Marker dafür, dass Tess nicht auf Unterstützung zu hoffen braucht. Dass sie auf weiter Flur auf sich allein gestellt ist. Ausgerechnet an ihrem Rückzugsort ist sie nicht allein, das nutzt Barbarian vor allem zu Beginn: Bill Skarsgård als Teil eines größtenteils sehr fein ausgewählten Casts spielt Keith als sozial so unbeholfen, dass nie ganz klar wird, ob er nur ein naiver, netter Junge ist oder ein verstellter Psychopath. Beides erscheint absolut plausibel. Das sich damit entwickelnde Spiel aus Paranoia und tatsächlicher Bedrohung etabliert unmittelbar mit Filmstart eine latent unangenehme Stimmung.

Schließlich tauchen die weitläufigen Tunnel auf, die das Haus als Safe Place völlig korrumpieren und die wie die Adern eines ganzen Viertels erscheinen. Tess muss durch diese Tunnel, mal weil sie im Keller festsitzt, mal weil sie Keith sucht. Durch enge, dunkle Mienenschächte tastet sie sich, die nur für Momente des Entsetzens Licht bieten. Ein fast leeres Zimmer mit einem verkeimtem Bett und Videokamera findet sie. Käfige mit Blutrückständen. Ketten und Schlösser. Und so still sie nun scheinen, so sind die verklungenen Schreie von Verschleppung und sexueller Gewalt doch in sie eingeschrieben. Sie künden davon, dass in diesem Haus etwas völlig schiefgelaufen ist. Sie stehen aber auch symbolisch für eine Stadt mit explodierender Kriminalität und einem fluchtartigen (vor allem „weißen“) Bevölkerungsschwund. Für das Erbe einer nur oberflächlich besseren Vergangenheit.

Start im Unbehagen

Barbarian ist in seinem Aufbau ziemlich simpel. Es wird keine Normalität installiert, sondern gleich im Unbehagen gestartet. Hinzu kommen unzählige red flags, die aus allen Richtungen winken. Kriminalität, (sexuelle) Gewalt von Männern gegen Frauen, bis hin zum übernatürlichen Horror: In kleinen Details, in den Gesprächen, in den Räumen Detroits und des Hauses drängen sie sich auf und selbst wenn noch kein Horror offen ausbricht, wird Harmonie nur aufgebaut, um die Atmosphäre danach noch mehr eskalieren zu lassen.

Leider möchte Regisseur und Autor Zach Cregger dies aber nicht auskosten, sondern der Dunkelheit ein Gesicht geben und den Subtext weiter ausbauen. Auftritt: die Mutter (Matthew Patrick Davis) und AJ (Justin Long). Letzterer ist der Besitzer des Hauses, ein Schauspieler, der es nun zu verkaufen sucht. Er braucht Geld, damit er sich Anwalt und Lebensstil weiterleisten kann, während er von einer Kollegin wegen Vergewaltigung angeklagt wurde. Justin Long ist dabei wahrscheinlich die beste Casting-Entscheidung, weil er durchgängig wie ein egoistischer, aber letztlich harmloser Einfallspinsel wirkt – selbst wenn er sich abermals haarsträubend toxisch benimmt. Mit ihm drängen aber Themen wie #metoo sehr hölzern in den Vordergrund. Und auch wenn Cregger den ein oder anderen (auch metatextuellen) Spaß mit dieser Figur hat, so verdrängt sie doch zusehends den Horror aus dem Film. Das Paradox ist, je mehr es um den realen Horror von sexueller Gewalt geht, desto angenehmer ist Barbarian zu schauen.

Brustfütterung und Babysprache

Die Mutter wiederrum ist das, was eben in einem solchen Höhlensystem zu erwarten ist – eine zur Horrorfigur überhöhter verwahrloster Mensch, der sein Leben seit der Geburt in Höhlen (umgeben von Gewalt) verbracht hat und durch diese verzerrte Sozialisation zum Monster geworden ist –, aber auch eine ziemlich einzigartige Figur, da sie von pädagogischen Videos aus den 1980ern erzogen wurden und folglich einen wahrlich speziellen Zugang zu ihrem Muttersein hat – eines der Highlight des Films sind ihre Brustfütterung von Tess sowie ihre Versuche, die Leute um sich mit elterlicher Babysprache zu beruhigen. In ihren unbedeutendsten Momenten ist sie nur wieder ein Monster der Tiefe, in ihren besten etwas, auf das John Waters mächtig stolz wäre.

Barbarian hat damit einige gute Ansätze, schafft es aber nicht, diese zur Entfaltung zu bringen. Dem existenziellen Horror, dem Terror, dem Ekel und den teilweise wunderbar unpassenden Absurditäten verstellt er immer wieder den Raum. Zu sehr möchte er auch etwas zu erzählen haben, zu sehr konzentriert er sich auf die Sauberkeit seines Schaffens, statt sich einfach mal den eigenen Abgründen hinzugeben. Nie hat der Film einen happy accident. Der Schnitt nach etwa der Hälfte des Films, der AJ in den Film holt und der uns vom bis dahin größten Horrormoment zu einem fröhlich singenden Unbekannten wirft, zeigt vielleicht, dass Cregger zu sehr weiß, wie er etwas kreativ bricht, aber zu wenig Sinn dafür hat, auch mal etwas auszukosten.

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