Babylon – Kritik

Neu bei MUBI: Klage, Wut und trotziger Groove. Regisseur Franco Rosso begleitet das Soundsystem „Ital Lion“ durch den Londoner Stadtteil Brixton. Dabei nimmt Babylon (1980) Spike Lees Do The Right Thing (1989) vorweg, ist aber weniger didaktisch.

Stefan Kalipha hat indische, afrikanische, portugiesische und deutsche Wurzeln. Geboren wurde er auf Trinidad. Der Schauspieler, der seit den frühen 1970er Jahren in kleinen bis kleinsten Rollen durch Film und Fernsehen geistert, spielt in Babylon (1980) den mafiös wirkenden Musiklabelbetreiber Fat Larry. Wenn er dabei sein Englisch mit einem starken karibischen Einschlag spricht, ist das durchaus irritierend. Er sieht eben nicht aus wie die Jamaikaner und jamaikanischstämmigen Engländer, mit denen er verhandelt. Einen Schauspieler in Blackface könnte er genauso darstellen wie eine englische Figur, die sich mit ihren Verhandlungspartnern überidentifiziert. Oder vielmehr: In ihm drückt sich das „babylonische Wirrwarr“ einer globalisierten Welt aus. Ein „Mischmasch“, der eine Zuordnung verkompliziert. Ein Mischmasch, den es in Babylon – von Fat Larry abgesehen – aber dezidiert nicht gibt.

Das beste Soundsystem von Brixton

Eine Woche begleitet Babylon das Soundsystem Ital Lion des Sängers Blue (Brinsley Forde, im realen Leben Gitarrist der Reggae-Band Aswad), ein Kollektiv von jamaikanisch(stämmig)en Sängern und Soundtüftlern, die mit ihren teilweise selbstgebauten Lautsprechern herumfahren und auf Partys für die Musik sorgen. Es beginnt damit, dass ein Kleintransporter zum Halbfinale eines Wettbewerbs um das beste Soundsystem im Londoner Stadtteil Brixton aufbricht. Lautsprecher werden schnell noch verladen, dem fahrenden Transporter wird hinterhergerannt. Statt professionellen Vorbereitungen sehen wir laxe, heitere Panik, während alle etwas spät dran sind. Mitten im Finale am folgenden Wochenende bricht der Film ab. Zu dem Zeitpunkt ist von der anfänglichen guten Laune nichts mehr übrig. Vor der Tür ist die Polizei, in den Protagonisten massive Frustration.

Dazwischen zeigt Babylon Impressionen aus dem Leben einer kleinen Gruppe, deren Mitglieder nicht so richtig wissen, wohin es mit ihren Leben gehen soll. Mit Fat Larry verhandelt Ital Lion wegen eines neuen, treibenden Riddims direkt aus Kingston, der ihnen im Finale den Sieg garantieren soll. Mit dem Gegner wird gefrotzelt. Beefy (Trevor Laird) wird von seinen Kollegen verspottet, weil er eines Tages mit einem Kampfhund auftaucht. Lover Boy (Victor Romero Evans) wird von seinen Schwiegereltern in spe quasi mit der Schrotflinte zur Verlobung geführt. Im öffentlichen Nahverkehr muss sich unter Druck des Schaffners entschieden werden, wie weit die Fahrt eigentlich gehen soll. Der Alltag der Mitglieder von Ital Lion und ihr Leben in Brixton soll über die fiktiven, aber sichtlich der Realität entnommenen Miniaturen dokumentiert werden.

Die Fronten sind schnell klar

Eine der Hauptinspirationen aber war die Inhaftierung Dennis Bovells während der 1970er Jahre – wegen der Betreibung eines Soundsystems. Der Film fühlt sich also nie wie eine Slackerkomödie an, auch wenn er sich zuweilen in deren Nähe befindet. Die Probleme und die Verzweiflung halten zwar nur schleichend Einzug, sind aber von Beginn an da. Etwa wenn Blue seinen kleinen Bruder zur Schule bringen soll, der dort definitiv nicht hinwill. Oder wenn in Blues familiärem Umfeld grundsätzlich in genervtem Tonfall kommuniziert wird. Später kommen dann noch Nachbarn hinzu, die sich von der lauten „Affenmusik“ gestört fühlen und den Ital-Lion-Mitgliedern mit Naziparolen begegnen, oder Polizisten, die Blue auf Verdacht zusammenschlagen und inhaftieren – er wagte es, früh um fünf auf der Straße zu sein. Die Front dieser Auseinandersetzung ist sehr schnell auszumachen: hier die Schwarzen, dort die Weißen.

Der Film von Regisseur Franco Rosso gleicht darin Spike Lees Do the Right Thing (1989), der Babylon neun Jahre später gewissermaßen auf Brooklyn überträgt. Hier Reggae, dort Hip-Hop. Hier Soundsystems, dort Ghettoblaster. Gerade als Short Cuts einer kleinen Gemeinde ähneln sie sich. Vor allem behandeln beide diese Front, die nicht klar und strikt ist, die aber immer wieder durchscheint, die wirkmächtiger ist, als allen lieb ist, und die dem Subjekt die Selbstidentifikation erschwert. Blue hat eben auch Probleme mit dem Machogehabe von Freunden und Bekannten. Mit ihnen zu brechen ist aber auch nicht so einfach, denn wer die Seiten wechselt, wird als Verräter beschimpft. Oder es gibt jemanden wie Ronnie (Karl Howman), der noch so sehr wie ein Jamaikaner sprechen kann, dessen Akzeptanz bei Ital Lion jedoch mehr als fragil ist.

Schwere Bassläufe auf den Bildern

Im Gegensatz zu Spike Lees Film geht es hier aber um eine eingekesselte, nicht um eine multikulturelle Gemeinde und damit um Klaustrophobie. Vor allem ist Babylon weniger Thesenfilm, der sein zu verhandelndes Thema ständig an uns heranträgt. Das Brixton von Ital Lion ist freier und undefinierter als Lees Brooklyn. Franco Rosso, ein Italiener, der im Jahr davor eine Doku über den Dub-Poeten Linton Kwesi Johnson für die BBC drehte, schafft es jedenfalls, dass sich sein Film wie eine spontane Selbstdarstellung anfühlt und nicht wie ein Blick von außen, der auf Teufel komm raus auf eine Diskussion hinausmöchte. Voller naiver, kleiner, aus dem Leben gegriffener Ideen ist das Ergebnis, aus denen die Intensität erst mit der Zeit und weniger didaktisch erwächst.

Das Ergebnis ist damit im Grunde ein typischer Indiefilm, dessen größtes Plus der Soundtrack des bereits erwähnten Dennis Bovell ist. Fast durchgängig drücken die schweren Bassläufe auf die Bilder, die von den Fanfaren der Bläser und den Kaskaden der Sänger energisch aufgepeitscht werden. Die Dargestellten definieren sich eben über die Musik, und der Film lässt die unermüdliche „Affenmusik“ für sie sprechen. Hier ist noch nichts von den massenkompatiblen Sounds zu spüren, mit denen Brinsley Fordes Aswad am Ende des Jahrzehnts die Charts stürmen und Reggae noch mehr den Anstrich von Sommer-und-Sonnenschein-Musik geben wird. Hier sind Reggae und Dub noch Klage, Wut und jede Menge trotziger Groove.

Den Film kann man bei Mubi streamen. 

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