Azor – Kritik
Berlinale – Encounters: Zusammen mit Mariano Llinás erzählt Andreas Fontana in seinem Spielfilmdebüt Azor davon wie sich Geschichte wiederholt – und von Brandos Colonel Kurz, der schon lange nicht mehr im Urwald wohnt.

Alles ein bisschen künstlich in Andreas Fontanas Azor: Schon die Gesichter der herrschenden Klasse Argentiniens irgendwann gegen Ende der 1970er-Jahre, in die der Schweizer Banker Yvan de Wiel und seine Frau Ines ständig blicken müssen. Egal ob zurechtoperiert oder einfach manieristisch, kaum eine Miene, die nicht im Laufe eines Dialogs irgendwie ins Unheimliche abdriftet. Aber auch die Räume: große giftgrüne Gärten, meist mit strahlend blauem Pool, vertäfelte Lounges in Hotels, weitläufige Hinterzimmer. Hier sitzt die weiße Elite in der Hitze, eingezwängt in Kleid, Krawatte und Sacco. Oder auch mal im knalligen Badeanzug, wie ein monochromer Fleck im Bild.
Per Detektivplot in die Geschichte

Unschwer zu erkennen, dass uns Fontana von einer gewissen Entfremdung all der Großgrundbesitzer und Geschäftsleute erzählen will. Sie reden über den Verkauf von irgendwelchen Firmen, über Investitionsstrategien, über Modelle zur Geschäftsführung, und wir ahnen, dass es zu diesem Zeitpunkt der Geschichte eigentlich um das gewaltsame Durchsetzen neoliberaler Reformen der Militärdiktatur Videlas geht. Nur einmal sehen wir da am Anfang Soldaten, die gerade irgendwelche Studenten verhaften. Für Privatbankiers wie de Wiel bedeutet das aber erstmal nicht mehr als einen kurzen Halt, den sein Chauffeur einlegen muss. Das Unheimlichste an Azor ist sicherlich, mit welcher Ruhe er durch seine Figuren auf einen ganz und gar unruhigen Zeitpunkt in der Geschichte Argentiniens schauen kann.

Zusammen mit Mariano Llinás hat Fontana sein Drehbuch geschrieben, und man merkt dem Film die Lust am spielerischen Umgang mit der Filmgeschichte an, die sein Partner schon in La Flor (2019) so überbordend ausgelebt hat. Azor inszeniert diese abgeschottete, geheimnisvolle, undurchsichtige Welt mithilfe einer Art von Detektivplot. Weil sein Partner René Keys verschwunden ist, reist de Wiel an, um die Geschäfte mit all den reichen Argentiniern zu übernehmen. Also erstmal durchblicken, wie diese Geschäfte hier laufen, und nachvollziehen, was Keys hier getrieben hat. Es geht Llinás und Fontana dabei aber weniger um das Aufklären des Falls als um die Undurchsichtigkeit, die er stiftet. Für die einen mag Keys ein brillantes Genie gewesen sein und für die anderen viel zu weit gegangen, für Azor aber zählt nur de Wiels Position in diesem Gefüge: „Hernán Cortés war auch verwirrt, als er an Land ging“, sagt er da einmal. Wenn Azor ein Film über die Durchsetzung ökonomischer Reformen aus dem Westen in Argentinien ist, dann auch einer über Imperialismus und Neokolonialismus.
Neokolonialismus über fünf Ecken

Und so erzählt uns Azor gewissermaßen vom Wiederholungszwang der traumatischen Geschichte Südamerikas, die sich, in Marx’ Worten, „das eine Mal als große Tragödie, das and’re Mal als lumpige Farce“ abspielt. Einmal als direkte physische Gewalt der Kolonialherren. Im Film dann als stoische, über fünf Ecken vermittelte Geschäfte der Banker irgendwann Ende der 1970er. Bei de Wiel als detektivische Hauptfigur kann man da sogar manchmal vergessen, dass er nichts anderes will, als bei den Verbrechen mitzumachen. Auch für ihn wird’s deswegen immer vertrackter. Von noch recht konkreten Geschäften mit klar umrissenen Figuren hin zu Verträgen mit dem schemenhaften Oberhaupt eines religiösen Zirkels, der irgendwas von einer höheren Macht faselt.

Weg von der Realität und immer tiefer in den Wahnsinn: Kein Zufall also, dass sich Fontana und Llinás für den Schluss eine Reminiszenz an Coppolas Apocalypse Now (1979) ausgedacht haben. Mit de Wiel fahren wir in einem Boot langsam durch den Urwald, nur steht da am Ende keine besetzte Tempelanlage, die es zu infiltrieren und keinen Colonel Kurz, den es per Machete abzuschlachten gilt. Hier gibt’s einfach nur irgendwelchen Besitz, den man als Zahl hin und her rechnet und Yvan de Wiel selbst, auf dessen Gesicht danach langsam ein unheimliches Lächeln wächst.
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