Die Wache – Kritik

In Die Wache treibt der Surrealist Quentin Dupieux sein Spiel mit dem Auflösen der filmischen Illusion weiter - und befreit sich zugleich aus der Nische, in der er zuletzt feststeckte.

Kommissar Buron hat keine Zeit. „Ich kann jetzt nicht reden“, wimmelt er jemanden am Telefon ab. „Ich mache gerade einen Trailer. Ich ruf dich zurück.“ Der Polizist (Benoît Poelvoorde) legt auf und wendet sich jenem Mann zu, der vor seinem Schreibtisch sitzt und als Zeuge eines Mordfalls vernommen werden soll. „Also, Grégoire“, spricht er ihn vertraut an, „was ist das für ein Film?“ „Die neue Komödie von Quentin Dupieux“, antwortet der. „Wer ist das?“, fragt Buron weiter. „Weiß ich nicht“, meint Grégoire (Louis Fugain).

Diese Szene stammt nicht etwa aus Die Wache (Au Poste!), der neuen Komödie von Quentin Dupieux, sondern aus dem Trailer zum Film. Buron und Grégoire mögen nicht wissen, wer Dupieux ist, sie teilen uns im Trailer aber immerhin mit, dass es im Film um einen Polizisten geht, der einen Mordzeugen verhören soll, und dass das Ganze recht amüsant ist. Was sie uns nicht verraten: Es wird noch einen weiteren Todesfall geben, der in der Tat dafür sorgt, dass es amüsant wird, gleichzeitig aber Grégoires Chancen, die Polizeiwache als freier Mann zu verlassen, deutlich senkt.

Die „Suspension of Disbelief“ wird suspendiert

Alle, die – anders als Buron und Grégoire – den Regisseur kennen, dürften sich bereits in diesem Trailer heimisch fühlen, denn das spielerische Niederreißen der vierten Wand gehört zu den Markenzeichen des französischen Surrealisten. In seinem bislang größten Erfolg, der ziemlich großartigen Killerreifen-Satire Rubber (2010), unterbricht ein Cop mitten im Film die Handlung, um sie kurz darauf durch monotones Vorlesen des Drehbuchs wieder aufzunehmen.

Das Spiel mit dem Auflösen der filmischen Illusion, die Gags über fehlerhafte Uhren und einander durchdringende Zeitebenen: So manches werden Dupieux-Fans hier wiedererkennen. Und doch ist vieles anders als in den letzten zwei Filmen des Regisseurs: Wrong Cops (2013) war nicht viel mehr als ein durch Marilyn Manson aufgepepptes Resteverwerten jener Witze, die es – zu Recht – nicht in Wrong (2012) geschafft hatten. Reality (Réalité, 2014) wirkte wie ein mit eitlen Selbstzitaten gespicktes, von Melodien des Starkomponisten Philip Glass getragenes Inception (2010) für Arme.

Albern und trocken zugleich

Diesmal aber hat sich Dupieux vier Jahre Zeit gelassen für seinen nächsten Film, statt einen weiteren Schnellschuss abzufeuern. Es hat sich gelohnt, denn in Die Wache stecken nicht nur aberwitzige Dialoge, absurde Szenen, in denen Zigarettenrauch aus gänzlich unerwarteten Körperöffnungen entweicht, und Meta-Kommentare der Protagonisten („Mir gefällt die Story nicht!“). Was den Film zu einem wahren Vergnügen macht, ist das gegensätzliche, aber komplementäre Auftreten der beiden Hauptdarsteller: Benoît Poelvoorde – einst als Regisseur der bitterbösen Mediensatire Mann beißt Hund (C’est arrivé près de chez vous, 1992) bekannt geworden – spielt den Kommissar mit leicht überdrehter Mimik und Gestik. Dem setzt Louis Fugain als Zeuge trockenes Deadpan-Understatement entgegen, was unter anderem dann herrlich (un)passend ist, wenn er eine Auster auf recht unkonventionelle Weise verspeist oder erklärt, woran er einen Leichnam erkennt.

Dupieux’ großer Abschlussgag, der diesmal ganz buchstäblich eine vierte Wand einreißt, mag nicht so recht zünden. Und doch überzeugt Die Wache insgesamt wesentlich mehr als Wrong Cops und Reality. Dazu trägt auch die sympathische Bescheidenheit bei, die der Regisseur hier walten lässt und die den Film deutlich von seinen zwei vorherigen Werken abhebt: kein Kalifornien, sondern eine schäbige Polizeistation. Keine englischen Dialoge, sondern alles auf Französisch – ein Nachteil bei der Vermarktung. Keine schillernde Optik, sondern ein visuell eher dröges Kammerspiel vor braunem 80er-Jahre-Interieur, das sich deshalb ganz auf Dialoge und Situationskomik verlassen muss. Und kein Strecken der Laufzeit durch halbgare Ideen, sondern Schluss nach 75 Minuten. Dupieux’ Schritt zurück erweist sich als Sprung vorwärts.


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Kommentare


Nerd

Freue mich auf den Film. Kurze Anmerkung: "Le daim" war glaube ich der letzte Film von Dupieux.


Frédéric

Ganz richtig, der Text stammt aus 2018, da war das noch anders :)






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