Streik – Kritik

Stéphane Brizés neuer Film inszeniert einen monatelangen Streik als ein spektakuläres Trommelfeuer der Worte – verliert das Wichtigste aber aus dem Blick.

Der Hauptakteur in Stéphane Brizés Streik (En guerre) ist eine einzelne Stimme. Die Person und der Körper des Gewerkschaftsführers Eric Laurent (Vincent Lindon) sind genaugenommen nur Instrumente, um jenen Klang zu erzeugen, mit dem sich Räume besetzen und ein feindliches Gegenüber – für einige Augenblicke zumindest – lähmen lässt. Wie ein mächtiger Motor bäumt sich Laurents Stimme auf, ist in der Lage, in Sekundenschnelle seine höchste Intensität zu erreichen, rattert laut vor sich hin und versucht so, wenn nicht das Ergebnis, dann vielleicht wenigstens den Rhythmus der jeweiligen Auseinandersetzung zu bestimmen.

In immer neuen Situationen muss sich diese Stimme in Brizés Film behaupten, muss mal am Verhandlungstisch in klarem Duktus Argumente vorbringen oder Standpunkte platzieren, muss in einer vollen Fabrikhalle den Zorn und die Hoffnung der anwesenden Belegschaft bündeln, muss bei einer Strategiesitzung zunächst still an sich halten, um dann die vorgebrachten Anschuldigungen mit ein paar wenigen wohlgesetzten Stößen zu entkräften. Es ist eine Stimme, die ihre Wirkungsmacht vor allem dadurch entfaltet, dass sie stets ganz nah an ihre Grenzen geführt wird, dass in ihr immer die Möglichkeit des Kontrollverlusts durschimmert – ohne dass es je tatsächlich zu einem solchen kommen würde, ohne dass je der Punkt erreicht wäre, an dem die Worte nur mehr unterschiedslos übereinander stolpern oder die Wucht des Klanges jede klare Bedeutung auslöscht. Laurents Stimme macht in jedem Moment deutlich: Ein fast übermächtiges Drängen treibt sie an, und doch hat sie dieses Drängen unter Kontrolle – noch.

Ein klanglicher Abnutzungskrieg

Der titelgebende Krieg, der in Brizés Film ausgefochten wird, ist kein Krieg der großen Entscheidungsschlachten, in dem alles darauf ausgerichtet ist, dem Gegner auf einen Schlag die eine, endgültige Niederlage zuzufügen. Für einen solchen Krieg ist Laurents Stimme auch nicht gemacht, sie ist keine adäquate Waffe für plötzliche Manöver oder flinke Angriffe – ihr Modus ist der des Trommelfeuers. Der Krieg, in dem sie zum Einsatz kommt, kann nur ein Abnutzungskampf sein. Die streikende Belegschaft einer Fabrik für Autoteile im südfranzösischen Agen muss ihre ganze Hoffnung folglich in die Zeit und in die eigene Ausdauer setzen, um die geplante Schließung ihres Werks doch noch abzuwenden. Doch diese Ausdauer ist ein brüchiges Gut, sie bedarf der ständigen Ermahnung und des ständigen Zuspruchs, sie bedarf vor allem der konkreten Aussicht auf ein erreichbares Ziel: Der Druck, der durch den Streik aufgebaut wurde, kann nur aufrechterhalten werden, wenn er getragen wird von der Erwartung seiner schlussendlichen Auflösung in einem stabilen Endzustand. Dies ist die Aufgabe, die Eric Laurent in At War zufällt, die ihm aufgebürdet wird. In seiner Stimme muss sich der Druck der arbeitenden Menge bündeln, sie muss diesem Druck eine Richtung und eine innere Festigkeit, muss ihm eine scharfe Spitze geben.

Ein Einzelner als Avantgarde-Partei

Es ist somit eine klare Spaltung und eine klare Aufgabenteilung, von der Brizés Film bestimmt wird: hier die Menge der Belegschaft, die mit ihren Wünschen und ihrer Wut das Rohmaterial der sozialen Unruhe und des Aufbegehrens bildet, und dort eine voranschreitende Führungsfigur, die diese Unruhe gestaltet und ihr so erst die, zumindest formale, Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen ermöglicht. Aber Brizé erkundet in seinem Film nicht etwa das vieldeutige und instabile Verhältnis zwischen einem politischen Zusammenschluss unter dem Banner der Gleichheit auf der einen Seite und der Notwendigkeit, einige wenige als Repräsentanten und Repräsentantinnen aus dieser Gleichheit hervorzuheben, auf der anderen.

Stattdessen wird in Streik der soziale und politische Konflikt ganz vornehmlich als das persönliche Drama und die persönliche Tragödie einer einzelnen Führungsfigur inszeniert – die Masse der Belegschaft ist immer schon in dieser einen Figur gebündelt und tritt nie in ihrer inneren Vielfältigkeit in Erscheinung, als Ergebnis einer Ansammlung und eines ständigen Abgleichs individueller Wünsche, Sehnsüchte und Lebensläufe. Brizés Kamera taucht zwar ständig in diese Masse ein, aber eben nur, wie man in etwas lückenlos Zusammenhängendes und Gleichförmiges eintaucht. Der Blick und die Aufmerksamkeit der Kamera, sie bleiben auch in diesen Momenten stets auf das kraftvolle, sich zu mächtigen Worttiraden aufbäumende Antlitz Laurents gerichtet.

Eine ungenaue Versuchsanordnung

In seiner Fixierung auf eine einzelne Figur offenbart Streik ein eigentümliches Desinteresse an den Prozessen und Strukturen, von denen politisches Handeln und gesellschaftliche Auflehnung bestimmt werden. Der Film hat zwar den offenkundigen Anspruch, eine exemplarische Anordnung moderner Konflikte zwischen einem global operierenden Kapitalismus und einer lokal gebundenen Arbeiterschaft zu entwerfen, ist in diesem Entwurf dann aber eigentümlich ungenau. So richtet sich etwa der Aufstand der Streikenden im Grunde gar nicht gegen die ungerechten Dynamiken der Globalisierung oder gegen die völlig einseitige Machtverteilung zugunsten der Eigentümer und Aktionäre, sondern eigentlich nur gegen das moralisch eindeutigere, aber politisch weniger resonante Unrecht des Wortbruchs. (Es wurde schriftlich zugesagt, die Fabrik noch mindestens weitere drei Jahre offen zu lassen und die Einhaltung dieser Frist fordern die Streikenden nun ein.)

In ähnlicher Form versucht Brizés Film immer wieder, möglichst unmittelbar eine gewisse Empörungsenergie abzurufen, rückt dabei aber die eigentlichen Gründe für eine solche Empörung und das tatsächlich Politische an den dargestellten Auseinandersetzungen ein Stück weit aus dem Blick. Folglich weiß Streik auch mit der rohen Klangform von Laurents empörter und unermüdlicher Stimme nicht wirklich umzugehen – und fügt sie schließlich wie aus Verlegenheit in den Kontext einer einfachen, fast schon treuherzigen Heldengeschichte ein.

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