Ob wir schlafen oder wachen – Kritik

VoD: Ein Feuerwerk der Harmlosigkeit. Ryusuke Hamaguchi erzählt in Ob wir schlafen oder wachen mit demonstrativer Leichtigkeit von einer gedoppelten Romanze, doch bei all der Luftigkeit verkommt seine Liebesgeschichte bald zu einem biederen Ritual.

Langsam fliegt der gefederte Ball durch die Luft, in einer hohen, ruhigen, vorhersehbaren Bahn, sachte wird er von einem Schläger aufgefangen und erneut in die Luft gehoben, um gemächlich den bereits durchlaufenen Bogen zurückzuverfolgen. Das, was Asako und ihre Freundin in einer Szene aus Ryusuke Hamaguchis Asako I & II mit dem Federball veranstalten, ist kein wirkliches Spiel, kein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ambitionen und Strategien, kein auch noch so unernster Widerstreit, überhaupt kein Unterfangen mit einem irgendwie unsicheren Ausgang. Zwar werden alle äußeren Markierungen eines spannungsgeladenen Spiels durchlaufen, aber diese markierte Struktur wird so konsequent ins Leichte, Luftige und Schaumige gehoben, dass sie zu überhaupt keiner inneren Dynamik mehr fähig ist. Das Federballspiel der beiden jungen Frauen wird so zum Bild eines Konflikts, in dem nichts ausgehandelt oder entschieden wird, sondern der so vollständig eingewattet wurde, dass er niemandem mehr wehtun kann.

Der schwere Tritt eines permanenten Und-dann

In ähnlicher Manier gestaltet sich Asako I & II von Anfang bis Ende als eine Feier der Harmlosigkeit: In einem sachte plätschernden Und-dann-Rhythmus, ständig begleitet von einer gediegen-melancholischen Klimpermusik, erzählt Hamaguchis Film zuerst von der kurzen Romanze zwischen Asako (Erika Karata) und Baku (Masahiro Higashide) und dann von der längeren und verquälteren Beziehung zwischen Asako und Ryohei (ebenfalls Higashide), der dem von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwundenen Baku zum Verwechseln ähnlich sieht. In langen Dialogen lässt Hamaguchi seine Figuren erörtern, ob Asako Ryohei nun als eigenständigen Menschen liebt oder doch nur als Wiedergänger einer früheren Liebe, ob und bis zu welchem Grad die beiden einander dankbar sein müssen und ob das Rauchen nun ein unverantwortbares Gesundheitsrisiko darstellt. In diesen Gesprächen wird stets nur pedantisch von dem Verlauf diverser innerer Konflikte berichtet, ohne dass diese in Worten oder Gesten tatsächlich ausagiert würden – man kann dabei vielleicht ab und an verständnisvoll nicken, aber man wird zu keinem Moment mit der Unsicherheit, den Ängsten und Sehnsüchten belangt, die diese Konflikte antreiben. Folglich ist auch die Liebe, um die es in Asako I & II vermeintlich geht, stets eine vollkommen körperlose – eine Liebe, die kein höheres Maß an Lust und Begierde kennt als ein kurzes Händchenhalten im Einkaufszentrum.

Mit leichter Hand kaputtgequirlt

Aber dieses Undramatische und Ruhiggestellte (das sich zunächst als „leichtfüßiger Tonfall“ ausgibt) unterläuft Hamaguchis Film nicht einfach, ist nicht nur ein Fehler oder ein Scheitern an den Zielen, die sich der Film selbst steckt, sondern es ist vielmehr der Kern seines ästhetischen Programms. Asako I & II lässt die vielen Wendungen seiner Geschichte, lässt Liebe, Verrat und Krankheit zu einem reinen Ritual werden: Vom ersten Anblick sollen einem die Gesten und Handlungen der Figuren bereits vollkommen vertraut sein, stets sollen sie in ihrem weiteren Verlauf umfassend vorhersehbar bleiben. Es ist somit eine stille Übereinkunft, die der Film mit seinem Publikum treffen will: Gemeinsam soll man der Unsicherheit des Lebens abschwören, soll es sich gemütlich machen in der warmen Umarmung konventionalisierter Verhaltensmuster, in denen nur mehr der erstarrte Verlauf der emotionalen und gedanklichen Bewegungen enthalten ist, aber nichts mehr von ihrer ungeordneten Dynamik. So wirkt die vordergründige Unaufdringlichkeit des Films irgendwann wie ein gewaltsamer Zwang – mit leichter Hand quirlt Asako I & II seine kleinen Dramen und Tragödchen zu einem Schaumbad, an dem man irgendwann zu ersticken droht.

Der Film steht bis 20.12.2022 in der Arte-Mediathek.

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