Zeiten des Umbruchs – Kritik

Amerikanischer Herbst: James Gray hält in Zeiten des Umbruchs melancholische Rückschau auf das New York im Jahr der Reagan-Wahl und erzählt von den Schwierigkeiten eines 12-Jährigen, den Ungerechtigkeiten zu trotzen.

In seinem Kinderzimmer hängt ein Bild von den Beatles, und recht früh im Film wünscht sich der 12-jährige Paul (Banks Repeta) einmal, seine Lieblingsband möge sich bald wiedervereinen. Damit vergegenwärtigt er uns so beiläufig wie wirkungsvoll, dass wir in Zeiten des Umbruchs auf ein vergangenes Zeitalter blicken. Wie diese Hoffnung des Jungen zunichte gemacht wird, bekommen wir nicht mehr zu sehen, die Filmhandlung, die im Herbst 1980 im New Yorker Bezirk Queens spielt, wird rund einen Monat vor dem Tod John Lennons enden. Aber wir wissen natürlich davon, wissen auch sonst, wie es weitergehen wird mit dieser Stadt, diesem Land, dieser Welt, und der Film „weiß“, dass wir das wissen (und wir wissen, dass er es weiß) – Zeiten des Umbruchs gewinnt einen Teil seiner intensiven Wirkung daraus, dass er das foreshadowing kommender Einschläge, die bis in die Gegenwart reichen, getrost seinen Zuschauern überlassen kann.

Apokalyptisches Raunen

Der Film selbst konzentriert sich ganz auf die Einschläge in Pauls Leben und in den USA binnen zweier Monate; der, auf den er ruhig erzählend zusteuert und mit dem er schließt, ist die Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten am 4. November 1980. Der vom Jüngsten Gericht kündende Originaltitel greift das apokalyptische Geraune auf, das der republikanische Kandidat damals von sich gab – im eigenen Selbstverständnis als Warner vorm Armageddon (er meinte nicht den Atomkrieg, sondern den Sündenfall der Gesellschaft), im Verständnis des Films wohl eher als Indikator dafür, zu sehen und zu hören im Hintergrund auf dem wohnzimmerlichen TV-Schirm.

Für Pauls Familie ist dieser Kandidat zahlreichen Unmutsäußerungen zufolge ein Albtraum; inwiefern ihr eigenes soziales Verhalten zu ihren politischen Überzeugungen passt, ist aber eine andere Frage. Dass seine Eltern (Anne Hathaway, Jeremy Strong) Paul den Umgang mit Johnny (Jaylin Webb), dem einzigen schwarzen Jungen in seiner Klasse und neugewonnenen besten Freund, irgendwann verbieten, hat, wie die Mutter betont, selbstverständlich nichts mit Johnnys Hautfarbe zu tun! Es gibt niemanden dies- und jenseits der Leinwand, der nicht weiß, dass das nicht wahr ist, und Paul registriert mit seinen wachen Augen unter dem rothaarigen Lockenschopf die Unaufrichtigkeit seiner Eltern ganz genau, macht dann aber bei der Probe, auf die er im Film gestellt wird, zunächst selbst keine gute Figur.

Schweren Herzens ungerecht sein

Gleich in der Anfangssequenz, Pauls erstem Schultag in der 6. Klasse, bekommen er und der sitzengebliebene Johnny Ärger mit ihrem fast karikaturhaft autoritären Lehrer, Paul für eben die Karikaturen, die er von ihm anfertigt, Johnny fürs Verhohnepiepeln seines Namens, was freilich nur ein Echo auf die ihm zuteilwerdenden Herabsetzungen ist. Und gleich hier wird bei ihrer Bestrafung mit zweierlei Maß gemessen. Später endet ein gemeinsamer Joint auf dem Klo für den einen mit dem Wechsel auf eine Privatschule, für den anderen mit dem Schulverweis und bald darauf auf der Straße. Wenn Johnny dann auf der anderen Seite des Zauns von Pauls neuem Pausenhof auftaucht, wird der vor seinen sich als weißen Herrenmenschen gerierenden Mitschülern ihre Freundschaft als flüchtige Bekanntschaft herunterspielen. Und die folgenschwerste Ungleichbehandlung steht ihnen da erst noch bevor.

Pauls Eltern, jüdisch-ukrainische Einwanderer in zweiter Generation, wissen um ihre relative Privilegiertheit ebenso wie um die Unsicherheit des errungenen bescheidenen Wohlstands. Was sie ihren Kindern vorleben, ist, dass man, um ihn zu sichern, moralisch fragwürdige Entscheidungen nicht etwa unterlässt, sondern nur sichtbar schweren Herzens trifft (die Kinder zu deren eigenem Vorteil auch schon mal schweren Herzens schlägt). Von anderem Kaliber ist Pauls Großvater (Anthony Hopkins), Anfang des 20. Jahrhunderts vor antisemitischen Pogromen aus der Ukraine geflohen, der um die Folgen ausbleibender Solidarität weiß. Er ist Pauls liebevoller Mahner, Förderer seiner künstlerischen Ader, sein einziger erwachsener Vertrauter im Film. Hervorstechend ist bei all dem weniger die Charakterzeichnung der eher typenhaften Figuren als das präzise, oft lakonisch-humorvolle Entfalten sozialer Dynamiken am familiären Esstisch oder im Klassenzimmer.

Wehmütige Sachlichkeit

Einmal lässt Paul mit seinem Großvater auf einer Wiese eine Spielzeugrakete aufsteigen, die dann an einem kleinen Fallschirm herabgleitet. Was für den Jungen ein tolles Erlebnis ist, nimmt sich in der Totalen, zumal vorm Hintergrund des wuchtig-bedrohlichen State Pavillon, beinah mikroskopisch klein aus, ein unscheinbares Zischen. Die wehmütige Sachlichkeit, mit der James Gray diesen Augenblick festhält, ist paradigmatisch für den von Nostalgie angenehm freien Blick eines Films, der doch alle Zutaten für ein sentimentalistisches period piece mitbrächte.

Der Regisseur kehrt in dem autobiografisch grundierten Werk in Stimmungen zurück, die schon seine früheren New-York-Filme wie Little Odessa (1994) und The Yards (2000) prägten. Er zeigt die Stadt in gedeckten Farben als einen Ort, der sich Paul und Johnny auch schon mal kurzfristig als Freiraum öffnen kann, etwa wenn sie von einem Schulausflug mit der Subway ausbüxen oder sich Paul das Guggenheim-Museum als Ausstellungsort seiner Superhelden-Gemälde imaginiert („Captain United“ heißt seine Figur), auch als eine zeitgeschichtliche Schatzkammer mit Spuren etwa der aufziehenden Hip-Hop-Kultur, aber vor allem als einen Ort der überall sichtbaren sozialen Verwerfungen und der Ungerechtigkeit.

Auch wenn alles, was anzuprangern wäre, der Rassismus, die Klassengesellschaft, die Verlogenheit des amerikanischen Traums, klar auf der Hand liegt, ist Zeiten des Umbruchs kein aufdringliches Message Movie, fügt sich all das schlicht unter die tief prägenden Eindrücke, die einem sensiblen Kind an der Schwelle zum Erwachsenwerden zu lebensentscheidenden Weichenstellungen werden können. Mit dem plötzlich auftauchenden Namen Trump wird dann doch einmal eine direkte Schneise ins Heute geschlagen; Donalds Vater Fred (John Diehl) ist als mächtiger Bauunternehmer in Queens auch der Finanzier von Pauls Privatschule, und dessen Tochter Maryanne (Jessica Chastain) schwört die in der Aula versammelte Schülerschaft mit markigen Worten auf ihren Elitestatus wie auf die für den Erfolg gebotene Härte ein. Paul ist not amused und nur Anwesender, kein Mitmachender, aber an dem Punkt, einfach aufzustehen und zu gehen, ist er hier noch nicht.

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