Arboretum – Kritik

Donnie Darko in Thüringen. Arboretum zeigt eine abgefuckte Dorfjugend im Sommer vor 9/11 wie in einer Milieustudie mit fantastischer Ebene.

Die Schüler Erik (Oskar Bökelmann) und Sebastian (Niklas Doddo) schlagen ihre Zeit mit Konsolenzocken, Abhängen oder Schießübungen im Wald tot. In ihrem kleinen Dorf in Thüringen gibt es für die Heranwachsenden sonst nichts zu tun. Die Nazibande verachten sie, mit den linken Punks können sie auch nichts anfangen, und dazwischen gibt es nichts. Die Rolle, in die sich die beiden Freunde eingefunden haben, ist die der Außenseiter. Doch Sebastian wünscht sich, dass etwas passiert, etwas Großes. Es ist Sommer 2001, bis September sind es nur noch wenige Wochen. 9/11 ist jedoch keineswegs der Fluchtpunkt des Films.

Politische Schwergewichte als Grundierung

In Julian Richbergs Spielfilmdebüt, dem man das niedrige Budget zu keinem Moment ansieht, kommen verschiedene, generationsübergreifende politische Problemfelder zusammen: das frühere Nazideutschland, verkörpert durch Sebastians Großvater, vor dem eben jenes „N-Wort“ nicht verwendet werden soll, die erwähnten gleichaltrigen Neonazis, unter deren Drangsalierungen Sebastian und Erik zu leiden haben, dazwischen die Mauerschützenvergangenheit von Eriks Vater. Im von diesen Konflikten geprägten Kosmos der beiden Jugendlichen ist der Anschlag auf die Twin Towers dann gar nicht so eine Zäsur wie für den Rest des Globus, sondern nur eine weitere Kulmination der Abgefucktheit der Welt, in der sie leben. Just im Moment der Liveberichterstattung aus New York bricht Eriks Vater mit seinem Schweigen über seine Tätigkeit als Grenzschütze(r) der DDR. Erik, für den diese vermeintliche Offenbarung längst kein Geheimnis mehr ist, zeigt sich davon denn auch ziemlich unberührt, und selbst die Geschehnisse in den USA vermögen ihm keine emotionale Reaktion zu entlocken. Jedoch erscheint die Figur dabei keineswegs unsympathisch – und der Film trotz der Ballung an weltpolitischen und historischen Schwergewichten nie überladen. Denn in Arboretum wird das alles zwar durchaus ernst genommen, dient aber mehr einer Grundierung, vor der sich Richberg auf den verfahrenen Mikrokosmos der beiden Jugendlichen fokussiert.

Verweilen im jugendlichen Mikrokosmos

Damit in der Welt, so wie die beiden sie erleben, wirklich mal etwas Bedeutsames geschieht, etwas, das die Dinge vielleicht nicht besser macht, aber zumindest ein Zeichen setzt und die ein oder andere Ungerechtigkeit ausgleicht, dafür müssen die Jugendlichen selbst etwas Radikales unternehmen. Das wird im Plot schon sehr früh klar, dennoch lässt dieses Ereignis recht lange auf sich warten. Lieber nimmt sich die Handlung Zeit, die Lebenswelt der beiden ausführlich vorzustellen, und kehrt immer wieder ein in jene Orte, an denen sich ihr unspektakuläres Dasein abspielt: im Jugendzimmer, in der Schule, in der glanzlosen Dorfkneipe, auf einer öden Party oder auf ihrem Schießübungsplatz im Wald.

Diese Szenen wirken in ihrer Profanität sehr lebensnah und in ihrer Schlichtheit durchaus packend. Zu verdanken ist das in erster Linie den Schauspielleistungen der jungen Nachwuchsdarstellenden. Besonders Hauptdarsteller Oskar Bökelmann verleiht seiner Figur durchgängig einen traumwandlerischen Auftritt mit seinem niemals zu forciert wirkendem Hundeblick, ohne dass jemals das Gefühl von Eintönigkeit aufkommen würde. Erik ist vereinnahmend rätselhaft und offenbart doch genug Wesenszüge, um mit ihm mitfühlen zu lassen. Und Anna Jung als weibliche Hauptfigur verkörpert weit mehr als nur Eriks Love Interest. Die von ihr gespielte Elli ist intelligent und selbstbewusst, manchmal etwas altklug, doch stets sympathisch und meist auch ziemlich witzig. Ihre Figur macht einen Unterschied im sonst von Männern dominierten Plot aus.

Donnie Darko in Thüringen

Was teilweise schon an eine Milieustudie grenzt, wird von Richberg dezidiert als Genrefilm erzählt, indem er eine fantastische Ebene miteinzieht. Um anschaulich zu machen, wie sehr es in den Jungen innerlich brodelt und dass die häufig ausgesprochenen Gewaltfantasien doch mehr als nur bloße Sprücheklopferei sein könnten, kommt ein buchstäblich dunkler Ort ins Spiel, an den es Erik immer wieder zieht. Als maßgeblicher Einfluss – nicht nur, aber vor allem – für die übernatürlichen Szenen ist unschwer Richard Kellys Debütfilm Donnie Darko (2001) zu erkennen, der sich insbesondere für in den 2000er Jahren Aufgewachsene zum gefeierten Kultfilm entwickelt hat. Die Ähnlichkeiten zwischen Erik und Donnie sind nur eine von vielen Parallelen, auf die Richberg beim Entwurf seines eigenen Kosmos zurückgreift.

Und gerade in diesem Akt der filmischen Entlehnung offenbart sich interessanterweise Richbergs eigenes Können als Drehbuchautor und Regisseur. Wie kläglich ein Versuch, an Donnie Darko anzuknüpfen, scheitern kann, das ist am offensichtlichsten in der offiziellen Fortsetzung S. Darko (2009) zu bezeugen. Richberg dagegen gelingt es nicht nur weit über die Übernahme einzelner Elemente hinaus, seinen an sich sehr unaufgeregt erzählten Film durch eine ähnlich soghafte Stimmung unter Spannung zu setzen, er vermag diese Stimmung auch in einem spezifisch deutschen Setting entstehen zu lassen. Wenn daraus ein ähnlich geschätzter Vertreter des deutschen Genre-Kinos hervorgehen würde, wäre das nur verdient.

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Kommentare


LuGr

Komisch, warum dieser Fehler auf mehreren Filmportalen online zu finden ist, aber: Das erste Kapitel (Zwischentitel) nach 3 Filmminuten ist mit "Es war einmal in Thüringen" überschrieben. Der Film spielt also hier, nicht Sachsen - auch wenn das für viele Westdeutsche sicherlich austauschbar ist. Ein Screenshot liegt vor.


Michael

Danke für den Hinweis, wird gleich geändert.


LuGr

Danke fürs Ändern!






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