Animals - Wie wilde Tiere – Kritik
Keine Elegie, keine Gerechtigkeit, nur die blanke Tat, die ein Leben nimmt. Der belgische Regisseur Nabil Ben Yadir bringt in Animals eine der vielleicht bisher grausamsten Darstellungen queerfeindlicher Gewalt auf die Leinwand.

In Nabil Ben Yadirs Animals schauen wir über zehn Minuten lang einem jungen Homosexuellen dabei zu, wie er zu Tode gefoltert wird. Wir lernen ihn als Brahim kennen, der sich zuerst unsicher über die Geburtstagsfeier seiner Mutter bewegt. Wir sehen seine innere und äußere Isolation als ungeouteter Schwuler, die ihn schließlich von der Party ausspuckt. Wenig später trifft er vor seiner Stammkneipe auf vier junge Männer, zu denen er ins Auto steigt. Als sie erfahren, dass er schwul ist, zerren sie ihn auf eine Wiese und prügeln ihn tot. Es gibt keine Elegie, keine Gerechtigkeit. Nur die blanke Tat, die ein Leben nimmt. Der belgische Regisseur bezieht sich auf den Mord an Ihsane Jarfi, der 2012 als der erste verurteilte homophobe Mordfall Belgiens Schlagzeilen machte. Der zweite folgte übrigens letztes Jahr.
Orchestriertes Trauma

Animals will das Publikum ein Trauma miterleben lassen. Yadir stellt seinen Protagonisten Brahim (Soufiane Chilah) in den ersten Minuten als einen jungen Mann vor, der zwischen den Stühlen versinkt. Während er die misstrauischen Nachfragen seiner streng muslimischen Familie aushalten muss, wartet er nervös auf die Ankunft seines Partners, den er ihnen heute endlich vorstellen will. Eine Ader der Gewalt fließt von Anbeginn durch den Film. Sie liegt in den schamlosen Blicken der Partygäste wie im Schweigen der Mutter (Anne-Marie Loop) und eskaliert früh in den Übergriffen seines Bruders (Salim Talbi), der als einer der wenigen von Brahims Sexualität weiß. Weil er Brahim verteidige, sagt Mehdi, denke seine Frau jetzt auch, er sei so wie er. Diese stumme bis laute Gewalt ist es, die Brahim aus seinem Elternhaus, auf die Straßen und schließlich in die Arme seiner Mörder treibt.

Das aufgebaute Mitgefühl nutzt Yadir, um dem Publikum in einer unerträglichen Gewaltorgie den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Brahim steigt unbedacht in ein Auto mit vier pöbelnden, hypermaskulinen Typen. Sie beginnen, ihn zuerst seelisch, dann körperlich für seine Sexualität zu bestrafen. Die vom Alkohol angefeuerte Schikane steigert sich in einen Blutrausch, und der Film springt in das Hochformat ihrer Handykameras. Dem Publikum wird die Distanz, die Rückzugsmöglichkeit geraubt, während die vier Männer Brahim Unsägliches antun und ihn dabei mit ihren Handys filmen wie eine Jagdtrophäe. Es ist eine drastische Entscheidung für einen Film, seiner Hauptfigur systematisch die Würde zu rauben. Animals geht diesen Schritt und reduziert seinen Helden in behäbigem Erzähltempo zu Materie.
Weckruf gegen die Selbstgefälligkeit

Mehr noch als religiösen Fundamentalismus problematisiert der Film den machistischen Stärkekult. In fast allen Männern, die Rahim begegnet, steckt eine tiefliegende Angst um die eigene Maskulinität, die durch den Kontakt mit ihm, manchmal auch durch die buchstäbliche Berührung mit ihm gefährdet ist. Die Medizin gegen Unmännlichkeit ist Gewalt; sie mündet in einem blutigen Läuterungsritual. Für Loïc (Gianni Guettaf), den Jüngsten und Schwächsten in der Gruppe, ist sie sogar eine Art Initiationsritus zum Erwachsensein. Animals erzählt von einer Gesellschaft, in der Identität nicht durch Selbstbezug, sondern durch den Ausschluss des Anderen gebildet wird. Je stärker die Suche nach Identität, desto schlimmer die Taten gegen das, was sie infrage stellt.

Yadir und Co. bringen eine der vielleicht bisher grausamsten Darstellungen queerfeindlicher Gewalt auf die Leinwand. Mehr als andere Filme wirft transgressives Kino aber die Frage auf, für wen diese Gewalt inszeniert ist. Vielleicht lässt sich Animals als wachrüttelnde Ohrfeige für genau die mittelständischen, akademisch gebildeten Kinogänger*innen deuten, die sich den Film wahrscheinlich anschauen werden. Der Pride Month hat in diesem Jahr wieder gezeigt, wie sehr Queerness im gesellschaftlichen Mainstream angekommen ist, um endlich als Produkt verkauft werden zu können. Queerness als Politikum wird zunehmend zur Ästhetik reduziert, die auf Etiketten gedruckt werden kann. Es ist eine Selbstgefällgkeit, die Animals gewaltsam durchbricht. Der Film nimmt einen realen Mord, der in der Berichterstattung zu einer Zahl reduziert und von der Konsumwelt ausgeblendet wird, und stellt ihn in minutiöser Genauigkeit dar. Er macht alle Implikationen der Gewalt sichtbar und erschafft dadurch eine Gegenästhetik zum verbissen-bunten Wohlfühlregime des pink-gewaschenen Kapitalismus. Das muss so wehtun.
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