Animale – Kritik

Ein Werwolf-Stier in der Camargue: Kraftvoll inszeniert Emma Benestan in Animale die Geschichte einer jungen Stierkämpferin, die sich unter Männern behaupten muss und sich den Tieren immer näher fühlt. 

Schwung- und kraftvoll beginnt Animale. Ein schnaubender, staubaufwirbelnder schwarzer Bulle strotzt vor Vitalität. Im Gegenschnitt, nicht unbedingt im Kontrast dazu, nähert sich die junge Nejma (Oulaya Amamra) auf ihrem Schimmel. Die Körper wirken im nächsten Moment ganz anders, eher wie Ameisen, wenn ein senkrechter (Drohnen-)Blick von oben die Ausweichbewegungen einer ganzen Herde von Stieren zeigt, die von Reitern, darunter Nejma als einzige Reiterin, umzingelt wird. Unterlegt mit verzerrten E-Gitarren wandeln sich die Kräfteverhältnisse in dieser kinetischen Eingangssequenz mehrfach. Sie endet mit einer Nahaufnahme Nejmas. Zwischen dem gebrandmarkten Tier und der Stierkämpferin, deren rechtes Schulterblatt ein Tattoo ziert, ist eine erste Verbindung etabliert.

Tonnières Pupille

Die Weite der Prärie eröffnet die populäre Bildwelt des Westerns. Zugleich ist die spezifische (Kultur-)Landschaft der Camargue im Süden Frankreichs, der die Camargue-Stiere und -Pferde entstammen, keineswegs nur pittoreske Kulisse. Ebensowenig wie das Spiel der Corsa camarguenca. Bei diesem müssen die weiß gekleideten Raseteurs mit einem Haken die Trophäen von der Stirn und den Hörnern des Stiers abziehen. Anders als beim spanischen Stierkampf, dessen Spektakel Albert Serra jüngst in Tardes De Soledad – Nachmittage der Einsamkeit in Szene setzte, ist das kein Kampf um Leben und Tod. Ein solcher findet in Emma Benestans Animale nur außerhalb der Arena statt, wenn später verschiedene Männer ums Leben kommen. Der Film etabliert ein anderes Spiegelverhältnis von Mensch und Bestie. Denn hier wird der Stier zum Gegenüber. Dieser hat auch einen Namen: Tonnière. Eine bildfüllende Großaufnahme zeigt Tonnières Pupille, in der sich Nejma spiegelt. (In der Camargue, las ich, werden berühmte Stiere als Stars des Sports verehrt.)

Animale ist durchzogen von Kreisfiguren. Da ist zunächst das Übungsrund auf der Züchterfarm, in der Nejma mit ihren männlichen Kollegen trainiert, und sich dabei Sprüche anhören muss, vor allem von Kylian Dacosta (Vivien Rodriguez), einem Macho, der sein Gegenpart hat im besonnenen Tony (Damien Rebattel), Sohn des Farmbesitzers und Nejmas Freund, der Männer liebt. Die Liebe sei nichts für sie, sagt Nejma zu Tony, aber vielleicht würde sie sich einen Stier nehmen. Etwas blass und eindimensional bleiben manche Nebenfiguren. Nicht alle Beziehungen im Film sind so vielschichtig wie die zum Stier, bei der Existenzielles, Tod und Schmerz, Liebe und Sexualität auf dem Spiel stehen.

Werwolf-Stier in Feuchtwiesen

Kreisförmig ist auch die öffentliche Arena, in welcher der Stier zuerst als bedrohlicher Widersacher und dann als verletzter Artgenosse erscheint. Die entsprechende Sequenz im Film erhebt nicht nur Einspruch gegen Unterdrückung, primär geht es um einen Perspektivwechsel. Als Mittelpunkt eines weiteren Kreises, nämlich eines Kreises feiernder Männer, springt Nejma bei einer Party nach ihrem ersten Stierkampf-Auftritt auf und ab. Im Drogenrausch gehen alle nach draußen aufs Feld, wo Nejma mehr oder weniger alleine gelassen wird. Das laute Schnauben einer Bestie ist zu hören, der Film springt in die Perspektive des Monsters. Am nächsten Morgen sind Nejmas Erinnerungen an die Nacht lückenhaft, doch schon bald zeigen sich Veränderungen in ihrem Auftreten und Verhalten. Ein weiterer Kreis ist der Vollmond, der in dieser Nacht hell leuchtete.

Emma Benestans Film schließt an einen umfangreichen mythischen Fundus von Metamorphosen an, nicht zuletzt an die filmischen Darstellungen von Werwölfen und Katzenmenschen, bei denen Geschlechterfragen stets eine zentrale Rolle spielen. Der Schauplatz ist diesmal nicht der englische Wald oder das neblige Moor, auch nicht die moderne amerikanische Großstadt, sondern eben eine traditionelle Stierzüchterfarm inmitten der südfranzösischen Prärie. Nebelverhangen sind auch hier die Feuchtwiesen. Ein Werwolfsfilm ist Animale vor allem deswegen, weil zentrale, altbekannte Konflikte – etwa hinsichtlich des abwesenden Vaters oder des Erbes, das Nejma antritt – in eigenen Umkehrungen bearbeitet werden.

Scherzhaft spricht Tony von einem Werwolf-Stier, der umgeht, als Nejma ihm von ihrer Veränderung am Lagerfeuer berichtet, davon, dass sie die Tiere fühlen kann. Doch was, will er wissen, ist wirklich mit ihr los? Ist die Werwolfsfigur der Unernst, welcher der Geschichte, die eigentlich in jener Nacht geschah, entgegen steht? Die Genrefilmbilder, wie etwa die Transformation des weiblichen Körpers, sind, so scheint es, Mittel, um weiblicher Wut Ausdruck zu verleihen. Von Anfang an ist ein genuines Interesse an Verwandlungen, auch an fantasmatischen Transformationen der Landschaft zu spüren - etwa wenn in einer Szene ein Urschrei dunkle Wolken aufreißen lässt.

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