Angelo – Kritik

Markus Schleinzer verbindet in Angelo die Geschichte eines historisch verbürgten „Hofmohren“ mit einer Kritik an Historienfilmen.

„This story is based on real events“ steht nicht im Vorspann von Markus Schleinzers Drama Angelo. Zwar folgt der Film ziemlich präzise der Biografie von Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert aus Afrika verschleppt und in Österreich als „Hofmohr“ großgezogen wurde. Doch Schleinzer sät von vornherein Misstrauen gegenüber der Möglichkeit, Solimans Schicksal „authentisch“ zu reinszenieren: Die ersten Einstellungen, in denen eine französische Comtesse (Alba Rohrwacher) aus einer Gruppe afrikanischer Jungen einen auswählt, spielen in einer Lagerhalle mit Neonröhren, Stromleitungen und grünen „Exit“-Schildern. Mit diesem Verfremdungseffekt schickt Schleinzer seinem Historienfilm quasi eine Warnung ans Publikum voraus, dass die filmische Darstellung der Vergangenheit Geschichte nie authentisch wiedergeben kann, sondern dazu verdammt ist, eine bloße Reimagination, eine von der Gegenwart informierte Projektion zu bleiben.

Eine Projektionsfläche bleibt auch Angelo selbst. Angelo (Makita Samba) schweigt zumeist – statt zu sprechen, erfüllt er gerade durch Passivität seine Rolle: Seinen „Besitzern“ dient er dazu, ihren Reichtum zu zeigen, seine adligen Gesprächspartner dürfen über den Umgang mit ihm ihre Weltoffenheit beweisen, und dem gerne monologisierenden Kaiser bietet er ein ehrfürchtiges Publikum für dessen pseudo-philosophische Lamenti. Wenn Angelo es doch einmal wagt zu agieren, platzt die dünne Patina der höfischen Toleranz rasch: „Glaubt er denn, er sei einer von uns?!“, schreit ihn einer seiner Herren an, nachdem Angelo mit einer (weißen) Frau aus dem Hofstaat geschlafen hat: Der Frauenraub ist bis heute eines der zentralen Motive rassistischer Vorstellungen vom „Fremden“.

Wilde Afrikaner, dressierte Europäer

Von Angelos Leben in Afrika erfahren wir genauso wenig wie seine europäischen Bekanntschaften. Dieser Umstand erweist sich für seine vermeintlichen Freunde als fantasieanregend, können sie ihn so doch mangels besseren Wissens zum Abkömmling eines wilden Kriegerstammes stilisieren. Wir sehen stattdessen Szenen aus Angelos Kindheit, die Schleinzer als eine Folge von Dressurübungen zeigt: Getauft werden, Französisch lernen, Flöte üben, Schauspiel studieren. Angelo erfährt eine Umformung vom exotischen Kuriosum hin zum Hofkünstler – doch selbst nach dieser Transformation besteht seine Hauptfunktion immer noch darin, schwarz zu sein und allein dadurch schon Unterhaltungswert zu bieten.

Schleinzer konterkariert die erzwungene „Zivilisierung“ mit zweierlei Handgriffen: Er streut mehrere Szenen ein, in denen Afrikaner mit aller Kraft schreien und Europäer sich sichtlich vor dieser „ungezähmten Wildheit“ erschrecken. Und er zeigt, wie dressiert jene Europäer selbst sind: Die Comtesse erweist sich als so sehr in ihrer adligen Steifheit gefangen, dass es ihr unmöglich ist, eine herzliche Umarmung von Angelo zu erwidern. In einer anderen Szene werden zwei Dienerinnen von einer Hofdame zurechtgewiesen, als sie zu ausgelassen mit dem kleinen Angelo spielen. Einer weiteren Dienerin – eine der ganz wenigen Figuren, die eine ehrliche Zuneigung zu Angelo entwickeln – wird verboten zu weinen, als Angelo von der Comtesse an einen anderen Hof weitergereicht wird. Emotionen schicken sich nicht, offenbaren sie doch einen Kontrollverlust.

Kein „Adonis noir“

Ein Thema, das Schleinzer – ganz anders als Abdellatif Kechiche in Vénus noire (2010) – etwas überraschend nur am Rande streift, ist die sexuelle Begierde, die sich auf Angelo richtet. Stattdessen konzentriert sich der Österreicher darauf, wie die Hofwelt ihr einstiges Amüsierobjekt langsam fallen lässt. Der dritte Akt gerät dabei etwas überdeutlich: Hier buchstabiert der Film mithilfe eines jovialen Naturkundemuseums-Direktors die finale Erniedrigung des einstigen „Hofmohren“ aus, als müsse noch bewiesen werden, dass der Umgang mit Angelo rassistisch und unmenschlich war. Eine deutlich raffiniertere Methode, die ethischen Defizite aufklärerischer Europäer zu zeigen, gelingt Schleinzer im ersten Drittel, als er offen lässt, ob es sich bei Angelo um den ursprünglich von der Comtesse ausgewählten Jungen handelt oder ob dieser verstarb und umgehend durch einen neuen Angelo ersetzt wurde.

Mit Neonröhren und Stille gegen die Illusion

Stark sind auch die Verfremdungseffekte, mit denen Schleinzer arbeitet. Neben den mehrfach wiederkehrenden Neonröhren und Stromleitungen betrifft das unter anderem die Kombination aus Bildformat und Kameraarbeit. Schleinzer – erst als Casting Director von Michael Haneke und dann als Regisseur des Pädophilie-Psychogramms Michael (2011) bekannt geworden – setzt zwar auf das enge, veraltete 4:3-Bildverhältnis (Academy Ratio), das in so manchem jüngerem Film für vermeintliche Historizität bürgt. Er führt diese Wahl aber gleich wieder ad absurdum, indem er mit wackliger Handkamera filmen lässt – ein Stilmittel, das man eher aus dem Zeitalter des Digitalen kennt.

Zudem rahmt Schleinzer die Handlung immer wieder durch traumwandlerisch-abstrakte Szenen ein. Hierbei stehen die aus dem Plot bekannten Personen auf einer Bühne und nehmen das Geschehen in symbolischer Form auf wie der Chor im griechischen Theater. Der Sound wird dabei mitunter abgedreht, was den Traum-Effekt dieser Szenen noch verstärkt. Überhaupt nimmt Schleinzer mit der Tonspur seine Kritik an der Illusionskraft von Historienfilmen wieder auf, die er mit den Neonröhren begonnen hatte: Angelo ist ein auffällig stiller Film, der sich dem Trend zum immer elaborierteren Sound Design aus allerlei atmosphärischen Schichten verweigert. Er ist häufig dermaßen leise, dass man im Kino kaum eine Verpackung öffnen kann, ohne böse Blicke anderer Zuschauer zu befürchten. Das zerstört natürlich die Blase der filmischen Immersion, weil uns mit jedem Rascheln bewusst wird, dass wir eben nur im Kino sind statt in der Vergangenheit – nur dabei statt mittendrin.

Neue Kritiken

Trailer zu „Angelo“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.