Alone – Du kannst nicht entkommen – Kritik

Über einsame Highways flieht Jessica vor der Vergangenheit und muss sich plötzlich gegen Übergriffe der Gegenwart wehren. In seinem Survival-Thriller mit Westernanklängen kalkuliert John Hyams seinen Genre-Klassizismus wie der Verfolger im Holzfällerhemd seine Sadismen.

Am Anfang steht ein Abschied. Jessica (Jules Willcox) verstaut zügig ihre Möbel im Anhänger des Kombis. Die Mittdreißigerin will ihr Zuhause so schnell wie nur möglich verlassen. Als sie merkt, dass ihre hochgeschossene Zimmerpflanze nicht mehr in den zugestellten Raum passt, lässt sie sie einfach am Straßenrand zurück. Sie fährt ab und niemand ist da, der ihr zuwinkt oder sie umarmt; ihre besorgten Eltern wurden, das wird später klar, eigentlich für den kommenden Tag bestellt. Jessica will mit sich allein sein.

Nun beginnt der Road Trip, der sich über Tage hinzieht und mehr für einen Aufbruch ins Ungewisse als für einen hoffnungsvollen Neubeginn zu stehen scheint. Man erahnt das an der Art, wie Jessica nervös raucht, sich nicht auf das Autoradio einlässt, ihre aufgerissenen Augen in einem blassen, von einer schwierigen Vergangenheit gezeichneten Gesicht hin und her kullern. Sie ist einsam, und das häufig unscharfe Drumherum unterstreicht das. Bereits hier bedient sich John Hyams‘ neuer Film einer Bilderwelt, die einen festen Platz in der US-amerikanischen Filmgeschichte hat: Die USA sind ein weitläufiges, von menschenarmen Landstraßen und Nicht-Orten durchzogenes Land. Der Weg führt unsere Heldin an Tankstellen und Motels vorbei, mit der Außenwelt hat sie nur telefonisch Kontakt. Alone ruft die Ikonographie amerikanischen Einzelgängertums auf.

On the Run

Doch nach nicht einmal zehn Minuten wird aus dem Roadmovie, das wie so häufig auch eine innere Reise beschreibt, ein Thriller. Als Jessica auf einspuriger Landstraße einen vor sich hinschleichenden SUV überholen will, lässt dieser sie zunächst gewähren, gibt dann aber plötzlich Gas, während ein hektisch hupender Truck im Gegenverkehr erscheint. In letzter Sekunde kann Jessica am Auto vorbeiziehen, rechts einscheren und so die Kollision abwenden. Psychospiel oder Unachtsamkeit? Während Jessica noch unsicher ist, macht der Film durch sanfte Schwenks und Schärfenverlagerungen das noch periphere Unheil schon deutlicher aus. Der von getönten Scheiben vorerst noch anonymisierte Fahrer lässt sich von nun an nicht mehr abschütteln. Ja, er ist sogar ständig einfach da – das Filmplakat ruft im Motiv der angstvollen Augen im Rückspiegel das des Slasher-Klassikers The Hitcher (1986) ins Gedächtnis, in dem ein irrer Rutger Hauer weniger Tramper als ein die Zeit- und Raumlogik überwindender Dämon war.

Alone macht nach dieser ersten Konfrontation schnell deutlich, wohin die Reise geht. Das, was sich früh als Bedrohung herausstellt, bleibt es die komplette Filmlänge über. Jessica, bereits vor dem Zwischenfall emotional on the run, muss nun auch ganz physisch um ihr Leben fahren, rennen, schwimmen, humpeln, kriechen. Ihr Verfolger, auch das bleibt nicht lange im Vagen, ist ein Typ mit Holzfällerhemd, Basecap, Hornbrille, Jagdmesser und Walrossschnauzer (Marc Manchaca). Dennoch haben wir es hier nicht mit dem namen- und sprachlosen Redneck-Slasher, sondern mit einem durchaus eloquenten, seine Sadismen wohl kalkulierenden Kerl zu tun. Eine Figur also, die merkwürdig mit Klischees kokettiert, dann aber doch nicht recht darin aufgeht. Und auch Jessica ist nicht die herumkreischende Schönheit, die auf der Flucht nebenbei auch mal ein bisschen Haut zeigt. Sie bleibt trotz ihres zunehmend geschundenen Körpers eine eigentümlich verinnerlichte Heldin. Es gilt, nicht nur das Trauma der Vergangenheit, sondern auch die Übergriffe der Gegenwart zu meistern.

Topographie des Terrors

„The Road“, „The River“, „The Rain“, „The Night“, „The Clearing“. So lauten die lakonischen Kapitel der Treibjagd entlang der Grenze von Wildnis und Zivilisation. Ob die Gefahr sichtbar oder nur hörbar, nah oder fern, ob es gerade hell oder dunkel, nass oder trocken ist; das ist ebenso entscheidend wie möglichst leise zu atmen, keine Äste zu zertreten und akzentuiert zu flüstern. Darüber hinaus scheint es keine Symbole, keine tieferen Bedeutungen zu geben. So rudimentär wie Kapitel- und Plotstruktur ist auch der Anspruch, ein effizientes, anderthalbstündiges Genrestück zu sein. Alone macht keinen Hehl daraus, das Genre-Rad nicht von Grund auf neu erfinden zu wollen; man ist sozusagen kalkuliert klassisch.

Wenn von Genretraditionen die Rede ist, sollte neben dem Survival-Thriller auch der Western nicht unerwähnt bleiben. Nicht unbedingt wegen der Konstellation von Jäger und Gejagtem, die ist sicher großzügig in allerlei Settings übertrag- und auslegbar, sondern wegen der Art, wie sich in Alone alles vom konkreten Naturraum her ableitet: Tag, Nacht, Wald, Fluss, Lichtung, Handyempfang ja/nein. So wird eine teilnahmslos vor sich hin existierende Topographie des Terrors abgesteckt, und wo die Zivilisation einmal in sie vordringt, gibt es meist einen Schimmer Hoffnung.

John Hyams’ Genrepragmatismus

Nur in Nordamerika ist Alone momentan hier und da auf der Leinwand zu sehen, in Deutschland stehen die Chancen für einen Kinostart eher schlecht. Bei der IMDb steht sogar ein „V“ hinter dem Titel, was heißt: „made for video or direct-to-video release“. Regisseur John Hayms ist das schon gewohnt, fühlt sich durchaus Zuhause im DTV-Segment und gilt (innerhalb genreaffin-cinephiler Zirkel) seit geraumer Zeit als ein unterhalb des Mainstream-Radars werkelnder Action-Auteur.

Diesen Ruf hat er sich vor allem durch die Wiederbelebung des Universal-Soldier-Franchises erarbeitet. Mithilfe seines Vaters Peter Hyams, Genreroutinier und versierter Kameramann, sowie der Zugkraft der DTV-Evergreens Van Damme und Lundgren, realisierte er Universal Soldier: Regeneration (2009) und Universal Soldier: Day of Reckoning (2012). Den Rahmen des Möglichen – Produktionsbudgets von unter zehn Millionen Dollar – reizte Hayms hier auf eine Weise aus, die souverän dem crowd pleasing Rechnung trägt, das Ganze mit barock-logiksprengenden Szenerien und schrulligen Bildfindungen aber zugleich auch aus den Angeln zu heben droht. Im Critic.de-Interview von 2012 zeigte sich Hyams zuversichtlich, bald wieder am Filmset „Action!“ rufen zu können. Tatsächlich arbeitete er in den letzten Jahren für eher farblose Fernsehproduktionen, sieht man vom Indiefilm All Square (2018) ab, der als stilsichere Blue-Collar-Suburb-Komödie doch einen recht kuriosen Fremdkörper im bisherigen Œuvre darstellt.

In ähnlicher Weise wie Hyams bei den Universal-Soldier-Filmen seine über das Franchise hinausweisenden Ideen zur Bewegungskunst im streng vorformulierten Rahmen auslotete, geht er auch beim neuen Genrestück pragmatisch an die Produktion heran: Alone ist das Remake eines schwedischen Thrillers von 2011, Night Hunt (Gone – Försvunnen), der, dem Trailer nach zu urteilen, auf der Plot- und Motivebene sehr ähnlich anmutet (auch für Alone schrieb Mattias Olsson das Drehbuch). Aber den hat wohl erstens kaum jemand gesehen, und zweitens: Was spricht dagegen, eine Story zu variieren, die sich bewährt hat? An ihrer Form zu feilen, noch effizienter und handwerklich präziser von A nach B zu gelangen? Da sind wir wieder beim Western angelangt.

Zur Einführung und Übersicht unseres John-Hyams-Special geht es hier.

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