Alles für meinen Vater – Kritik
Kann ein defekter Elektronikschalter den Nahostkonflikt lösen? Ein verhinderter Selbstmordattentäter lernt den unbekannten Feind aus der Nähe kennen.

Schon in seinen ersten Einstellungen macht der Film klar, dass hier zwei disparate Welten zusammengeführt werden sollen. Mit dem einfachen Mittel einer Parallelmontage wird das erwachende Leben morgens auf einem Markt in Tel Aviv in Verbindung gesetzt mit der Anreise eines Selbstmordattentäters. Tarek (Shredy Jabarin) aus Tulkarem wird von zwei Männern mit dem Auto zum Carmel-Markt gebracht, zur selben Zeit öffnen die jüdischen Kaufleute ihre Läden. Ein junges, punkiges Mädchen ihren Kiosk, ein alter Mann seinen Elektro-Shop, man grüßt sich, freundliche Klaviermusik erklingt. Auch ein paar eifernde Ultraorthodoxe sind zu sehen. Die Männer im Auto hantieren mit dem Sprengstoffgürtel. Tarek muss pinkeln, er soll es sich verkneifen, man will nicht anhalten. „Das ist ungesund“, erwidert Tarek, der sich in wenigen Stunden in die Luft sprengen will.
Zunächst aber wird daraus nichts. Die mörderische Elektronik unter seinem Hemd versagt, der Schalter ist kaputt. Der verhinderte Attentäter fragt im Laden des alten Katz (Shlomo Vishinski) nach Ersatz, der aber erst in zwei Tagen eintrifft. Regisseur Dror Zahavi und Drehbuchautor Ido Dror kostet es einige Mühe zu erklären, warum er nicht ferngezündet wird, wie es in solchen Fällen eigentlich üblich ist. Aber Alles für meinen Vater ist eine Parabel, kein realistischer Film.

In den zwei Tagen bis zur Lieferung lernt Tarek die Israelis, seine Feinde, seine Opfer, kennen. Die geschenkten Tage haben einen ähnlichen Effekt wie der Auftritt des Engels in Ist das Leben nicht schön? (It’s a Wonderful Life, 1946) von Frank Capra: Tarek fängt sofort an, positiv auf seine Umgebung zu wirken. Er rettet Katz’ Frau, die gerade dabei ist, in der Küche mit Gas (!) Selbstmord zu begehen, er repariert das Dach des Ladens und mit ein paar beherzten Faustschlägen rettet er die hübsche Keren (Hili Yalon) vor bigotten jüdischen Extremisten. Die Handlung steuert also zielstrebig und vereinfachend auf ihre zentrale Botschaft zu, und die lautet: Wir sollten uns gegenseitig helfen, statt uns umzubringen, und wir haben mehr gemeinsam, als wir denken. Zum Beispiel besagte Fundamentalisten, die modernen Frauen ihre Lebensweise übelnehmen. Deren islamische Version war in letzter Zeit häufiger zu sehen, in Lemon Tree (2008) etwa oder auch in Fatih Akins Auf der anderen Seite (2007).

Versuche, Selbstmordattentäter filmisch darzustellen, gab es auch schon. Aus palästinensischer Sicht in Paradise Now (2004), der sich dem Thema sehr ernsthaft und in neorealistischem Stil widmete, und aus israelischer Sicht in The Bubble (2006), der eine schöne Utopie mit einer schrecklichen Explosion enden lässt.
Auch Alles für meinen Vater ist bis zu einem bestimmten Punkt utopisch, will aber eine leichter konsumierbare Variante bieten. Dror Zahavi, der sein Handwerk in Deutschland gelernt hat, hier mit vielen Fernseharbeiten Erfolge feierte und für seinen ersten Kinofilm nach Israel zurückkehrte, benennt die typischen Probleme seiner alten Heimat, von den Nachwirkungen des Holocaust über den alltäglichen Rassismus gegenüber den Palästinensern bis zur Allgegenwart der Armee. All diese Stichworte tauchen an irgendeiner Stelle auf, wie in einem Lehrstück, punktgenau platziert.

Der Film lässt sich kaum Zeit für Atmosphäre und Entwicklung, sondern hakt alle wichtigen dramaturgischen Schritte zügig ab, verteilt seine Informationen ökonomisch auf verschiedene Rollen und gibt Tarek auch noch eine deutlich ausgesprochene Motivation für seine Tat. Nichts bleibt nicht erklärt. Die Unterschiede zu einem Fernsehfilm liegen vor allem in der Optik, die aber eine kosmetische ist: Der gelbliche, leicht überbelichtete Look erinnert an die Art, wie Steven Soderbergh in Traffic (2000) Mexiko gefilmt hat.
In seiner Mischung aus politischer Parabel, jiddischem Anatevka-Humor, exzessivem Musikeinsatz und überdeutlicher Symbolik (natürlich schaut Tarek einmal in einen zerbrochenen Spiegel) ist Alles für meinen Vater aber letztlich ein arg simplifizierender Blick auf einen äußerst komplizierten Konflikt.
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