Allein – Kritik
In seinem Spielfilmdebüt Allein stellt Thomas Durchschlag eine junge Frau in den Mittelpunkt, die am Borderline-Syndrom leidet. Durch intensive Arbeit mit der Nachwuchsschauspielerin Lavinia Wilson ist eine beeindruckende Charakterstudie entstanden.

Eine Studentin räkelt sich in ihrem Bett und ein sonniger Tag beginnt. Im Hintergrund in der Zimmerecke stehen einige leere Flaschen, an sich nichts Ungewöhnliches. Die junge Frau heißt Maria und wir folgen ihr durch einen Tag, der zunächst nichts von ihrer Selbstdekonstruktion ahnen lässt. In der Uni arbeitet sie in der Bibliothek. Am Abend geht Maria in einen Club, tanzt, trinkt und flirtet verführerisch. Sie sieht gut aus und macht einen lebendigen Eindruck. Marias Ausgelassenheit kommt einer Forderung nach mehr Spaß in der Spaßgesellschaft gleich. Eine Haltung, die zunächst mehr von Angepasstheit zeugt als von Rebellion.
Noch in der Nacht hat Maria Sex und aus der Lebenslust wird Lebensfrust: Der One-Night-Stand ist mechanisch, distanziert, filmisch ohne innige Emotion inszeniert. Danach, beim Blick in den eigenen Badezimmerspiegel, scheint Maria um Jahre gealtert und Blut tropft von ihrem Handgelenk ins Waschbecken. Die Einsamkeit vertreibt sie durch Tabletten und noch mehr Alkohol. Und wir wissen inzwischen, dass diese Nacht keine Ausnahme in Marias Leben ist. Sie rebelliert gegen sich selbst.
Thomas Durchschlag, Absolvent der Kunsthochschule für Medien in Köln, beschreibt in einem Interview sein Interesse an dem Phänomen, das Psychologen als Borderline-Persönlichkeitsstörung bezeichnen. Er habe von dem Phänomen gelesen und wollte wissen, warum Menschen sich selbst wehtun, warum sie sich die Arme aufschneiden, in Exzessen leben und sich nicht lieben können. Eine Antwort im Sinne einer erklärenden Vorgeschichte gibt er nicht. Vielmehr widmet sich Durchschlag ganz der Gefühlswelt seiner Protagonistin. Sein Debütfilm wählt den Weg einer pointierten und einfühlsamen Charakterstudie, anstelle sich auf psychologische Erklärungen einzulassen.
Die Handlung konzentriert sich auf wenige Figuren und Drehorte. Wie einem Sog folgend, wandelt Maria durch karge Stadtlandschaften, trifft ihren verheiraten Liebhaber Wolfgang (Richy Müller) und ihre Freundin Sarah, die von der Krankheit weiß und ihr immer wieder hilft. Selbst als Maria den schüchternen Jan (Maximilian Brückner) kennen lernt und sich im Ansatz eine vertrauensvolle Beziehung zwischen ihr und dem jungen Verhaltensforscher entwickelt, wird aus der Krankengeschichte keine echte Liebesgeschichte. Zu sehr ist Maria in ihrem Gefühlslabyrinth gefangen. Nur gelegentlich scheint sie Kraft zu schöpfen, wenn sie sich auf eine Anhöhe zurückzieht, wo ein abstrakter Monolith – scheinbar aus 2001: A Space Odyssey (1968) entliehen – ihr Halt gibt. Als Ort der totalen Freiheit und gleichzeitigen Rückzugs repräsentiert die von Richard Serra erschaffene Stahl-Bramme auf der Schurenbachhalde bei Essen Marias Einsamkeit.

Zu solch symbolträchtiger Bildsprache kommt es aber nur selten. Die Kameraarbeit von Michael Wiesweg drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern ordnet sich zugunsten der Figuren und der Geschichte unter. Im Mittelpunkt steht der Blick auf die Protagonistin und die Kamera konzentriert sich auf feinste Wechsel in Mimik und Gestik. Den Schauspielern wird Raum gegeben, um die emotionale Wucht der Handlung durch ihr Spiel zu entfalten. In der Inszenierung der Persönlichkeitsstörung profitiert Allein vor allem von seiner Hauptdarstellerin Lavinia Wilson. Sie spielt Marias intensive Schübe aus Angst, Depression und Exzess, zwischen Oberflächlichkeit und tiefen seelischen Gefühlswelten, als wären es ihre eigenen. Marias Einsamkeit und Unfähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, vermittelt Lavinia Wilson, die für diese Darstellung 2005 mit dem Max-Ophüls-Preis Preis für die beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, mit Intensität und einer präzisen Wandlungsfähigkeit. Von einem Moment in den anderen wechselt sie zwischen den Widersprüchen der Figur.
Allein ist ein einfühlsamer Film, der ohne überflüssige Schnörkel konzentriert erzählt und gleichzeitig eindringlich berührt. Der Film beschreibt Situationen einer zerbrechlichen Figur, die mit sich selbst verstrickt ist. Dabei lässt er den Zuschauer genau zwischen jenen Gefühlen der Nähe und Abstoßung pendeln, die das Leben der Hauptfigur bestimmen.
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Kommentare
andreas jacke
Borderline -
so heißt nicht nur ein Song auf Madonnas erstem Album -
von ca. 1982 - nein so hieß auch die modernste psychische Krankheit der 80ziger Jahre. In dieser Zeit handelte es sich zumindest in den USA um ein Massenphänomen. Kernberg, der Erfinder dieses Diagnostik, ein Fachmann der Ichpsychologie wurde damit damals berühmt.
In dieser Zeit wurde selbst Persönlichkeiten wie M. Monroe posthum als Borderliner klassifiziert. Dabei war es zunächst vor allem eine Abschreibediagnose - den Borderliner galten damals als nicht therapierbar. Unterdessen - 20 Jahr später ist die Mode vorbei
und vom Boderliner ist der Selbstdestruktionszwang als wichtigstes Kriterium zurückgeblieben. Bleibt fraglich, ob man aus dieser Perspektive die Gründe für die starke Neigung der "Borderliner" zum Todestrieb erkennen kann, den den Todestrieb, eine Freudsche Erkenntnis - hatte Kernberg, wie so viele anderer seiner Zunft schließlich abgeschafft.
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