Alle Reden Übers Wetter – Kritik
Mit MacBook in der Uckermark: Annika Pinske schickt eine Berliner Akademikerin von urbanen Cocktailpartys in die heimische Dorfkneipe – und will dabei mehr als nur übers Wetter reden.

In Annika Pinskes Langfilmdebüt ist der Name Programm, denn auf eine Beurteilung der aktuellen Wetterzustände muss im sonst eher kargen Dialog nie lange gewartet werden. Die Wettereinschätzung, für viele deutsches Kulturgut, ist dabei nur einer von Pinskes Versuchen, sich den Lebensrealitäten derjenigen zu nähern, die zugunsten eines Bildungserfolgs ihren provinzialen Herkunftsort verlassen haben. Pinske reiht sich mit ihrer Milieustudie in einen über die letzten Jahre bereits ausgereiften Diskurs über Chancengleichheit, soziale Herkunft und Exklusion ein und inszeniert die Suche nach einem neuen Habitus, der durch den sozialen Aufstieg nötig wird.
Ein Plüschsofa in Mecklenburg

Die Milieus könnten dabei nicht klarer abgesteckt sein: Auf der einen Seite steht die Berliner Academia, die Wahlheimat von Protagonistin Clara (Anne Schäfer), die dort an ihrer Promotion arbeitet. Auf der anderen Seite die Uckermark, Claras Geburtsort und noch immer der Wohnort ihrer Mutter. Clara steht zwischen den Fronten, in beiden Welten mit nur einem Fuß. Praktischerweise kann Pinske ihre Protagonistin so dafür nutzen, den Zuschauer*innen einen erleichterten Einstieg in die jeweiligen Welten zu verschaffen.
Mit Clara, einer karriereorientierten Frau Ende dreißig, die weder in der deutschen Umlandstristesse noch im prätentiösen Universitätsumfeld eine wirkliche Heimat finden kann, schafft Pinske eine meist unergründliche Figur, die zumindest im Dialog jegliche Gefühlsregung verweigert. Clara ist meist allein im Frame, das Kostümbild kontrastiert sie mit ihrem Umfeld. Sei es im stilvoll inszenierten Büro ihres Instituts, in dem Clara immer im Fokus der Kamera ist, während die Kolleg*innen meist nur als Schatten vorbeihuschen, oder im mecklenburgischen Wohnraum der Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich), in dem sich die Protagonistin und das obligatorische glänzende MacBook fast schon absurd gegen das grau-beige Plüschsofa abgrenzen. Alle reden übers Wetter versteht es, Claras Status als Außenseiterin mittels Bildkomposition und Ausstattung zu verdeutlichen und damit die Einsilbigkeit ihrer Figur für die Zuschauer*innen auszugleichen.
Zwei Filmhälften mit Partys

Die Gegenüberstellung der beiden Milieus ist fest im Narrativ verankert – mithilfe eines klaren Cuts in der Handlung und sich stark ähnelnden, klimaktischen Handlungselementen. In der ersten Filmhälfte bewegt Clara sich durch ihr Leben als angehende Professorin, in der zweiten Filmhälfte ist sie die aus der Großstadt wiederkehrende Tochter. Beide Storylines gipfeln in Partys voller Sexismus und Auseinandersetzungen mit den engsten Bezugspersonen, wobei die Protagonistin meist gefühlskalt bleibt.
Allgemein ist die Inszenierung der Figur konstant am Motiv der ungreifbaren Karrierefrau orientiert und deckt hier altbekannte und müde Stereotype ab, allen voran eine starke Distanziertheit gegenüber den vermeintlich wichtigsten Personen ihres Lebens, ihrer Teenie-Tochter (Emma Frieda Brüggler) und ihrem deutlich jüngeren Freund Max (Marcel Kohler), der gleichzeitig einer ihrer Studenten ist.

So versucht Alle reden übers Wetter zwar wiederholt, Claras Lebenssituation einen authentischen Rahmen zu geben und sie ehrlich sie nachzuempfinden, scheitert aber daran, dass diese Rolle eben doch eher Klischee als Figur mit Tiefgang ist. Einmal lässt Pinske ihre Protagonistin im Seminar über das Motiv der schwachen Frau sprechen, die gerettet werden muss – quasi die Antithese zu Clara selbst. So ein Kunstgriff hätte wesentlich mehr Wirkung, wenn die Rolle subtiler gestaltet wäre.
Dann doch Gefühle

Wenn Clara ein Klischee ist, dann ist es ihr Umfeld erst recht. Da steht auf der einen Seite der Berliner Kreis, angeführt von der polemischen Doktormutter Margot (Judith Hofmann) und dem pseudo-feministischen Freund und Schüler Max. Auf der anderen Seite, in der tiefsten Uckermark, die wenig verständnisvolle Mutter und die im Dorf verbliebene Jugendliebe Marcel (Max Riemelt). Von beiden Mutterfiguren fühlt Clara sich unverstanden, beiden love interests will sie keine Gefühle eingestehen und sich schon gleich gar nicht öffnen. Letztendlich ist es aber ihr Herkunftsort, der zu ihr durchzudringen scheint und dann doch ein paar Gefühlsregungen aus ihr herauslockt, die Anne Schäfer mit großer Sensibilität vermittelt. Ansonsten machen gerade die stereotypen Figurenzeichnungen und Charakterisierungen der Milieus aus Alle reden übers Wetter letztendlich einen erwartbaren Film aus, der einem bekannten Diskurs wenig neues hinzufügt.
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