Alcarràs - Die letzte Ernte – Kritik

Auch in ihrem zweiten Film lässt Carla Simón Kinder durch sonnendurchflutete Landschaften streifen. Vor allem aber wirft Alcarràs die ökologische Erneuerung der spanischen Landwirtschaft in eine Großfamilie hinein.

Die Aufregung ist groß: bei den drei jüngsten Kindern, die gerade noch in ihrem geliebten Autowrack spielten; bei den Jugendlichen im fahrenden Auto, die Jagd auf Hasen machen; bei den Erwachsenen der Großfamilie Solé, die um einen Tisch herumstehen, an dem ein alter Mann sitzt. Das Autowrack ist gerade von einem riesigen Kran entfernt worden, die Hasen fliehen in den Wald, und am Tisch sitzt Großvater Rogelio (Josep Abad) und findet keinen schriftlichen Beleg dafür, dass er irgendein Anrecht auf das Stück Land hat, das die Solés seit Jahrzehnten Sommer für Sommer bearbeiten.

Innerfamiliärer Wandel

Der Kran, der das kaputte Auto entfernt, er steht für die filmische Welt, die Carla Simón in der katalanischen Provinz von Alcarràs erschafft: Die Landwirtschaft wird umgestellt, die Pfirsichbäume, von deren Ernte Familie Solé lebt, sollen neuen Solarpanels weichen. Doch Simón lässt zum Glück nicht einfach Tradition gegen Wandel, die Familie gegen die Mächtigen antreten, sondern schaut sich an, was die ökologische Erneuerung mit den Familienmitgliedern macht. Während der getriebene Quimet (Jordi Pujol Dolcet) stur bleibt, an den Demos der Landwirte teilnimmt und sich mit dem Besitzer anlegt, lässt sich Bruder Cisco (Carles Cabós) auf dessen Angebot ein, sich fortan um die Wartung der Solaranlagen zu kümmern.

Simón wirft uns hinein in eine sonnendurchflutete Landschaft, hinein in eine Großfamilie, verschiebt ständig die Perspektiven, gerne auch, wie in ihrem Debüt Fridas Sommer (2017) noch ausschließlich, in Richtung der drei Kinder, die ständig nach Ersatz für ihr Autowrack suchen, aber aus jedem neu gefundenen Paradies wieder vertrieben werden. Alcarràs ist in seiner Ungerichtetheit mitunter ein wenig mühsam, kommt an anderen Stellen allzu bekannt daher, weil sich Simóns multiperspektivischer Ansatz mit dem dann doch immer wieder sehr klar artikulierten Erzählwunsch ins Gehege kommt. Dann wechselt sich betont Beiläufiges mit Bedeutungsschwerem etwas zu willkürlich ab, dann will der Film uns reinwerfen und zugleich führen, und man fühlt sich ein bisschen wie an die Leine genommen.

Reinwerfen und Führen

Für sich genommen gelingt Alcarràs das Reinwerfen und das Führen mit der Zeit allerdings immer besser. Die Beziehungen zwischen den Figuren werden mit zunehmender Dauer klarer, ohne dass diesen Figuren per Script klare Eigenschaften angedichtet würden, vielmehr scheinen Vergangenheiten immer stärker mitzuschwingen. Der Rückgriff auf Laiendarsteller*innen fruchtet hier durchaus.

Und auch die erzählte Geschichte entpuppt sich als immer komplexer, schon in ihrer Ausgangslage. Den Solés wurde die Bewirtschaftung des Landes nämlich einst überlassen, weil sie zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs die lokalen Großgrundbesitzer versteckt und damit vor dem Tod bewahrt haben. Ihre jetzige Verdrängung ist also nicht zuletzt der Widerruf eines Gnadenakts durch diejenigen, die den Tod längst nicht mehr zu fürchten haben. Was die Solés erkennen müssen, was die Kinder insgeheim schon wussten: dass sie schon immer kein Auto besessen, sondern ein Wrack bewohnt haben.

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