Alaska – Kritik
In seinem zweiten Film folgt Max Gleschinski einer zunächst namenlosen Frau über die Mecklenburger Seenplatte und in ihre Vergangenheit. Alaska ist ruhig erzählt und nimmt sich doch nicht die nötige Zeit.

Die erste Einstellung von Alaska ist von vielversprechender formaler Stringenz. Eine Frau ist zu sehen, rauchend steht sie in der Einöde, der Hintergrund ist verschwommen. Nach der Zigarette verschwindet die Frau rechts aus dem Rahmen, die Kamera folgt ihr in einem seelenruhigen Schwenk, fasst ein Auto, ein darauf montiertes Kajak ins Bild, beide rot. Die Frau steigt ein, langsam wird auch die Szenerie erkennbar: Wald, Himmel, Sonnenuntergang. Ländliches Deutschland. Schließlich fährt das Auto fort, fährt in den Wald hinein, entgegengesetzter Schwenk zurück also, ohne Eile, ohne die Notwendigkeit des Folgens. Land, Mensch, Auto erscheinen in dieser ersten Einstellung als gleichberechtigt: Ein Körper bewegt sich im Raum, verschwindet, taucht wieder auf.
Schneckentempo statt Grenzverwischung

Max Gleschinskis Alaska, jüngst mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet, zeigt fortan die Reise dieser Frau. Anfangs bleibt sie namenlos, ziellos, unergründlich. Stoisch fährt, läuft und paddelt sie durch die Mecklenburgische Seenlandschaft, zu Land, etwa über Campingplätze, vor allem aber zu Wasser. Die Differenz zwischen Natur und trubeliger Menschenwelt ist enorm – kommen mehr als zwei Personen ins Bild, verschiebt sich etwas. Unsere Protagonistin, wie auch der Film, werden dann unruhiger, scheinen nicht mehr bei sich zu sein; Menschengruppen werden als Störfaktoren, der Umgang mit ihnen als qualvoll dargestellt. In der Einsamkeit hingegen kehrt Ruhe ein, gerade zu Beginn des Films gleichen die Bilder dann – wie die anfangs beschriebene Einstellung – bewegten Gemälden, die momenthaft Kategorien von Natur und Kultur aufzulösen vermögen, sich vom anthropozentrischen Blick lösen.
Anders als etwa bei den Filmen Helena Wittmanns bleibt Alaska in dieser Hinsicht jedoch inkonsequent. Ja, der Film ist ruhig erzählt, nimmt sich dann aber nicht die nötige Zeit, die Einstellungen nachhaltig zu gestalten, Verschiebungen im filmischen Sehen nahezulegen. Drei, vielleicht viermal gelingt das für einen Augenblick, diese Momente werden jedoch durch eine oft unmotiviert wirkende Kameraführung gestört. Dient der langsame Schwenk am Anfang noch der Grenzverwischung, bewegt sich die Kamera fortan immer wieder im Schneckentempo; was vor ihr geschieht, scheint zweitrangig. Vielmehr drängt sich im Laufe des Films zunehmend eine Ahnung von Willkür auf.
Ideenarme Bilder

Schließlich bekommt die Frau einen Namen – und eine Psyche. Kerstin heißt sie, Kajak und Auto gehören ihrem kürzlich verstorbenen Vater, die Reise durchs deutsche Hinterland ist vor allem eine in die eigene Vergangenheit. Zwei andere Personen rücken in dem in Kapitel unterteilten Film in den Fokus: Kerstins Bruder und Alima (Pegah Ferydoni), die keinen Tod, aber eine Trennung zu verkraften hat. Nun verändert sich Alaska: Wird der Raum zu Beginn noch in seiner Eigenständigkeit erfasst, gerät er zunehmend zur Erinnerungslandschaft, in der sich Gegenwart und Vergangenheit der Figuren mischen. Da wird lange in den Wald geschaut, geschundene Seelen schreiten schweren Blickes auf und ab, suchen nach Antworten, nach ‚sich selbst‘.
Sind die Verknüpfungen, die der Film in der Montage herstellt, schon zu Beginn nicht sonderlich subtil (der Natur-Kultur-Kontrast wird etwa durch den Schnitt vom glitzernden See zu einer laufenden Waschmaschine auf die Spitze getrieben), sind die Erinnerungsbilder schlicht ideenarm. Nachdem Alima auf dem Campingplatz einen Mann verführt und sich der Beischlaf andeutet, bricht sie ab und schickt ihn weg, „es geht nicht“. Schnitt, weiches Licht, ihr Ex-Mann blickt auf sie hinab, Schnitt, Alima blickt traurig an ihre Zeltdecke, beginnt zu schluchzen, der Soundtrack schwillt schwermütig klimpernd an, natürlich regnet es.
Wulst an Eindeutigkeit

In dem Maße wie Alaska seine Hauptfigur, die zunächst nur Körper war, zur Person macht, trichtert er seinen Zuschauenden mit wenig Fingerspitzengefühl die entsprechenden Emotionen ein, obendrein wird alles immerzu ausgesprochen. „Ist wie ’ne Erinnerung zu besuchen“, sagt Kerstins Bruder da, bevor er gedankenverloren in den Wald seiner Vergangenheit blickt. Die Eigenständigkeit des Raums, wie auch der Spielraum der Zuschauer*innen, den Film mit eigenen Gedanken, Blicken und Gefühlen anzureichern – überhaupt jedwede Ambivalenz – verschwinden unter einem Wulst an Eindeutigkeit in Sprache, Schauspiel, Musik und Bild. Wo die Bestandteile des Films in aussichtsreichen Momenten ein Miteinander ergeben, bleibt am Ende bloß Projektionsfläche.
Neue Kritiken

Miroirs No. 3

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Kung Fu in Rome

Dangerous Animals
Trailer zu „Alaska“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (6 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.